Mittwoch, 31. März 2010

Innovative Geschäftsmodelle: Der Tod ist mein Beruf

Hahaha, bollert ein großes, dunkles Lachen durch den Raum. Natürlich kenne er das, freut sich Heiko Weidenbart und er klopft dabei begeistert mit den Händen auf den Tisch. "Als Kinder haben wir das Buch doch verschlungen", bekennt er und erinnert sich dann an "eine absolut spannende, fesselnde Lektüre, soweit ich weiß von Melville oder Merle". Es geht um "Der Tod ist mein Beruf", ein Buch, das Robert Merle über Rudolf Höß, den Kommandanten des KZ Auschwitz, schrieb. Ein Titel, der aber auch gut auf die Memoiren des 36-jährigen Weidenbart passen würde, einem stämmigen Typen mit dunklem Haar und modischer Dickrand-Brille. Ohne die beiden so unterschiedlichen Leben vergleichen oder gar gleichsetzen zu wollen.

"Ja, es stimmt schon, sagt Weidenbart, "irgendwie ist es passiert: Der Tod ist mein Job geworden". Seine Frau scherze manchmal auch in Abwandlung eines Filmtitels "Der Tod steht ihm gut". Geplant war das nie, denn der Sproß einer Zeitzer Zuckerarbeiterdynastie empfand sich eine ganze Jugend lang als "eher lebensbejahend", wie er sagt. Doch als die alten Industriebetriebe um Zeitz zusammenbrachen und Weidenbart seinen Arbeitsplatz als Brückenführer in der Rechenzentrale einer nach der Wende in die USA verkauften Braunkohlengrube verlor, "war mir klar, dass ein Neuanfang ansteht".

Gemeinsam mit zwei Bekannten, die in einer ähnlichen Situation steckten, knobelte Heiko Weidenbart hartnäckig an einer innovativen Geschäftsidee. "Wir haben die Märkte analysiert, Wachstumsfelder ins Visier genommen und uns immer wieder gefragt, wo kann da unser Platz sein?" Weil sie alle drei aus der "Rechnerecke" gekommen seien, beschreibt Weidenbart, sei klar gewesen, "dass wir was mit Internet machen wollen". Viele Geschäftsfelder hier seien aber schon abgegrast gewesen, "bei anderen dachten wir, das hat keine Zukunft." Erst als sie eines Abends wieder beisammen saßen in Weidenbarts kleiner Wohnung am Zeitzer Neumarkt und sich die Köpfe heißredeten, kam plötzlich die Idee: "Wir sahen in unseren demoskopischen Fachunterlagen, dass wir die Alterung der Gesellschaft als Ausgangspunkt nehmen müssen."

Gestorben wird immer und immer öfter, je älter die Menschen werden, habe sein Gründerkollege Nico Röbitzsch gesagt und den Begriff "Web 0.0" erfunden. Zur Zeit sei das öffentliche Totengedenken zwar noch recht traditionell in den Tageszeitungen beheimatet. "Doch uns war klar, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird." Wenn erst die Generation Facebook anfange zu sterben, formulierten die drei Jungunternehmer in ihrem ersten Geschäftsplan, dann werde sich dieser letzte Offline-Anzeigenmarkt zweifellos ins Netz verlagern. "Unsere Antwort darauf war deathbook.net", sagt Weidenbart.

Noch in derselben Nacht reservierte das Trio den Domainnamen, innerhalb von wenigen Tagen danach wurden zahlreiche Unteradressen wie stillhere.com, ruhesanft.de und letztergruss.org auf ihre neugegründete Stilvolle Netzfriedhof GbR angemeldet, in die die drei Zeitzer jeden Cent steckten, den sie auftreiben konnten. "Wir haben sogar unsere Eltern angepumpt", erinnert sich Weidenbart, "denn irgendwie wussten wir, dass das eine Goldgrube wird."

Hoffnungen, die am Anfang nicht eintrafen. Ganz im Gegenteil: Die Goldgrube, die heute mit witziger Fernsehguerillawerbung etwa in Südamerika auf sich aufmerksam macht (Video oben - die unterlegte Ballade stammt von Nico Röbitzschs Hobbyband Death Note), wurde in den ersten Monaten zum Millionengrab. "Wir hatten zum Glück über einen Freund in Kalifornien schnell einen US-Venture-Capital-Funds von unserer Idee begeistert", erklärt der Zeitzer , der in der neugegründeten Gesellschaft Deathbook Inc freiwillig den Posten des sogenannten CEO übernahm.

Seitdem ging es konsequent aufwärts. Mit zahlreichen pfiffigen Angeboten avancierte Deathbook.net binnen zweier Jahre zum beliebtesten Online-Friedhof weltweit. Dazu beigetragen haben nach Meinung des Gründers (im Bild im Gespräch mit amerikanischen Geschäftspartnern) auch die speziell auf die Gedenkrituale in verschiedenen Regionen zugeschnittenen Angebote des Gedenk-Portals. Deutsche Trauergemeinden finden hier wahlweise große virtuelle Familiengruften, virtuelle grüne Wiesen oder das 1:1 ins Web übersetzte Standard-Gräberfeld, es können virtuelle Blumen oder auch prächtige Gebinde in einem virtuellen Floristenshop gekauft und Kondolenzbücher eingerichtet werden. Fotoalben, Video-Erinnerungen an schöne Momente und in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Bestatter hochgeladene Trauerreden ergänzen das Angebot.

Dank des quelloffenen Codes, den Deathbook verwendet, haben Programmierer aus aller Welt inzwischen Erweiterungen für alle Bedürfnisse geschrieben. Türken etwa erwarten hier virtuelle Laternenpfähle und Hauswände, an die die landestypischen Kleinanzeigen gepinnt werden können. Amerikaner können virtuelle Seebestattungen wählen, Hindus finden einen virtuellen heiligen Fluß, in dem die Toten mit virtuellem heiligen Wasser gewaschen werden, ehe sie an seinen virtuellen Ufern auf traditionelle Art mit virtuellem Holz verbrannt werden. Sogar an Trauernde jüdischen Glaubens ist gedacht - ein virtuelle Mauer erlaubt virtuelles Klagen.

Weidenbart, vor kurzem von der Handelskammer am Deathbook-Firmensitz im kalifornischen Santa Rosa als "Business-Rookie 2009" geehrt und längst einige Millionen schwer, hält das Angebot seines Unternehmens (Deathbook-Werbung rechts) für konkurrenzlos breit und günstig. "Für hundert Euro schaltet der Kunde bei uns eine Anzeige für die Ewigkeit", verspricht er selbstbewusst. Einmal hochgeladen, bleibe die Erinnerungsseite an einen teuren Toten für immer online. Deathbook übernehme im Moment bereits eine freiwillige 200- Jahre-Garantie und sichere ausdrücklich zu, dass eine Traueranzeige "sämtliche Hinterbliebenen auf jeden Fall überlebt", sagt Weidenbart.

Klar, dass soviel Erfolg Begehrlichkeiten weckt. "Ja, wir hatten Anfragen von dem anderen großen Book", lächelt Heiko Weidenbart, der inzwischen mit Frau Waltraud und den beiden süßen Töchtern in Kalifornien lebt. Facebook komme es darauf an, die Onlinestandzeiten seiner Mitglieder zu erhöhen und aus dem "Jugendtopf herauszukommen" (Weidenbart). Dazu sei die Deathbook-Klientel die ideale Ergänzung, denn "unsere Mitglieder sind ja die treuesten überhaupt". Mehrere Milliarden standen als Angebot im Raum. "Aber natürlich hätte ich das Geld nicht allein bekommen", grinst der Zeitzer, der denn auch keinen Moment zögerte, die Offerte auszuschlagen. Da sei er sich mit seinen beiden Gründerpartnern und den externen Geldgebern einig gewesen. "Wir setzen auf internes Wachstum und fühlen uns da langfristig auf der sicheren Seite", sagt er.


Mehr heiße Gründer-Stories von jungen Deutschen, die es geschafft haben, in der großen PPQ-Serie "Geschäftsideen, die wir auch gern gehabt hätten":

Hotbird: Papagei im Federmantel macht Grenztruppenoffizierssohn zum Millionär
Rettung für Vermieter: Preisgekrönte Hilfe zum Steuerbetrug
CO2-arm für Klimakunden: Gut gekühltes Leitungswasser als Erfolgsrezept

Jodeln mit Jonsi

Als Sänger von Sigur Ros benutzte Jon Thor Birgisson anstelle von Englisch immer eine selbstausgedachte Sprache, auf seinem ersten Solo-Album verzichtet der enigmatische Isländer aber nun auf diese Marotte. Was er auf "Go" singt, kling zumindest, als könnte es verständlich sein. Dazu kommen Gurren und Kirren, Tirillieren und Jubilieren auf flirrendem Soundteppich.

Der Rest auf Go ist wieder große Geste, pompöse Oper, Kopfstimme und überkandidelte Instrumentierung, aufgenommen in Island und, ein bisschen Weltläufigkeit ist immer gut, in Connecticut. Komplett zu hören ist das Wunderwerk an klingender Wichtigkeit hier:

Abriss-Exkursionen: Vom Wahrzeichen zur Wiese

Nur knapp 15 Jahre war er in Betrieb, Zeit, die dennoch ausreichte, den "Palast der Republik" zur Legende zu machen: Nach der Schließung des vermeintlichen Symbols der DDR-Diktatur im September 1990 folgten acht Jahre Streit um die Zukunft des Gebäudes, fünf Jahre Asbest-Sanierung und abschließend sechs Jahre Abriss.

Den hat der Berliner Maler Christopher Lehmpfuhl nach Angaben seiner Agentur "künstlerisch festgehalten". 25 Abbruchphasen der Jahre 2008 bis 2010 - den ganzen Weg vom Wahrzeichen bis zur Wiese habe er "bildlich auf großflächigen Ölgemälden umgesetzt".

Es ist alles, was nach einem "behutsam Rückbau" (dpa) von dem Gebäude geblieben ist, dem ARD-Korrespondenten einst stellvertretend für die DDR-Bevölkerung den Namen "Erichs Lampenladen" gegeben hatten. Wo seinerzeit die Volkskammer tagte, wurde zuletzt noch einm,al Theater gespielt, dann aber kamen die Bagger, um das Vorzeigehaus der Volksdemokratie in 76000 Tonnen Staub zu verwandeln. Ein Verein kämpfe stoisch weiter gegen die Vernichtung von Volksvermögen, Chefarchitekt Heinz Graffunder starb schließlich inmitten der Schlacht gegen die Ignoranten, die beschlossen hatten, das alte Stadtschloß wieder zu errichten, das einst abgerissen worden war, um Platz für den Palast zu machen.

