Freitag, 25. Dezember 2009

Die Liebe zum Landfilm

Seinerzeit lief das so mit dem Kino: Der Landfilmvorführer kam mit seiner Landfilmvorführmaschine in die ländlichen Lokale, draußen, wo die Genossen Genossenschaftsbauern und Meliorateure dafür sorgten, dass jeder Sack Weizen zum Schlag ins Gesicht des Klassenfeindes wurde. Der Landfilmmann brachte Kultur aufs Dorf, im großen Saal der "Linde" und der "Friedenstaube" wurde Meisterwerke wie "Fanfan der Husar" oder "Hauptmann Florian von der Mühle" gezeigt. Der Fortschritt bekam ein Gesicht, die große Welt war zu Gast in der kleinen, wenn Gérard Philipe und Gina Lollobrigida nach Langeneichstedt, Göttnitz und Zellewitz kamen.

Die Logistik dafür war ausgeklügelt, denn die Massen sollten einerseits massenhaft die Chance haben, der Massenkunst im abgedunkelten Kneipensaal zu huldigen. Andererseits hatte der Landfilm, nach dem Gesetz "zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz" vom März 1950 eine "selbständige Einrichtung zur Bildung des Lichtspielwesens als Teilsystem des Filmwesens" nicht genug Kopien zur Verfügung, um all unsere Menschen mit fortschrittlichem Celluloid zu füttern.

Weil die transportablen 35-Millimeter-Filmkofferanlagen da waren, die Filmrollen aber nicht, mussten radelnde Boten einspringen. In Ort A begann "Fanfan der Husar" deshalb um 19 Uhr zu fechten, in Ort B hingegen erst um 20 Uhr. Waren die ersten von durchschnittlich zehn Rollen pro Film in Ort A abgelaufen, fuhr ein Fahrradbote das Filmmaterial zum wartenden Landfilmkinopublikum in der Kneipe von B. Das wiederholte sich in der Folge so oft, bis alle Filmteile in beiden Kinos gezeigt waren.

Manchmal kam es dabei natürlich in den B-Orten zu Verzögerungen, die vom Filmvorführer überspielt werden mussten. Eines schönen Kinoabends, als die nächste Rolle des aufrüttelnden sowjetischen Klassikers "Es blinkt ein einsam Segel" partout nicht eintreffen wollte, begann der Landfilmmann ersatzhalber, seinem langsam unruhig werdenden Publikum die Handlung des ebenfalls im Sowjet-Hollywood verfilmten Jules-Verne-Romans "Ein Kapitän von 15 Jahren" zu erzählen, in der es den sowjetischen Filmschaffenden sogar gelungen war, Schwarzafrikaner von Schwarzafrikanern spielen zu lassen, ohne dass klar wurde, wo diese hatten verpflichtet werden können. Unglücklicherweise traf der Fahrradbote mit den fehlenden Rollen des "Segel"-Filmes auch noch ein, ehe der Kinonacherzähler beim Happy End angelangt war. Da der fünfzehnjährige Kapitän den Sprung ins Landfilmprogramm später nie schaffte, ist den Kinogängern von damals bis heute unklar geblieben, wie die spannende Reise der "Pilgrim" endet. Muss man nun bei Youtube nachschauen:

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Kultur war eben jeder zweite Herzschlag unseres Lebens, bis diese Schlingensiefs auftauchten, die Mangels Erfahrungen im Schuhe flicken oder der Herstellung von Werkzeugmaschinen, Regisseure wurden.