Montag, 26. Januar 2009

Ich weiß, was Du letzten Sommer gefunden hast


Architekt findet bei Sanierung unberührte «DDR-Wohnung» (dpa), Unberührte DDR-Wohnung in Leipzig entdeckt (Spiegel), Verlassene DDR-Wohnung in Leipzig entdeckt (Welt) oder Architekt entdeckt DDR-Wohnung (Süddeutsche) feiern die deutschen Qualitätsmedien heute wie immer im Chor eine unerhörte Entdeckung mitten in Leipzig: Eine Wohung, die kurz vor dem Mauerfall verlassen und erst 18 Jahre später erst wieder geöffnet worden war.

Interessante Geschichte, allerdings wird niemand, der im Januar 2009 nach Leipzig fährt, die Wohnung finden. Denn wie das so geht im deutschen Journalismus: War die Wohnung schon alt, als sie entdeckt wurde, ist die Geschichte inzwischen noch älter. Sie spielt ursprünglich im Sommer des Jahres 2008, als ein Architekt, ein Journalist und ein Fotograf in der Tat die erstaunliche Entdeckung einer naturgetreu erhaltenen DDR-Wohnung machen.

Schlagzeilen jedoch liefert sie erst mit Verspätung: Als die FAZ die gut abgehangene Story Ende Januar 2009 zu drucken beschließt und den Text ins Internet stellt, kommt ein Karussell in Gang: Die "Bild"-Zeitung ist sofort am Start. Sie lässt sich von der FAZ den Fotografen sagen, sich von dem die Bilder schicken und schafft es noch, die irre Story in die Samstagsausgabe zu hieven. Dort entsteht auch der griffige Slogan von der "DDR-Wohnung", die nun in stillem Gedenken an den Filmhit "Goodbye Lenin" alles hat, um richtig berühmt zu werden.

Wird sie auch, und das binnen weniger Stunden. Die Bild-Geschichte sieht nun Spiegel Online, in Recherche schwach, aber im Abschreiben führend. Auch der Spiegel lässt sich die Bilder schicken, vergisst aber natürlich, auf den Abdruck zwei Tage vorher in der FAZ hinzuweisen oder zu erwähnen, dass die Entdeckung der Wohnung nicht 20 Jahre nach dem Ende der DDR stattfand, sondern 18. Und nie im Winter 2009, sondern sechs Monate vor der Enthüllung im "Spiegel". "Findet" ist dem deutschen Journalismus immer lieber als "fand" - demnächst kommt sicher auch die Meldung "Hitler bringt sich um".

Passt ja so auch besser, ist irgendwie runder, schlanker, aktiver. Am Montag steht die Zeitungswelt Kopf. Jetzt recherchiert jede deutsche Redaktion der "DDR-Wohnung" nach. Und alle haben dieselben Bilder, weil es andere Bilder ja nicht gibt - inzwischen ist die "DDR-Wohnung" vom letzten Sommer westlich saniert.

Doch am Dienstag werden trotzdem alle Deutschen von der Wohnung wissen, die es da mal gab, letzten Sommer. Was in den Beiträgen allerdings keine Rolle spielen wird. Überall "findet" statt "fand", überall "entdeckt" wie gestern statt "entdeckte letztes Jahr".

Wenn dann kein Flugzeug abstürzt und kein Vulkan ausbricht, wenn Paris Hilton nicht ihr Höschen vergisst und die gerade amtierende Dschungel-Königin nicht stirbt, werden Franzosen, Engländer und Amerikaner unweigerlich nachziehen. Selbstverständlich nicht ohne sorgfältig zu vergessen, dass die Wohnung alt ist und die Geschichte fast noch älter. Keine Atempause, Zeitung wird gemacht: Spätestens nächste Woche bei Günther Jauch folgt dann das Interview mit Heiko Schwarz, dem Ex-Bewohner der muffigen Buchte. Angekündigt mit einem Vorabdruck in "Bild": "Ich war Goodbye Lenin - das Original".

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