Die Geschichte ein großes Hamsterrad, in dem alles wiederkehrt, nur unter anderem Namen. Das Stadtschloß, von Kurfürst Friedrich II. um 1450 erbaut und im Ersten Weltkrieg von Kaiser Wilhelm II. als Tribüne für kämpferische Durchhaltereden genutzt, soll nächstes Mal "Humboldt-Forum" heißen. Das neue, alte Haus könnte aus Geldmangel zunächst ohne die umstrittene Barockfassade entstehen, wurde neulich bekanntgegeben. Die ursprünglich anvisierten 80 Millionen privater Spenden sind in weiter Ferne. "Eine gewisse Entkopplung zur Wiedererrichtung der historischen Fassaden gegenüber dem übrigen Baukörper ist machbar."

Mehr Abriss-Exkursionen hier.

Dienstag, 30. März 2010

Fremde Federn: Rechte Gefahr immerdar

Die große Krise des Rechtsextremismus durfte hier kürzlich schon grob beleuchtet werden. Tiefer in den braunen Sumpft taucht jetzt dankenswerterweise eine erschütternde Analyse von Netzwerkrecherche, die von Halberstädter Glatzen, "welche den von der Bundeszentrale für politische Bildung verbreiteten Bordsteinkick in die Realität umsetzten", über "Hakenkreuz-Rebecca aus Mittweida, die sich aus Angst vor Nazigespenstern vorsorglich selbst malträtierte" bis zum wackeren Polizeichef Alois Mannichl und dessen Straßenschlacht mit einem schwerbewaffneten Schlangennazi schaut, um den Zustand der Wiedererrichter des Dritten oder Vierten Reiches zu beschreiben: "Wabernde Fernsehnazis" allüberall und rechte Gefahr immerdar, weil sinkende Zahlen immer auf steigende Gefährdungen deuten.

Dabei, schreibt NWR, war alles soweit gut. "War die Pubertät vorüber, kam bei den Tätern dann der Ausstieg; bei den Gewiefteren erfolgte er mediengerecht, um diesen in klingende Münze umzusetzen". Die Frage sei nur gewesen, wer "angesichts eines Riesenheeres an Aussteigern noch die notwendige Anzahl an Straftaten verüben" solle, die für weiter steigende Zahlen notwendig waren?

Ein klarer Fall: "Man behalf sich zunächst damit, jede Schlägerei, bei der das Opfer einen Migrationshintergrund hatte, als potentiell ausländerfeindlich zu bewerten. Später wurden alle krummen Striche als „hakenkreuzähnlich“ strafbar, bald darauf folgten Kleidermarken und Zahlencodes". Später dann ergab es sich, dass Zugereiste aus aller Herren Länder die Arbeit selbst erledigen: "Türken fackelten Dönerbuden ab, Algerier schmierten Hakenkreuze an Synagogen und Italiener warfen sich auf Bahngleise". Den einzigen von Neonazis im Jahr 2009 verübten Mord beging ein Migranten aus Rußland an einer Migrantin aus Ägypten - immerhin geschah er in Deutschland, ist also statistisch zweifellos eine neofaschistische Tat.

Völlig folgerichtig sieht die Qualitätsredaktion der Süddeutschen Zeitung nach Ansicht von NWR "den Konjunktureinbruch für das Jahr 2009 dennoch als Erfolg". Schließlich habe auch die DDR die jährliche Prozentsteigerung ihrer Wirtschaft als Zeichen für die ökonomische Überlegenheit des Sozialismus zu verkaufen gewußt: „Mit 19.500 Straftaten ist rechte Gewalt und Kriminalität damit auf dem zweithöchsten Stand seit 2001", hedißt es in der "SZ". Zwar habe im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang von 4,7 Prozent registriert werden müssen. Rechne man allerdings Propagandadelikte wie Hakenkreuz-Schmiereien aus der Statistik heraus, sei bei den rechtsextremistischen Straftaten sogar ein leichter Zuwachs zu registrieren – um 0,6 Prozent.“

Das ist das Erfolgsrezept schon in der DDR gewesen,. Man rechne raus, was die Zahlen versaut, und schon sind sie prima: Rechnet man nach dieser Devise alle Frosttage aus dem letzten Winder weg, war es natürlich wieder viel zu warm. Und die Landes- und übrigen staatlichen Bankenrettungsmittel beiseite gelassen, die der Steuerzahler ja sowieso nur von einer Tasche in die andere steckt, war das Krisenmanagement in Deutschland gar nicht teuer.

Auch bei den Nazis, schreibt NWR, gehe also immer noch aufwärts. "Stellten wir vor einem Jahr noch fest, daß jeder Bundesbürger rein statistisch innerhalb von 82.117 Jahren einmal Opfer einer rechten Gewalttat wird, so ist dieser Wert seit 2010 geringfügig auf 85.976 Jahre gestiegen." Aber das muss uns nicht beunruhigen, denn die „tageszeitung“ hat herausgefunden: „Neonazis schlagen härter zu“. Qualität statt Quantität – die statistische Option bleibt offen, so NWR, "einen harten Schlag doppelt oder dreifach zu zählen".

Denn daß die rechte Gefahr zumindest langfristig absolut "im exponentiellen Wachsen begriffen ist, lasse sich aus den Statistiken eindeutig erkennen. So sagt die Chronologie der Jahresstatistiken der Deutschen Kriminalpolizei sinngemäß aus, die NWR peinlich genau analysiert hat: 1944 habe es noch keine einzige rechte Straftat gegeben, 1964 dann aber schon 50. Im Jahre 1994 waren fast 5.000 und 2014 werden es wohl um die 50.000 sein. Eine Verfünfzigtausendfachung in nur 70 Jahren! Mit dem richtigen Ansatz geerchnet sind das rund 700 Prozent Wachstum pro Jahr. Das wiederum zeige, dass die Strategie "der Alimentierung von Anti-Rechts-Forschern und des Versenkens von Steuergeldern in Antifa-Projekte" Erfolge habe und fortgesetzt werden müsse.

Jäger der Eintagsfliege

Erst Helene Hegemann, die ihr drogensattes Discohasentagebuch von einem Blogger abschrieb. Dann unser Lieblingsrapper Bushido, der seine vielfach preisgekrönten Beats von der Band Dark Sanctuary klaute. Und nun auch noch die Polizei Sachsen-Anhalts, die ihre Fahndungsbilder neuerdings aus Youtube-Videos herauskopiert und die Screenshots dann als Polizeifotos ausgibt.

So geschehen auf der Suche nach den Spaßbrüdern, die nach dem Fußballspiel des Halleschen FC gegen den FC Magdeburg im vergangenen September mit Tränengas, Stöcken und Steinen gegen abmarschierende Fans vorgingen. Pünktlich zur halbjährigen Wiederkehr des Überfalldatum ist es den Fahndern gelungen, von einer eigens eingerichteten Spezialistengruppe mit dem Tarnnamen StrgaltDruck einen nahezu gestochen scharfen Gipsabguss einer Szene aus einem PPQ-Video erstellen zu lassen.

Ein Riesenerfolg für die SoKo "Hinterhalt", die darauf so stolz ist, dass sie unter souveräner Missachtung aller in Deutschland geltenden Regeln zu Urheber- und Verwertungsrechten "Foto: Polizei" als Quelle des Screenshot angibt. "Quelle Polizeidirektion Süd" schreibt auch der MDR wunschgemäß unter ein Fahndungsbild, das von der einzig wahren deutschen Nachrichtenagentur DPA in die Welt gesendet wurde.

Der Gebührensender hatte den PPQ-Film direkt nach dem Überfall auf die Fans noch selbst haben wollen. Die Anfrage per Mail lautete freundlich. Der Mitteldeutsche Rundfunk sei an einer Nutzung des Videoclips "Hallescher FC vs. FCM 1:1" interessiert, schrieb eine "Chefin vom Dienst" ohne übertriebene Höflichkeitsfloskeln. Man würde das Video "gern in der heutigen Ausgabe von Sachsen-Anhalt heute verwenden" und bitte daher, "uns Ihr Video zur nicht-exklusiven, zeitlich, räumlich und sachlich unbeschränkten Nutzung für die Ausstrahlung im MDR-Fernsehen, insbesondere in der Sendung „Sachsen-Anhalt heute“ sowie für die Nutzung des Videoclips und der unter Verwendung des Videoclips hergestellten Produktionen im Internet (im Wege des Abrufstreamings einschließlich Download) zur Verfügung zu stellen und uns zu gestatten, sie zu bearbeiten sowie zum Zwecke der Verbreitung und Weiterverbreitung auch Dritten zur Verfügung zu stellen".

Zum Zeichen des Einverständnisses und als "Bestätigung Ihrer Berechtigung zur Rechteeinräumung bitten wir Sie, Ihren Videoclips elektronisch an sah-cvd@mdr.de zuzusenden", lautete der an eine Anwaltsabmahnung erinnernde Einladungstext. Die zu erteilende Nutzungsgenehmigung gelte dann "für einen Zeitraum von 12 Monaten ab Erstausstrahlung".

Die PPQ-Anwort lautete seinerzeit, ähnlich nett formuliert, "Nein, abgelehnt. Wir gestatten ihnen die Nutzung ausdrücklich nicht". Die Polizeidirektion Süd fragt nun gar nicht mehr, obwohl nach Paragraf 2 Nr. 5, 72 UrhG jedes Lichtbild und Lichtbildwerk geschützt ist und "ohne vorherige Zustimmung des Fotografen als Urheber weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich zugänglich gemacht" werden darf. Tut jemand das dennoch, wird es teuer. Fälscht der Täter dazu noch die Fotoquelle, sogar doppelt.

Natürlich, hier ist der Täter der Rechtsstaat, sein Anliegen die gute Sache. Doch macht das das Internet zum "rechtsfreien Raum" (Angela Merkel)? Gelten im Netz andere Regeln? Hat die Polizei keine Möglichkeiten, Emails zu verschicken? Und warum sucht sie, die das Video ja offenbar ein halbes Jahr lang Frame für Frame studiert hat, überhaupt nach dem jungen Mann im weißen Shirt?

Ausweislich des Videos handelt es sich bei dem Gesuchten nämlich gar nicht um einen der Hooligans, die Feuerwerkskörper in die Menge schossen, Tränengas auf abmarschierende Kinder und Frauen sprühten und Pflastersteine auf die überforderte Polizeieinsatztruppe warfen. Die trugen schwarze Kapuzenjacken und Gesichtsvermummung, die nahmen sich nicht die Zeit, mit dem nackten Finger auf die Polizeitruppe im Vollschutz zu weisen und zu gestikulieren wie einst Napoleon auf dem Feldherrenhügel. Die Täter sind allerdings gerade deshalb auch nicht so scharf getroffen wie der nun Gesuchte. Weshalb die Polizei wohl einfach beschloß, den zu suchen, der auch gefunden werden kann.

Montag, 29. März 2010

Verbot der Woche: Nackt im Kind

Die Europäische Kommission macht den "rechtsfreien Raum" (Wiefelspütz) Internet nun noch sicherer. Nach der Einführung von Internet-Öffnungszeiten durch die Kultusminister der Bundesländer verpflichtet die oberste Demokratie-Behörde alle EU-Staaten, den Zugang zu kinderpornografischen Webseiten zu blockieren. Die Eebseiten selbst, so sieht es die EU vor, blieben dabei unbehelligt. Die geplanten Websperren seien Teil einer umfassenden Richtlinie zum Kinderschutz im Zuge der europaweiten PPQ-Aktion "Verbot der Woche", in deren Rahmen ab 2011 auch der Zugang von Minderjährigen in kirchliche Einrichtungen und staatliche Internate untersagt werden soll. Nur so könnten Kinder, hieß es aus der Komission, wirksam vor Mißbrauch geschützt werden, das hätten die jüngsten Erfahrungen "drastisch vor Augen geführt".

Es gehe darum, "mit den dunklen Ecken des Internets und den kriminellen Bildern von Kindesmissbrauch" (Foto oben) aufzuräumen", kündigte die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström auf der hell ausgeleuchteten Internetseite der FAZ an. Sollte die neue EU-Richtlinie Realität werden, freut sich heise.de, "entstünde in Deutschland eine paradoxe Situation: Die Bundesregierung müsste genau die Websperren einführen, die sie gerade ausgesetzt hat, um stattdessen ein Löschgesetz zu forcieren". Zur Zukunft der Klöster, kirchlichen Kinderchöre und freien Reformschul- sowie Sportschultinternaten äußerte sich das Onlineportal allerdings nicht.

Wer hat es gesagt?

Im Grunde braucht die SPD eine neue Vorstellung davon, wer heutzutage Solidarität verdient.

Sonntag, 28. März 2010

Schlachtfest im Bauernhaus

Am Anfang herzergreifende Bördepoesie. "Wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind" quieckt die Nordtribüne in der Heinz-Klüngel-Arena unter Vernachlässigung grammatikalischer Regeln. Bauerntheater in Magdeburg, die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts hat zum Derby in der Regionalliga geladen und jedermann erwartet sich ein Fest wie zuletzt im unterhaltsam verpfiffenen Pokalfinale. Damals war es einem in Überzahl angetretenen FC Magdeburg gelungen, die Schmach des verlorenen Endspiels 2008 mit Hilfe eines engagiert pfeifenden Schiedsrichterkollektivs aus der nahegelegenen Börde unvergesssen zu machen. Heute nun geht es um alles: Magdeburg steht nach einem bisher sieglosen Spieljahr 2010 ohne Trainer mit dem Rücken zur Wand. Halle dagegen auf Tabellenplatz zwei, von wo Spitzenreiter Babelsberg noch ohne Fernglas zu sehen ist.

Die Polizei hat Großkampftag, aus "Sicherheitsgründen" (FCM) waren sogar die Internet-Ticketschalter vorsichtshalber geschlossen geblieben. Dennoch sind 3500 Fans in Rot und weiß von der Saale über die Sülze an die Elbe gereist, um bei sonnigen 12 Grad im hochmodernen Betonbauernhaus, vom Bürgermeister der Hauptstadt einst ohne Genehmigung für die selbsternannten "Größten der Welt" gebaut, die hier traditionell fälligen Punkte abzuholen.

Ein Spiel wie keines, alle Jahre wieder. Vom Anpfiff weg spielen die in Schwarz aufgelaufenen Hallenser den kontrollierteren Ball, doch Magdeburg, aus der rot-weißen Kurve launig als "Magdedorf" verhöhnt, hat die erste Chance. Lars Fuchs, aus Braunschweig importierter Nachfolger des sympathischen Nadj Braham, schießt Halles Horvat den Ball freundlicherweise ohne Nachdruck in die Arme. Gegenüber macht es Selim Aydemir allerdings nicht besser: Auch der Ersatz des mit Handbruch ausgefallenen Pavel David, Halles etatmäßigem Magdeburg-Torschützen, bringt das Leder nicht über die Linie.

Aber die Gäste stehen hinten mit Mouyaya und Lachheb wieder sicher, Kanitz und der von Trainer Sven Köhler wieder in die Startelf gestellte Angelo Hauk kurbeln von außen, Finke und Hebestreit machen die Mitte dicht. Ein Spiel auf Augenhöhe, das verblüffend fair bleibt. Schiedsrichter Manuel Gräfe zeigt, was Übersicht und Souveränität ausmachen: Der Berliner Bundesligareferee steht gut und liegt dann richtig. Mit seinen Entscheidungen.

So dauert es bis zur 38. Minute, ehe die Südkurve jubeln darf, Der Ball kommt von links, geht an der Mittellinie auf rechts, von dort in Strafraumhöhe in die Mitte zu Hebestreit, der leitet weiter zu Neubert. Und der zwischen Kampfschwein und Chancentod oszillierende Stürmer, normalerweise darauf gebucht, echte Torchancen eher nicht zu verwerten, nimmt ruhig an und schießt aus zwölf Metern überlegt ins Tor.

Gewonnen ist natürlich noch nichts. Auch im Hinspiel stand es nach einem Schubert-Knaller schon 1:0 für den HFC, Magdeburg war nur noch zu zehnt - trotzdem gelang es den unbemerkt von sich selbst in die vierte Liga abgestürzten ehemaligen Europacupsiegern damals, noch den Ausgleichstreffer zu erzielen. "Beide spielen auf Augenhöhe", beobachtet der Magdeburger Heimatsender MDR auf dem Männerklo: Nach Chancen stehe es 2:1 für den FCM, der HFC sei "etwas cleverer".

Zu clever jedenfalls für diesen FCM, der heute ein Schlachtfest im eigenen Haus geboten bekommt. Waren frühere Siege des HFC hier meist Kampf und Krampf und Glück und Elfmeterscheißen, sieht heute alles nach Plan aus. Der Viererblock vor dem halleschen Strafraum steht wie eine Mauer, was durchkommt, fängt und faustet Torwart Darko Horvat weg. Zur Halbzeit denkt FCM-Aushilfstrainer Müller offenbar schon übers Aufgeben nach: Fünf Minuten lassen seine Männer ihre Gäste auf dem Platz warten, ehe sie sich denn doch wieder in die Schuhe und aufs Feld bequemen.

Dort gibt es aber auch jetzt nichts zu holen. Hilflos rennen die Blau-Weißen an, nach schnellen Kontern haben Kanitz, Hauk, Hebestreit und Aydemir mehrmals Gelegenheit, den Vorsprung zu erhöhen, ehe Sven Köhler von der Bank auf Ergebnissicherung umschaltet. Für Kanitz kommt Lindenhahn, für Hauk Hartmann, für Aydemir schließlich Müller: Im Fünf-Minuten-Rhythmus bekommen die Magdeburger neue Gegenspieler, weil Köhler ausnahmsweise mal nicht positionsbezogen wechselt, sondern jede Einwechslung ein kleines Stellungskarussell in Gang bringt. Ehe Magdeburg sich sortiert hat, ist schon die Schlußphase heran. Noch ein paar Feuerwerksraketen aus dem FCM-Block aufs Feld, weil das letztes mal geholfen hat. Ein paar blau-weiße Geheimagenten in Halles Stehkurve antworten auf demselben intellektuellen Niveau mit Böllern, so dass HFC-Kapitän Nico Kanitz händeringend an die nicht vorhandene Vernunft appellieren kommt. Im Mittelfeld knallt Bankert den großartigen Finke weg und sieht Rot. FCM-Keeper Tischer stürmt bei einer Ecke noch mit vor, wohl weil man das im Fernsehen manchmal so sieht.

Dann pfeift Gräfe ab. Halle liegt sich in den Armen, Lachheb tanzt, La-Ola-Welle, Uffta, zehn Minuten Party vor der Tribüne mit Markus Müller auf dem Zaun. Schließlich kommt auch noch Trainer Sven Köhler, schüchtern lächelnd. Während die Magdeburger Tribünen längst leer sind, müssen die Hallenser noch unterm Stadiondach warten. Passt alles heute: Draußen regnet ein plötzlicher Schauer alles nass, was Blau und Weiß trägt. Als die Polizei dann die Türen für die Sieger öffnet, strahlt die Sonne schon wieder.

Tragischer Traktorsportler: Der Gigant von Görzig stürzt

Heißt wie ein Schauspieler, boxt wie ein Mädchen und wenn der Gegner nicht von allein umfällt, dreht er sich weg und geht nach Hause. Steffen Kretschmann ist 29 Jahre alt und er kommt aus einem Ort namens Görzig, der über wenig mehr als eine ehemals von der "BSG Traktor Görzig" getragene große Geschichte als Boxsportstandort verfügt. Vor zehn Jahren holte Kretschmann eine Bronzemedaille bei der Amateur-WM in den USA, weil er wegen einer verletzten Hand vor dem Finale aufgab. Wenig später zog der kubanische Verband seine gesamte Mannschaft zurück, aus Protest gegen die Flucht einiger Boxer in die USA. Trotz verstauchter Hand wäre Kretschmann nun eigentlich fast automatisch Weltmeister gewesen. Aber er hatte eben leider schon aufgegeben.

Dabei ist es geblieben. Ein ganzes Jahrzehnt hat der wortkarge Riese trainiert und geboxt, geboxt und trainiert, zum Schluss ist er bei einem halbseidenen Promoter aus Hamburg untergekommen, der ihm eine Weltkarriere im Tausch gegen Leib und Seele bot. Steffen Kretschmann hat eingeschlagen, aber es sich dann anders überlegt. In einer "Doku-Soap" ließ er sich wochenlang bei der Vorbereitung auf den "Kampf seines Lebens" (Sat1) gegen den Russen Dennis Bachtow abfilmen. Knurrig wirkte er da und unglücklich. Am Kampfabend dann blieb er zumindest konsequent: Nach Punkten führend, drehte Steffen Kretschmann seinem Gegner in der 9. Runde einfach den Rücken zu und bedeutete, dass er aufgeben wolle.

Tolle Werbung für den Boxstandort in ohnehin schon viel zu kriegerischen Zeiten. Der Faustkämpfer als Abrüster, der Sportler nicht auf der Suche nach Ruhm und Titeln, sondern nach Rast und Ruhe. Steffen Kretschmann hat nicht das kantige Showtalent eines Henry Maske oder die schamlose Werbebereitschaft eines Axel Schulz. Der Görziger Gigant wirkt eher wie das späte Ergebnis konsequenter DDR-Friedenserziehung - ein Mann wie ein Berg, dem die winzige Boxweltmeisterin Regina Halmich bescheinigt, er habe "einfach keinen Killerinstinkt".

Alles richtig gemacht, Mutter Beate und Vater Gerald. So sind sie eben, die Boxer aus dem mitteldeutschen Ringrevier, so war schon Timo Hoffmann, den sie als "Deutsche Eiche" vermarkten wollten, der aber eher ein deutsches Kantholz war, das in keine Reklameschablone passte. Auch Kretschmann ist weder Dr. Faust noch eleganter Modellathlet. Aber er ist seit seinem Abgang ein Beispiel für Generationen: Wenn Du nicht bleiben kannst, dann geh, wenn du nicht schlagen willst, dann halte die andere Wange hin. Und wenn Dein türkischer Gebrauchtwagenpromoter brüllt, mach die Ohren zu. Frieden zählt mehr als Meistergürtel, ein demonstrativer Protestabgang wie der von Steffen Kretschmann tut mehr für das angeschklagene Image des Profiboxens als zehn Siege eines "Klitschko-Bruders" (ZDF). Erstmals seit Sven Ottkes erstem Auftritt war bei Kretschmanns Kamikaze-Aktion völlig klar: Hier war nichts abgesprochen, hier war niemand gekauft, hier wurde nicht im "Kampfgericht" (ARD) gekungelt und mit dem veranstaltenden Sender getürkt. Sondern ehrlich geboxt. Und mit den besten Gründen verloren.

Samstag, 27. März 2010

Ein Abend mit Adolf: Die lange Führernacht

Für die stets lesenswerte
Anmerkung ist es "Das Quotenduell der TV-Giganten": "Der Chefmoderator von n-tv, Adolf Hitler, ist heute Abend bei den Freunden gepflegter Speisen und edler Getränke zu Gast", heißt es da zum großen Hausbesuch im Führerhauptquartier. Hitler tritt gegen niemand Geringeres an als gegen Thomas Gottschalk, den Samstagabendominator. Gemeinsam mit seiner Gespielin Michelle Hunzinker hatte Gottschalk in der Vorrunde den Teppichluder-Titanen Dieter Bohlen ausgeschaltet.

Nun kommt es zum Showdown - ein Fest für Geschichtsfreaks, mit dem Vox vier Wochen vor dem 121. Geburtstag des Fernsehsenderlieblings schon mal das Reinfeiern einläutet. Dreieinhalb Stunden Führer pur - und danach ist noch lange nicht Schluss.

"Spiegel TV", einer der Amtssender des Diktators, bittet gleich anschließend alle die, die noch mehr darüber wissen wollen, was zwischen Eva und Adolf lief, wenn das Licht auf dem Berghof aus war, zur Aufarbeitungsrunde. "Das Dritte Reich vor Gericht" ist viel länger als eine normale Sendung von Richterin Barbara Salesch, da heißt es den Festplattenrecorder programmieren, denn parallel bietet Phoenix schon wieder GEZ-Geschichte von unten mit "Mein Kriegsende". Danach heißt es Umschalten auf Kabel 1, um die lange Führernacht zünftig auf dem "Panzerschiff Graf Spee" ausklingen zu lassen. Erst ab 4.45 Uhr, aufgrund der Sommerzeit-Umstellung diesmal eine Stunde früher als 1939, heißt es dann ab ins Bett, denn schon am Sonntagabend gilt es, wieder fit zu sein für "Griff nach der Weltmacht" (ZDF), "Pizza in Auschwitz" (Arte) und "Reichskanzler Brüning" (BR Alpha).

Fremde Federn: Was wir früher gar nicht wissen mussten

Schön, wenn einem mal jemand erzählt, wie es zugeht hinter den hohen Türen zur großen Politik, wo sich sympathische Machtmenschen uneigennützig um das Wohl des Volkes kümmern. So soll ja Qualitätsjournalismus sein, aufklärend, einweihend, rücksichtslos wahrhaftig, damit der Michel aus dem Mansfeld ein bisschen begreift, wie die Mechaniken funktionieren, die sein Leben regulieren.

Der "Stern" macht jetzt vor, wie das geht. Aufgeschreckt vom ehemaligen VW-Vorstand Klaus Kocks, der im wöchentlichen Fernsehgericht bei Anne Will von Auslands-Sauftouren des ehemaligen Arbeiterführers und Staatenlenkers Gerhard Schröder berichtet hatte, enthüllt Autorin Ulrike Posche in einem ""Reisebüro Bundesregierung" überschriebenen tapferen Text die nepotistischen Ausflugs-Praktiken am Hofe des Brioni-Kanzlers: Jürgen Großmann kommt vor, heute Chef von RWE, er spendiert "Magnum-Flaschen" Wein aus eigenem Anbau. Als "Sondergäste Kultur und Wissenschaften" sind auch der Lyriker Durs Grünbein, der Schriftsteller Moritz Rinke, der Fußballer Jürgen Klinsmann, Kunstmalermeister Markus Lüpertz und der Filmproduzent Hanno Huth an Bord. Sie kloppen Skat mit dem Regierungschef, sie besuchen zusammen Fußball-WM-Endspiele, schwatzen über Rotlichtviertel, es wird getrunken und gelacht und gekumpelt, dass es eine Freude gewesen sein muss für alle, die dabeisein durften.

Ulrike Posche durfte. Damals, als der Michel aus dem Mansfeld das alles natürlich noch nicht wissen musste, weshalb die Google-Timeline-Suche nach "Posche Schröder Lüpertz Grünbein" in der aktiven Zeit der fröhlichen Fluggesellschaft keine Treffer zutage fördert. Schreiben darüber tut Ulrike Posche erst jetzt, fünf Jahre nach dem Abtritt des regierungsamtlichen Lustreiseleiters. Eine brandheiße und höchst gewagte Geschichte, des "Wächterpreises" würdig. Für die "Stern"-Ausgabe in der dritten Märzwoche 2017 geplant: "Orgien mit Angela", Intimes aus dem Innenministerium Schäuble" und "Sigmar Gabriels wilde SPD-Parties".

Freitag, 26. März 2010

Wo winterbleiche Pimmel bammeln

Mit dem ersten Sonnenstrahl sind sie wieder da. Die Frösche. Die Angler. Und die Abenteurer auf der Suche nach Liebe. Am Kanal, einer einst vom heutigen n-tv-Moderator Adolf Hitler in Auftrag gegebenen, von der Arbeiter- und Bauernmacht aber später aus Protest gegen die Vorgängerdiktatur nie zu Ende gebauten Wasserstraße im Weichbild der Stadt Halle, wirft sich der alleinlebende Herr mit seiner mitgebrachten Decke auf den noch feuchten Boden, sobald der letzte Schnee getaut ist. Und sobald sich ein Spaziergänger nähert, hält er sein Gemächt dann stolz wie Bolle in Richtung Gehweg. Hier, wo die winterbleichen Pimmel schon im März zwanglos bammeln, als könne es der Mensch vor Hitze nicht mehr in seinen Unterhosen aushalten, geht es schließlich ums Sehen und erkannt werden. Zufällig jetzt gerade muss er sich strecken, der Herr mit dem Bierbauch, jetzt muss er sein glattrasiertes Genital der Sonne entgegenrecken und sich ein bisschen die Beine vertreten.

Mann darf und muss zeigen, was Mann hat, hier im größten Jagdgebiet der Gleichgeschlechtlichkeit, einem Kontakthof im Grünen, auf dem sich die Bedürftigen wie beiläufig begegnen. Der Kanal, im Staatssozialismus als "Anal-Kanal" in aller Munde, war schon zu DDR-Zeiten das Revier nicht nur von Anglern, sondern auch von Menschenfischern, die fingen und gefangen wurden, dass die Büsche keuchten und die kleinen Baumgruppen ringsum wackelten. Dabei ist es auch geblieben, nachdem Begriffe wie "Cruising" endlich beschreiben, was hier schon immer zu sehen war. Heute stehen am Rande Autos aus der ganzen Region. Und ungerührt, aber ökumenisch sauber getrennt, sitzen Petrijünger zwischen den Kurzzeitpärchen am Ufer der brackigen Wasser, in die niemals jemand steigt. Nicht im März, nicht im August und nicht mal hinterher.

Dramatikerpreis für Ultras

Es war die Mutter aller Provinzpossen, ein aufgeregtes Gegacker um das Auftauchen eines Hauchs von Wirklichkeit auf einer Theaterbühne inmitten einer medialen Darstellungspraxis, die sich weitgehend auf Sprachregelungsverkündung und schaumarme "Debatten um" konzentriert. Aus der Ameisen-Perspektive einer Gruppe von selbsternannten HFC-Ultras hatte Regisseur Dirk Laucke sein Doku-Stück "Ultras" stricken lassen: 90 Minuten ungeschminkte Selbstdarstellung der Angehörigen einer Subkultur, die sich selbst für die einzigen echten Lordsiegelbewahrer des einzig wahren Fußballerbes halten. Alle anderen "machen unseren Sport kaputt", sind nur Spieler, denen "der Ultra-Quatsch auf die Nerven geht" oder "Erfolgspublikum - da, so lange gewonnen wird, fort, sobald es Niederlagen setzt".

Eine Welt wurde vorgeführt, noch enger und fundamentalistischer als der Anschein vermuten lässt. Doch nicht die Tatsache sorgte für Aufsehen, dass es eine solche testosterongetriebene Parallelgesellschaft aus Männlichkeitsritualen und zelebrierter Abgrenzung mitten in Deutschland jenseits der Jahrtausendwende noch gibt. Sondern die Petitesse, dass im Stück noch einmal über die jahrzehntelang von aller Welt angestrengt überhörten, dann aber umso nachdrücklicher empörenden "Juden Jena"-Rufe gestritten wurde.

Halle hatte seinen Theaterskandal, die Bühnenultras waren Staatsfeind Nummer eins bis neun. Regisseur Dirk Laucke galt für ein paar Tage als schlechtester Theatermacher der Erde, die Intendantin des "Thalia"-Theater stand kurz vor der Ablösung.

Sie durfte bleiben. Nun hat Laucke, der in Halle aufgewachsen ist, den mit 10.000 Euro dotierten Dramatikerpreis vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft erhalten, verliehen von einer Jury aus lauter Intendanten, darunter vom Deutschen Theater Berlin, vom Schauspiel Frankfurt und vom Staatsschauspiel Dresden. Die Jury entschied sich einstimmig für den Jungautor, heißt es, denn Laucke habe "eine eigene Sprache gefunden, die Wirklichkeit auf die Bühne zu bringen". Mehr noch - sein Bühnenstück hat es sogar in die Wirklichkeit geschafft: Der Gebührensender MDR erfand ihm zu Ehren seinerzeit ultraaufgeregt und turboempört das neue Wort "antisemitistisch" (Video).

Wofür wir gern werben: Notopfer Kassenchef

Es liegt nicht in unserer Hand, trifft aber dank hervorragender Datenlecks, wie kürzlich auch die Stiftung Warentest lobte, immer öfter unsere ureigensten Interessen, was unser Werbepartner Google uns an Reklame in die Rechtsaußenspalte stellt.

Diesmal sind wir ganz grundsätzlich glücklich, im Rahmen unserer Serie "Wofür wir gern werben" mittrommeln zu dürfen für die kluge Gesundheitspolitik, die die im Volk leider bereits weitgehend vergessene Montanmedizinmentorin Ulla Schmidt seinerzeit im Auftrag der großen Rettungskoalition anschob. Damals wurde der weitere Anstieg der Krankenkassenbeiträge entschlossen verhindert, indem nach venezoelanischem Vorbild allen Kassen dieselbe Beitragshöhe vorgeschrieben wurde. Nur die Kassen, die mit diesen Einnahmen nicht auskamen, durften zu den normalen Beiträgen zusätzliche Gelder bei ihren Mitgliedern kassieren, um diese damit zu zwingen, zu anderen Kassen zu wechseln.

Das Notopfer Krankenkasse ist auch dringend nötig, denn die Kosten laufen den Kassen unaufhaltsam davon. So stiegen die Ausgaben der Techniker Krankenkasse für ihren Vorstandschef im vergangenen Jahr um rund 25.000 Euro auf nun 271.000 Euro - ein Plus von rund zehn Prozent. Die Barmer Krankenkasse genehmigte ihrem Vorstand empörenderweise nur 4.000 Euro mehr, Barmer-Chefin Birgit Fischer bekommt jetzt rund 203 000 Euro, das ist nur wenig mehr als Klimakanzlerin Angela Merkel erhält. Die DAK musste da mitziehen, sonst hättte ihr Chef Herbert Rebscher sicher auch einen Kassenwechsel erwogen. Auch die DAK legte 4.000 Euro drauf, so dass ihr Vorstand jetzt rund 235.000 Euro verdient. Die Mehrkosten werden aber komplett von dem Zusatzbeitrag aufgefangen, den die DAK von ihren Versicherten erhebt: Nur 41 DAK-Mitglieder reichen aus, das Gehaltsplus des Chefs zu finanzieren.

Donnerstag, 25. März 2010

Wissenschaft enträtselt Kanzlererfolge

Helmut Kohl war der Straege des aussitzend. Gerhard Schröder regierte mit ruhiger Hand und vollbrachte seine volkswirtschaftlich erfolgreichsten Taten, als er im Dauerwahlkampf acht Monate lang keine Zeit hatte, sich um das Land zu kümmern. Angela Merkel, so glaubten Beobachter bisher, eifert dem Erfolgsrezept der beiden Alt-Kanzler einfach nach: Wie ein Boxer, den ankommenden Schläger durch Mitgehen die Wirkung nimmt, schöpft die ehemalige FDJ-Funktionärin aus der Ruhe alle Kraft und entscheidet erst, wenn es gar nicht mehr anders geht.

Doch das ist allerdings, wie ein britisches Forscherteam jetzt herausfand, gar keine bewusste Taktik, sondern Ergebnis eines tiefsitzenden Instinktes, nach dem auch Menschen zu handeln versucht sind, die keine Partei vertreten: Sich einfach mal hängen (Foto oben) und den Dingen ihren Lauf lassen, denn am Ende wird es ja doch irgendwie gut gehen. Nach der Untersuchung der neuronalen Pfade im Gehirn, schreiben die Forscher in den "Proceedings of the National Academy of Sciences", neige der ganz normale Kanzler wie auch jede Kanzlerin dazu, Entscheidungen besser lieber nicht zu treffen. Dabei gilt die Faustregel: Je schwieriger die Entscheidung, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie ausbleibt.

"Ob es darum geht, in ein anderes Haus zu ziehen oder den Fernsehsender zu wechseln - es gibt eine beachtliche Tendenz, sich mit der gegebenen Situation zu arrangieren und sich dafür zu entscheiden, nicht zu handeln", bestätigt Stephen Fleming vom University College London Großvaters Erkenntnis darüber, dass nur etwas verkehrt machen kann, wer überhaupt etwas macht. Der daraus resultierenden "deutlichen Neigung zum Nichthandeln" (Fleming) haben man nachgehen und die Gehirnregionen untersuchen wollen, "die daran beteiligt sind."

Da der kommende CDU-Wiederehrenvorsitzende Helmut Kohl, sein Nachfolger Gasgerd Schröder und die amtierende Aussitzerin Angela Merkel für Experimente nicht zur Verfügung standen, wurden sechzehn andere Versuchspersonen gebeten, bei Ballspielen an einem Monitor zu entscheiden, ob der Ball noch im Feld war oder schon draußen. Für jede einzelne Situation wurde vom Computer eine Deutung vorgeschlagen, der sich die Probanden durch Festhalten einer Taste anschließen konnten. In dem Fall, dass sie sich der "Meinung" des Computers nicht anschließen wollten, mussten sie die Bestätigungstaste loslassen und zu einer anderen Taste wechseln, um den Vorschlag des Computers zurückzuweisen.

Viel Arbeit für wenig Ertrag offenbar. Es zeigte sich, dass die Probanden sehr viel häufiger dem Computer folgten, statt eine eigene Gegenentscheidung zu treffen. Wenn sie jedoch ihre eigene Entscheidung trafen, habe sich sofort "eine erhöhte Aktivität im Nucleus subthalamicus" gezeigt - eine Hirnregion, die in der Politik kaum benutzt wird.. Außerdem stellten die Forscher einen größeren Informationsfluss vom präfrontalen Cortex zum sogenannten Nucleus subthalamicus fest. Das deute darauf hin, dass diese Hirnteile irgendwie wichtig seien, wenn sich ein Individuum sich aufraffen wolle, eine Entscheidung zu treffen. Ihr Vorkommen bei Kanzlerinnen und Kanzler sei vor diesem Datenhintergrund jedoch zumindest zweifelhaft.

Wer hat es gesagt?

"Wenn die Menschen sich Gesetze machen, dann machen sie das, damit die Rechte unter ihnen aufrecht erhalten und nicht die Starken den Schwachen unrecht tun. ... Wenn aber der Staat sich selbst an die Gesetze nicht hält, verliert das Gesetz seine Glaubwürdigkeit und die Achtung."

Abriss-Exkursionen: Baracken aus dem Pleistozän

Was gewesen ist, bleibt nicht, denn was bleibt, ist nicht gewesen. In der Binnenhafenstraße, die in Halle zu einem Hafen führt, in dem kaum jemals ein Schiff anlegt, hat sich die Verwaltung entschieden, notwendige Abrissarbeiten am ehemals gewerblich genutzten Gebäudebestand von der ansässigen Jugend und der Natur erledigen zu lassen. Mit malerischem Grazie fällt zurück ins Pleistozän, was den Einheimischen in sozialistischer Zeit Arbeit und Brot gab. In Dünnbauweise errichtete Baracken, deren Zweck in einigen Jahren niemand mehr wird erahnen können, lasssen sich willig überwuchern von Disteln und Kletterpflanzen, die verschwenderisch voluminös gegossenen Heizungsanlagen hat der Schrottsammler schon geholt, das dämmende Asbest-Glasfasergemisch aus den Zwischenwänden trägt der Wind allmählich fort, unter Kleingärtnerabfall und Industriemüll versteinert zu unlösbaren Rätseln, was von der Vergangenheit geblieben ist.

"Große Lastschiffe sollen in Halle an der Saale ankern", hat der Gebührenfunk einst fantasiert, und von dort wären sie dann "weiter bis in die Elbe in Richtung Nordsee" geschippert. Dazu ist es nicht gekommen. Aber auch und wenn: Die Binnenhafenstraßen-Baracken, von denen nicht sicher ist, ob dort früher biologische Waffen gebaut, Menschen gequält oder ungeheuerliche Verwaltungsakte an wehrlosen Leichtmatrosen vollzogen worden sind, würden aber in jedem Fall zurückbleiben. Angezündet, aber nicht abgebrannt, aufgegeben, aber Zeugnis legend von einer Zeit, als sich die Natur zurückholte, was der Mensch meinte, nur von seinen Enkeln geborgt zu haben.

Mehr Abriss-Exkursionen:
Führers Hauptquartier
Buna-Kulturhaus X50
Volkspolizei-Atombunker
Hitlers FDGB-Heim
Paradies der Pioniere
Rätselhafter Riese
Kaderschmiede der Reichsbahner
Nach der Schlachtung
Abschied der Kosmonauten
Verschwundenes Fernsehwerk

Mittwoch, 24. März 2010

Armdrücken der Abwehrreihen

Und jedermann erwartet sich ein Fest zur besten Fußballzeit. Endlich mal darf der Hallesche FC nachmittags um vier ran, wenn die richtigen Kicker spielen. Leider fehlt ein bisschen. Es ist Mittwochnachmittag und das Nachholspiel gegen den Chemnitzer FC aus Zuschauervermeidungsgründen so angesetzt.

Trotzdem ein Spitzenspiel, trotzdem eine ansehnliche Kulisse. Sogar aus Chemnitz sind 200 angereist und das ist Grund genug für die Polizei Sachsen-Anhalts, einmal mehr den Ernstfall durchzuspielen: Mehr Truppen könnte der ehemalige Offiziersschüler Holger Hövelmann auch im Falle eines Atomschlages auf die mitteldeutschen Raffineriekapazitäten nicht aufbringen.

Straßen gesperrt, lange Staus, Strafräume dicht, lange Bälle, so läuft es dann an, das Duell um den Platz im Nacken von Tabellenführer Babelsberg. Die zweitbeste Verteidigung der Liga trifft auf den erfolgreichsten Angriff - da gibt es nicht viele Torchancen. Die beste hat Thomas Neubert, der Carsten-Jancker-Gedächtnisstürmer, der der gegnerischen Torwart nie ins Auge schaut, weil er mit dem Rücken zum Tor auf Pässe wartet. Sein Kopfball nach einer Kanitz-Ecke segelt als Bogenlampe Richtung 1:0, wird von dort aber vom ehemaligen Sachsen-Leipzig-Kicker Garbuscheski zurück ins Spiel geköpft.

Ansonsten Freistöße, zerhacktes Gekicke und dazu ein Schiedsrichter namens Martin Hofmann, der seine Gefährlichkeit immer wieder mit seltsamen Entscheidungen andeutete. Vorteile vermag sich keine Mannschaft zu erarbeiten, beiden wollen siegen, haben aber noch mehr angst, zu verlieren. Halles Hoffnungsträger Toni Lindenhahn taucht auf rechts unter wie Kapitän Nico Kanitz auf links, Thomas Neubert tut, was er kann, schafft es aber im Gegensatz zum letzten Wochenende nicht mehr, auch mal mit dem Ball am Gegner vorbeizulaufen. Aufregendstes Ereignis der ersten Halbzeit bleibt so der Strafraumsturz von Pavel David, der von seinem Gegenspieler angeschossen wird und danach wie gefällt liegenbleibt. Diagnose nach kurzer Unterbrechung: Der Ball hat die Hand nicht nur getroffen, sondern gleich gebrochen.

Für David kommt Selim Aydemir, ein flinker Flitzer mit ausgeprägtem Hang zur Selbstdarstellung. Fußballspielen kann der Türke, beschäftigt ist er aber hauptsächlich damit, zu winken, zu gestikulieren und zu hadern. Ganz anders hinten Patrick Mouyaya: Souverän räumt der Kongolese ab, was Schubert, Lachheb und der wacklig wirkende Benes durchkommen lassen. Bis auf eine Chance von Kellig, einst Torschützenkönig der Liga und in einer nebligen Aktion nicht nach Halle gewechselt, bleibt es beim Kräftemessen der Abwehrreihen mit wechselnden Freistoßschützen.

Dann aber kommen die fünf Minuten des Selim Aydemir, der die "23" von René Tretschok auf dem Rücken trägt. Martin Hofmann hat wieder angepfiffen, Halle einen Chemnitzer Angriff abgewehrt. In der eigenen Hälfte bekommt der türkische Nachwuchsnationalspieler den Ball, er nimmt den kürzesten Weg zum Chemnitzer Tor, lässt einen Sachsen stehen, dann den zweiten - und der dritte legt ihn dann, vier Meter im Strafraum.

Martin Hofmann aber hat noch nicht wieder Luft für einen Pfiff. Er winkt "weiterspielen" und provoziert damit die ersten "Hoyzer"-Rufe. Die hören nun auch nicht mehr auf, weil der Mann vom FC BW Dachwig/Döllstädt sich kontinuierlich zu steigern versteht. Zuerst übersieht er ein Handspiel von Trehkopf, dann ein Foul von Emmerich, schließlich bekommt Mouyaya sogar einen Freistoß wegen "Handspiel" aberkannt: Er hatte sich den Ball mit der Hand zurechtgelegt, nachdem Hofmann den Freistoß freigegeben hatte.

Szenen einer zerrigen, zerfahrenen Partie, denen nur Toni Lindenhahn einige Glanzlichter aufsetzt. Zweimal zieht der neben Chemnitz´ Emmerich einzige Hallenser auf dem Platz unwiderstehlich Richtung Tor. Zweimal wird er gefällt, zweimal vertändeln die Mitspieler den möglichen Torerfolg.

Dann nimmt Halles Trainer Sven Köhler den 20-Jährigen auch schon vom Platz, dafür kommt Angelo Hauk, zuletzt eine komplette Enttäuschung und auch heute das Gegenteil einer Offenbarung. Das Problem des HFC wird hier deutlich: Seit der etatmäßige Mittelfeldmotor René Stark verletzt ist, stellt sich die Mannschaft von selbst auf, auch weil Sven Köhler konsequent auf die Dienste des widerborstigen Thorsten Görke zu verzichten beschlossen hat. Fällt mit David ein weiterer Spieler aus, sind die taktischen Möglichkeiten am Ende und Verstärkungen nicht mehr auf der Bank. Aydemir spektakelt wunderbar herum und Hauk ist schnell - doch der eine spielt im Zweifelsfall eben nicht auf den freien Mitspieler, weil er selbst gefeiert werden will, wie sein desaströser Auftritt gegen Babelsberg schon gezeigt hatte. Und der andere läuft nicht dorthin, wo er hin muss. Sondern lieber dorthin, wo sich ihm kein Gegenspieler in den Weg stellt.

Viel tut sich daher nicht mehr. Martin Hofmann führt seine mitgebrachte Gelbe Karte noch fünfmal stolz vor, die Tribüne ruft "Hoyzer, Hoyzer". Sven Köhler ist sauer, sein Chemnitzer Kollege Gerd schädlich schaut immer wieder auf die Uhr. Dann ist es vorbei, die Premiere über die Bühne gebracht: Das erste Spiel der Vereinsgeschichte am Nachmittag eines ganz normalen Mittwoch endet 0:0, es ist das erste torlose Heimspiel seit dem Oktober 2009. Damals fuhr Halle anschließend nach Wilhelmshaven und gewann 2:0. Am nächsten Wochenende heißt das Reiseziel Magdeburg.

Terror der Tanzbären

Miserable Zahlen, Umsatzrückgänge, fehlendes Engagement, Perspektivlosigkeit - nachdem das Bundesinnenministerium die neue Statistik zum politisch motivierten Extremismus veröffentlicht hat, herrscht große Ratlosigkeit in der Öffentlichkeit. Wie sind diese Ergebnisse zu bewerten? Wohin führt der Weg der politischen Gewalt? Und was, bitte, ist denn nur mit unseren Rechten los? PPQ sprach mit Bastiane Schirauch, Symbolismusforscherin an der freien Fernuniversität Lahore und Expertin für Ipunktismus, über Stand und Entwicklungsmöglichkeiten des Extremismus in den Zeiten der Krise.

Frau Schirauch, lassen Sie uns gleich zum Kern kommen: Die neuen statistischen Zahlen sind ernüchternd, die Bilanz des rechten Extremismus zeigt Einbrüche auf breiter Front. Was ist denn nur mit unseren Rechten los?

Schirauch: Das ist eine gute Frage, die sich so einfach gar nicht beantworten lässt. Wir haben es hier nach Meinung der Wissenschaft mit einem Phänomen zu tun, das sich in allen Systemen zeigt, deren innere Erschöpfung nicht mehr durch Input von außen ausgleichen lässt. Ein Rückgang bei der rechtsextremen Straftaten um nahezu fünf Prozent ist ein Erdrutsch, gerade weil er einen Markt trifft, dem Medien, Wissenschaft und Analysten eigentlich ewiges Wachstum nachgesagt hatten. Lassen Sie es mich so sagen: Unverhofft kommt oft und meistens dann, wenn niemand damit rechnet.

Aber wo liegen denn die inneren Gründe für diese Trendwende?

Schirauch: Da haben wir es nach Ansicht aller Kollegen ganz eindeutig mit der Frage der Überalterung zu tun, die nicht nur die Gesamtgesellschaft, sondern unterdessen auch die gesellschaftlichen Ränder ergreift. Wenn wir zurückschauen, können Sie sehen, dass eine Wellenbewegung das Grundmotiv ist, nach dem extremistische Bestrebungen aufschwellen und abklingen. Kommen wir in den Binnenbereich der sogenannten Szene, sehen wir dort junge Männer, es sind ja zumeist Männer, die anfangs mit großen Idealen starten. Sie wollen radikaler und extremer sein als die Generationen vor ihnen, sie engagieren sich, die Szene blüht auf, weil dieses innere Glühen der Aktivisten natürlich eine gewisse Anziehungskraft hat, das muss man ja so sagen, ganz objektiv. Dazu kommt die Ablehnung der Mainstreamgesellschaft, die dem Ganzen eine Patina gibt, die mich, so habe ich das in meiner Grundsatzarbeit "Extremismus der Extreme" beschrieben, an Robin Hood und Rebellentum insgesamt erinnert.

Da haben wir also die Grundlagen der Anziehungskraft. Die aber scheint ja verloren.

Schirauch (Foto): Genau. das ist ja nicht wie beim süßen Brei, der sich aus sich selbst beziehungsweise aus diesem Töpfchen nährt und vermehrt, wie wir das im Märchen gelernt haben. Nein, hier sind Zuflüsse Teil des Konzepts und Wachstum ist nicht Ziel, sondern auch Lebenselixier des Extremismus. Schauen wir die Ursprungsgeneration an, dann sehen wir aus der extremen Nahsicht Personen, die neben ihrer extremistischen Karriere irgendwann beginnen, ein Alltagsleben führen zu müssen. Da kommen Frauen, da kommen Kinder, da kommen andere Hobbies. Und eines Tages kommt der Rechtsaktivist eben nicht mehr raus, wenn es zum Türkenklatschen geht, weil Elternabend ist der die Frau Yogastunde hat und jemand auf die Kinder aufpassen muss.

Es wächst sich aus?

Schirauch: Verharmlosend gesagt ja, es wächst sich aus. Denn nur die führenden Aktivisten einer solchen Bewegung können wirklich als Vollzeit-Extremist leben, ich denke da Steiner Wulff oder den kürzlich verstorbenen Rieger. Der überwiegende Rest ist darauf angewiesen, sich pro forma zu integrieren und den Extremismus sozusagen in seiner Freizeit auszuleben. Das aber ist dann kein Verhalten mehr, das Ausstrahlungskraft hat und als Vorbild für Jüngere taugt.

Damit fällt das Wachstum weg?

Schirauch: Es fällt zuerst in sich zusammen, es lässt nach, wir können das an den Zahlen sehen. Zuerst noch mehr Taten, aber schon weniger Täter, später schaffen die es nicht mehr, die notwendigen Steigerungsraten zu produzieren. Sehen Sie sich an, wann der klassische Skinhead-Haarschnitt aus der Mode geriet, dann wissen Sie, wie lange die Krise schon andauert. Das war eigentlich der Punkt, an dem nur noch eine Art Angstblüte der Szene Selbstbewusstsein suggerierte, für das es schon keinen Grund mehr gab. Medial ist die Schlacht nun auch offiziell verloren. Es wird, könnte man sagen, weniger sexy, zuzuschlagen oder Propagandataten zu begehen, was rückkoppelt auf nachfolgende oder eben nicht mehr nachfolgende jüngere Täter. Die "Bewegung", als die sich die politisch extreme Rechte sieht, fällt zusammen. Ein Teufelskreis.

Allerdings hat ja die Bundesregierung eigentlich alles getan, um die Bedingungen zu schaffen, unter denen Propagandataten auch wirklich breite propagandistische Wirkung entfalten können. Ein Hakenkreuz in eine Bushaltestelle gemalt, das reicht zuweilen für überregionale Schlagzeilen.

Schirauch: Das ist ja der Punkt, an dem die extreme Linke immer gesagt hat: Das ist unfair, das setzt einseitige Anreize für junge Leute. Sehen Sie als Rechtsextremer fällt es leicht, statistisch relevant strafbar zu werden. Schreiben Sie AH oder HH oder 18 oder 88 an eine Wand, schon sind Sie mitten in der Party, weil das jeweils als Code für den Namen des ehemaligen Führers und Reichskanzlers Adolf Hiler gilt, der ja heute einen richtig guten Job als Moderator bei n-tv und im ZDF macht. Aber versuchen Sie dasselbe Mal mit EH oder JS beziehungsweise mit 58 oder 1019 , da ernten Sie nur Kopfschütteln, weil Erich Honecker oder Joseph Stalin als Diktatoren eher belächelt werden. Ich will das jetzt nicht verharmlosen, was die beiden im Leben erreicht haben, denn das ist genaugenommen schon eine ganze Menge. Ich will nur sehr glasklar benennen, wie ihre historische Wirkung in der Bevölkerung ist. Nämlich sehr bescheiden.

Dennoch hat es die extremistische Linke ja geschafft, ihre aktenkundigen Aktivitäten zu steigern. 40 Prozent Plus mitten in der Krise, das ist doch ein Statement wie ein Paukenschlag?

Schirauch: Ja, dort ist man einfallssreich, um die mangelnde Strafbarkeit zu umgehen. Die Wissenschaft führt das nach letzten Untersuchungen, die mein Kollege Jens-Bert Wanszun in Neuengland gemacht hat, auf das höhere Bildungsniveau im linken Spektrum zurück. Hier haben Sie einfach viele, die studiert haben oder noch studieren und deren Zorn auf die Verhältnisse auch theoretisch zumindest theoretisch besser grundiert ist. Da lässt man sich etwas einfallen, um aufzufallen, und nutzt auch geschickt die eher hilflosen Vorlagen, die wie zuletzt in Dresden von der anderen Seite kommen. Das hat alles in allem viel Ritualisiertes, es steckt aber ein Körnchen Wahrheit drin.

Was raten Sie der Politik, die ja den "Kampf gegen Rechts" zu einem der entscheidenden Schlachtfelder um die Gunst der Wählerschaft gemacht hat? Sollte man dort jetzt nachlassen, um nicht die letzten zarten Pflänzchen zu zertreten?

Schirauch: Die Strategie, die bei der NPD verfolgt wurde, scheint mir hier ausbaufähig. Es geht darum, die nicht zuletzt von den aktuellen Zahlen demoralisierte Szene nicht fallen zu lassen, sondern ihr über die schwere Zeit der Depression zu helfen, auch personell. Die Gesellschaft braucht zuweilen eine Art Terror von handgezüchteten Tanzbären, da ist sich die Analyse einig. Ich denke aber, unsere Politiker wissen selbst, dass diese Leute immer gut zu gebrauchen sind, um von anderen Dingen abzulenken oder Gesetze durchzudrücken, für die es normalerweise keine Argumente gäbe. Wir werden das weiter beobachten.

Frau von Schirauch, wir bedanken uns für das Gespräch. Mehr Analysen zum Thema auch bei
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Per Haustausch in den siebten Himmel

In die Wiege gelegt worden ist ihm der geschäftliche Erfolg jedenfalls nicht. Nein, Ronny Kustenberg schüttelt den Kopf. Der großgewachsene Mittzwanziger lächelt breit: "Eigentlich", sagt er, "fing alles mit einer ziemlich bescheuerten Fernsehsendung an". Damals war der gebürtige Fienstedter gerade ganz unten. Zwei Jahre nach Abschluß seines Jurastudiums hatte Kustenberg noch immer keine Festanstellung gefunden, das mit Freundin Susanne und Söhnchen Mark-Gabriel gekaufte Einfamilienhaus im schönen Benkendorf war immer noch nicht fertig saniert, "doch die Raten liefen und liefen", erinnert sich der frühere Kreisklassefußballer, "und eigentlich sah ich kein Licht mehr".

Bis zu jenem Abend, als zufällig der Fernseher lief. Kustenberg saß am Schreibtisch und brütete über dem Haushaltbuch seiner kleinen Familie, Freundin Susanne schaute ihre Lieblingssendung "Frauentausch" und Ronny Kustenberg ärgerte sich einmal mehr, dass Erhaltungs- und Sanierungsaufwendungen für das bescheidene Anwesen seiner Familie "nach den steuerrechtlichen Regularien einfach mein Privatvergnügen waren, während mein Nachbar jeden Cent steuerlich gelten machen kann". Und das nur, erklärt der Fienstedter, "weil wir unser Haus selbst bewohnen, der Nachbar seines aber vermietet hat". Ursache dafür sind die vom Gesetzgeber vorgesehenen Möglichkeiten zur Abschreibung von Kosten bei vermietetem Wohneigentum, die nicht gelten, wenn das Wohneigentum selbst genutzt wird.

Plötzlich war sie da, die Idee, die das Leben der Kustenbergs für immer verändern sollte. "Ich dachte mit einem Mal", erinnert sich Anwalt Kustenberg, "was denn wäre, wenn ich mein Haus auch vermieten und dafür ein anderes mieten würde". Über "zwei, drei, vier Bier" hangelte sich der Hobbyangler mit dem markanten Kinnbart (Foto) dann immer weiter, "mir spukte irgendwann auch der Begriff "Frauentausch" durch den Kopf", sagt er. Nach ein paar Stunden, verbracht mit Lesen in dickbändigen Steuerrechtsvorschriftenordnern und ausgiebigem Googeln der Rechtsvorschriften im Internet, war Kustenberg dann zu einer Wahrheit vorgestoßen, die zahllosen Beobachtern in In- und Ausland bis dahin entgangen war. "Ich war mir sicher", sagt er, "dass ich die von Kommunen über Jahre genutzten Möglichkeiten des Sale- and Lease-Back genannten Cross-Border-Leasing endlich auch für den kleinen Häuslebauern nutzbar machen kann." Und das einfach, übersichtlich und ohne klafterdicke Verträge.

Kustenbergs ungewöhnliches Erfolgrezept ist eine Internetbörse namens Haustausch.cn, über die der inwzischen im schweizerischen Zug residierende Jungunternehmer eine ganz besondere Dienstleistung anbietet. "Einfach gesagt geht es darum", beschreibt er, "Hausbesitzern die Gelegenheit zu geben, ihr eigenes Haus steuerlich als Abschreibungsobjekt zu aktivieren". Was kompliziert klingt, ist in der Realität recht einfach: Über sein vielfrequentiertes Portal bringt Kustenberg Menschen zusammen, die Häuser besitzen, in denen sie selbst wohnen, was ihnen die Möglichkeit nimmt, die Kosten für Reparaturen oder Sanierungsarbeiten steuerlich geltend zu machen. "Wir sorgen nun gemeinsam mit namhaften Notaren dafür, dass der Besitzer des einen Hauses das Haus eines anderen Hausbesitzers kauft - und im Gegenzug umgekehrt", sagt Ronny Kustenberg.

Der Clou dabei: Gleichzeitig mit dem Haustausch, der notariell beglaubigt und im Grundbuch vermerkt wird, werden Mietverträge abgeschlossen, die dafür sorgen, dass jeder der beiden früheren Eigentümer in seinem früheren Eigentum wohnen bleiben kann. Der einzige Unterschied, der sich für beide am Tausch beteiligte Partner ergebe, sei der, dass vom Zeitpunkt des Verkaufs an alle Kosten steuerlich geltend gemacht werden können. "Das spart", erklärt Anwalt Kustenberg, "leicht ein paar tausend Euro pro Jahr". Über die gewöhnliche Abschreibungszeit eines neuen Hauses von 25 Jahren ergebe sich ein Zugewinn von zwischen 150.000 und 250.000 Euro. "Das schubst niemand einfach von der Bettkante", scherzt der Rechtsanwalt und Steuerexperte.

Entsprechend groß war der Ansturm, den sein kleines Internet-Vermittlungsportal vom ersten Tag an erlebte. "Nachdem einige Fachzeitschriften über uns berichtet hatten", erläutert er, "musste ich die ersten Mitarbeiter einstellen". Bis heute sind es 23 junge Leute, zum größten Teil ausgebildete Immobilienkaufleute und Rechtsanwaltsfachgehilfinnen, die bei Kustenbergs Firma Swinging Home Inc. eine Anstellung gefunden haben.

Bis zum 50 Häusertausche wickelt die im US-Bundessstaat Delaware in unmittelbarer Nachbarschaft von zahlreichen Tochterfirmen an gesehener großer öffentlich-rechtlicher deutscher Banken angesiedelte Internetfirma inzwischen ab - mehr als Ronny Kustenberg sich selbst jemals hatte vorstellen können.

Soviel Engagement wird belohnt. Inzwischen ist Ronny Kustenberg mehrfacher Millionär, zuletzt verlieh die Industrie- und Handelskammer dem innovativen Geschäftsmodell des Mannes aus Sachsen-Anhalt einen selbstgestifteten Preis. Anfänglich aufgekommende Kritik daran, dass haustausch.cn zur Steuerhinterziehung auffordere und anleite, ist glücklicherweise längst verstummt, mittlerweile hätten sogar einige Politiker mit seiner Hilfe Häuser getauscht, verrät der Jungunternehmer, ohne Namen zu nennen.

"Wir hatten ja auch einige Prüfungen durch die Finanzämter hier", lächelt Kustenberg, "und alle Prüfer haben uns anerkennend bescheinigt, dass wir völlig legal und im Sinne der deutschen Gesetzgebung handeln". Es sei vom Gesetzgeber beabsichtigt und vom Bundesverfassungsgericht auch so gefordert, dass Besitzer von vermieteten Immobilien die ihnen durch die Vermietung entstehenden Kosten von ihrer Einkommensssteuerschuld abziehen könnten. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Hausbesitzer selbst zur Miete wohnen und das vielleicht sogar in einem Haus, das dem Mieter ihres eigenen Hauses gehört. Derzeit tüftelt Ronny Kustenberg übrigens mit Experten aus großen Steuerkanzleien an einer weiteren Erleichterung für Häuslebauer. "Es geht darum, eine Möglichkeit zu schaffen, wie jemand sein eigenes Haus kaufen kann, ohne es danach noch zu besitzen", verrät der quicke Jungunternehmer augenzwinkernd. Er verspreche sich davon eine noch größere Nachfrage. Im Herbst soll es losgehen - parallel dann übrigens auch in Spanien, Portugal und Norwegen, die ähnlich Rechtsvorschriften haben. "Eine innovative Idee aus Deutschland macht Furore - wann hat es das schon zum letzen Mal gegeben", staunt Kustenberg selbst.


Notwendiger Nachsatz: Da die Haustausch-Seite von Ronny Kustenberg aufgrund des Ansturms von Interessenten nach dem PPQ-Berichtes zur Zeit häufig überlastet ist, bieten wir Haustausch-Interessenten einen Remailer-Service an. Anfragen können anonym und SSL-gesichert an politplatschquatsch@gmail.com geleitet werden, von hier aus gehen sie automatisiert an Herrn Kustenberg weiter.

Gesänge fremder Völkerschaften: Kaschubski mit Geige

Soviel Seele, so viel Chor und so kurze Hosen, dazu eine skelettartige Geige und viel Sonnenschein, schon qualifiziert sich der Auftritt der führenden polnischen Underground-Band Trzy Majtki für die weltkulturkritische PPQ-Dokumentationsreihe "Gesänge fremder Völkerschaften".

Um "Kaschubski" geht es den Musikanten aus Danzig, dem heutigen Gdansk ganz offenbar, mit ihm Leiden und Bangen sie sich durch die dramatischen drei Strophen der an Brecht und Weill geschulten Moritat, der der Mann an der Violine eine leicht irische Patina verpasst. Wer mag dieser "Kaschubski" sein, fragt sich das wie gelähmt lauschende Publikum? Kaschubski - ist das einer wie wir, herumgeschubst, getreten, geschunden? Ein Mann, ein Wort? Ein Schicksal ohne Ort?

Die Frage muss bis zu einer Übersetzung durch den Amtsarzt offen bleiben. Doch auch ohne offizielle Deutung steht fest: Selten nur fiel das Schaffen einer Band so sehr zusammen mit dem Anspruch des ehrenamtlichen Völkerkunde-Board PPQ, Brücken zu bauen gerade dort, wo keine Ufer sind, und die vielgestaltigen musikalischen Entäußerungen der Völker dieser Welt in einer allumfassenden Datenbank zu bündeln. Ob Saxophon in Schanghai, schüchterner Dylan in Los Angeles oder singender Jangtse-Treidler in China - in der aural nicht immer museumswürdigen Ausstellung klingender Kurz-Skulpturen hat alles Platz, was singt und drei Akkorde kennt.

Nachhaltiges Naturwunder

Atempause für die Atempause der Historie seit Inkrafttreten der Großen Rettungskoalition. Einen Moment lang wird wieder Geschichte gemacht wie seinerzeit vor Moskau oder als Willy ans Fenster kam. Und diesmal dürfen alle sagen, sie sind dabeigewesen beim historischen Tag, an dem alles anders wurde, während es von außen noch aussah, als bleibe es gleich: Erstmals, so zeigen funkelnagelneue Zahlen, gelingt es der einen Hälfte der deutschen Bevölkerung nicht, die andere zu ernähren.

215 Milliarden Euro Sozialausgaben werden im laufenden Jahr nur 212 Milliarden Euro Steuereinnahmen gegenüberstehen: Die Steuereinnahmen des Bundes, die bislang nie ausreichten, alle Staatsausgaben zu finanzieren, sind nun nicht einmal mehr hoch genug, um Transferleistungen und Zinsen auf bereits verbrauchte Kredite zu bestreiten.

Ein Naturwunder an Nachhaltigkeit bahnt sich an, bei dem eine ganze Großgesellschaft mehr Essen aus dem Kühlschrank nehmen wird, als sie zuvor hineingelegt hat.

Dienstag, 23. März 2010

Wer hat es gesagt?

"Wer Zeitungen besitzt und verlegt, ist ein reicher Mann. Reiche Männer aber gehören alle zum selben Klub. Sicher, es gibt schon Konkurrenz - harten, zähen Wettkampf um Auflage, Sensationsnachrichten, Exklusivberichte. Aber bloß solange, wie dergleichen nicht dem Prestige, den Privilegien und der Position der Besitzer gefährlich wird."

Immer mehr rechte Straftaten von links

Ein bisschen mehr muss sein, auch wenn es weniger wird. In Zeiten der Krise lässt offensichtlich auch der Elan im rechten Sumpf nach, so dass immer öfter linke Aktivisten einspringen müssen, um Wachstum für die Statistik zu produzieren.

Anders als von BKA-Chef Jörg Zierke noch im Dezember versprochen, gelang es der "rechten Brut" (Uwe-Karsten Heye) nicht, eine neue Rekordzahl an Straftaten zu produzieren. Wie PPQ bereits vor einigen Monaten vermutet hatte, ging die Zahl der rechten Straftaten im Krisenjahr 2009 zurück - und das gleich um 4,7 Prozent auf 19.468 Fälle, obwohl als "rechte Straftat" inzwischen auch zählt, wenn ein Fünfjähriger nach einem Indien-Urlaub versucht, sein erstes Hakenkreuz zu malen, wenn ein komatös betrunkener Deutscher im Sinne des Grundgesetzes "Sheissepack" auf eine Gartenbank in der Nähe einer Synagoge kritzelt oder ein einsames Mädchen in Mittweida sich von selbsterfundenen Bilderbuch-Nazis gefoltert fühlt. 19.500 Fälle sind, verglichen mit der Zeit zwischen 1933 und 1945, als nach der unbestechlichen Google-Timeline (unten) offenbar kaum rechte Straftaten begangen wurden, immer noch "erschreckend" (Zierke) viel. Aber der stete Kampf der Bundesregierung "gegen rechts" (Angela Merkel) trägt erste saftige Frucht: Es ist doch schon viel mehr weniger als zuletzt.

Dass emsige Medienarbeiter dennoch mit einem neuen Höchststand bei den politischen Straftaten von fast 34.000 Delikten schlagzeilen dürfen, verdankt sich nach der im Bundesinnenministerium selbstgemachten Statistik allein den Anstrengungen der grundsympathischen extremen Linken. Um sagenhafte 39,4 Prozent habe die Zahl der Straftaten hier insgesamt nach oben katapultiert werden können, meldeten die Statistiker. Obwohl Linksradikale bei der Begehung von Strataten gehandicapt sind, weil weder das Schmieren von roten Sternen noch das Zeigen des Thälmann-Grußes noch Absingen der DDR-Nationalhymne statistisch wirksam werden, konnten 9375 Taten gezählt werden. Darunter waren 1822 Gewaltdelikte - doppelt so viele wie fremdenfeindliche Naziglatzen zustande brachten.

Quengelnde Qualitätsjournalisten

Eine Kostbarkeit aus der "Tagesschau"-Redaktion, durch Die Anmerkung gottseidank brühwarm für die Ewigkeit schockgefrostet: "Seiten etwa von amnesty international bleiben" für Surfer in China "gesperrt", heißt es in einem sinnfreien Infotainment-Stückchen über den Google-Abzug aus China, "obwohl der Google-Server in Hong Kong steht".

Morgen in der Abendausgabe der AK: Strandkorbverleih Müller auf Hiddensee bleibt pleite, obwohl es bei Aldi diese Woche scharfe Sportsöckchen gibt. Und übermorgen dann der Oberüberknaller zum Basteln in der neuen Mitmach-Micky Mouse um 20 Uhr: "Regierung in Nordrhein-Westfalen bleibt im Amt, obwohl noch gar keine Wahlen waren".

Mit Pfiffen zum Pflichtsieg

Kinder, wie die Zeit vergeht. Eben haben sie noch hier gestanden und sich die Haare gerauft über die Lindemann-Art von Antifußball, das ziellose Ballgeschiebe unter Reinhard Häfner und die Verlagerung der Kampfzone vom Rasen in die Kabine unter dem Russen German Andrejew. Seit einiger Zeit hat nun schon vieles Hand und vor allem Fuß, was da unten auf dem Rasen versucht wird. Aber zur Pause im Spiel des Tabellenzweiten Hallescher FC gegen den Tabellenachten ZFC Meuselwitz wabert doch Unmut durch die Bröckelmauern des vor dem Abriss stehenden Kurt-Wabbel-Stadions. Pfiffe für ein Null zu Null, um das in den ersten 45 Minuten nie gezittert werden musste - die Ansprüche des Publikums in der Fußballprovinz steigen augenscheinlich noch schneller als die seit Monaten wachsende Zuversicht von Spielern und Vereinsführung, aus irgendeinem Grund wohl wirklich eine Spitzenmannschaft zu sein beziehungsweise zu haben.

Gegen die mit acht Mann mauernden Gäste aus der Stadt, die ganze Generationen von DDR-Montagearbeitern hervorgebracht hat, spielen die Hallenser geduldig an. Thomas Neubert könnte das erste Tor machen, aber er lässt es, auch Nico Kanitz verzieht. Angelo Hauk hingegen, nach der Winterpause auf Rechtsaußen gesetzt, fällt diesmal nur dadurch auf, dass er hinfällt. An seiner statt spielt Neubert den Fußball-Zauberer: Gleich zweimal schlängelt der kantige Riese sich an einem Gegenspieler vorbei, ohne wie sonst üblich den Ball dabei zurückzulassen.

Ein Spiel, dessen Ausgang schon vor drei Jahren klar gewesen wäre. Irgendwann hätte Meuselwitz einen einzigen Konter gefahren, ein Tor gemacht, die rot-weißen Hallenser wären nervös geworden und immer nervöser, sie hätten zahllose Chancen vergeben und noch mehr gar nicht erarbeitet, vor lauter Angst, sie dann doch zu vergeben. Bis kurz vor Schluss ein gerade eingewechselter ZFC-Nachwuchsmann zum 0:2 getroffen hätte.

Trotz der Pfiffe in der Halbzeitpause ist das inzwischen nicht einmal mehr eine Denkübung wert. Sven Köhler erkennt, dass Angelo Hauk heute die falschen Schuhe trägt, und er bringt Toni Lindenhahn, den größten Fußballästheten, den Halle seit Dariusz Wosz und Christian Fährmann in den eigenen Dressen gesehen hat. Kaum da, ist der 19-Jährige auch schon fort: Durch drei Mann schlängelt er sich Richtung Tor, der Schuss geht nur knapp vorbei. Und es geht weiter mit Fußball zum Zungeschnalzen direkt vor der Haupttribüne. Lindenhahn will Bälle und wenn er sie bekommt, zieht er unwiderstehlich an, als habe er eine Dosis Messi und eine Portion Marin inhaliert: Der Himmel über dem Stadion wird dunkel, unten auf dem Rasen geht die Fußballsonne auf.

Während der ZFC steht und über den jüngsten Hallenser auf dem Feld staunt, ist es die Ü30-Fraktion, die vorn alles klar macht. Erst legt Neubert auf David ab, der aus zehn Metern durch die Beine von Ex-FCM-Keeper Beer trifft. Dann legt Ronny Hebestreit nach: Kanitz bringt einen Freistoß, der Ex-Erfurter springt am höchsten. 2:0. Erledigt. Mission accomplished.

Damian Halata, früher ebenfalls in Magdeburger Diensten und in Halle deshalb so beliebt wie eiskalter Dauerregen am Spieltag, weiß auch Bescheid. Dem großen Sportsmann, zu seinen besten Zeiten sogar Nationalspieler, kullert ein ins Aus gegangener Ball direkt vor die Füße. Halata, dessen Mannschaft jede Sekunde bräuchte, um vielleicht doch noch das geplante Remis zu holen, starrt indianerhaft angestrengt über ihn hinweg ins Weite, er regt nicht Hand noch Fuß, sondern holt ein paar wertvolle Sekunden heraus, in denen die Niederlage nicht noch höher ausfallen kann.

Die Strategie geht auf, es bleibt beim 2:0. Schnell fängt es noch an zu regnen. Alle müssen jetzt eilig zum Auto. Da hat gar keiner mehr Zeit zum Pfeifen.