Donnerstag, 27. Januar 2011

Mehr Spielgeld gegen Spielsucht

Trauer, Wut und Scham deutschlandweit, stilles Entsetzen, peinlich berührtes Schweigen. Nachdem der verdienstvolle "Spiegel" in einer atemberaubenden Reportage aus dem Herzen der Finsternis erstmals öffentlich gemacht hatte, wie Migranten, "die es nach Deutschland verschlagen hat" (dpa), hier als willfährige Opfer der Spielautomatenindustrie herhalten müssen, regt sich Widerstand auch in den Kommentarspalten des ehemaligen Nachrichtenmagazins. Deutschland hat noch Empathie, Deutschland fühlt mit den Bedauernswerten, die "Spielhallen ohne einen Cent verlassen und nichts zu Essen für ihre Frau und ihre Kinder kaufen können".

"Widerlich, die Methoden der Ausländerfeinde", heißt es in einem rührenden Beitrag. "Sie stellen jetzt einfach Spielautomaten auf, um die armen Migranten spielsüchtig - ja krank - zu machen." Das sei ja fast, als ob die Migranten nicht wüssten, wohin mit dem Hartz4-Satz. Doch diese menschenverachtenden Methoden kenne jeder aufmerksame Fernsehgucker aus Amerika, wo man seinerzeit pockenverseuchte Decken an Indianer verteilt habe. "Ich weiß nicht, was perfider ist", fragt sich der geschockte "Spiegel"-Leser, "die Sache mit den Decken oder mit den Spielautomaten".

Nicht nur er hofft, dass "Spiegel Online" mutig "an dieser Schockersache dranbleibt". "Warum bekommen betroffene Familien nicht einen Heimautomaten, an dem der Herr Papa nach der Arbeit einfach abgestellt wird?", fragt ein besorgter Leser. Auch ein anderer Diskutant nutzte die Nacht und die weit offenstehende Kommentarfunktion, um seine tiefe Betroffenheit zu formulieren. "Ich als Gutmensch kann dazu nur sagen, dass die Gesellschaft und der Mangel an Perspektiven die Ursachen für die Spielsucht der Migrantinnen und Migranten sind", schreibt er. Ausweg könne nur die Aufstockung der Hartz-IV-Leistungen um einen angemessenen Betrag von 200 Euro im Monat sein, um Betroffene mit Spielgeld zu versorgen. Wichtig seien außerdem "die Vorort-Betreuung durch Sozialtherapeuten" und die Erleichterung des Familiennachzuges in die Sozial- und Betreuungssysteme. Der Staat habe eine Fürsorgepflicht. Auch und gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte müsse deshalb das Motto gelten: "Migranten fordert eure Rechte - wir bezahlen sie."

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4 Kommentare:

Oels hat gesagt…

Die Frage wer denn all die Automatencasinos und Geldwaschsalons betreibt, stellt sich dem einäugigen Qualitätsblatt offenbar nicht. Ohne Not werden hier die von Staatsministerin Prof.Dr.Maria Böhmer vielgepriesenen neugeschaffenen Arbeitsplätze madig gemacht. Die Kohle bleibt doch in der "Community". Wo ist das Problem ?

VolkerStramm hat gesagt…

Empörend, dass es 66 Jahre danach schon wieder so weit ist.
Beschämend, dass sich die Berliner Verkehrsbetriebe als Helfershelfer andienen.
Das sollte mal aufgearbeitet werden, mit allem drum und dran, mit Stopfersteinen, Gedenktagen, Wanderausstellungen und (das wichtigste!) Entschädigungen für die Opfer.

Im Übrigen scheint es, dass der SPIEGEL-Zensor eine ganz eigentümliche Art von Kündigung eingereicht hat.

ppq hat gesagt…

volker, dein letzter satz ist genial. sieht ja wirklich danach aus. der spiegel unzensiert. wo soll das nur noch hinführen?

Anonym hat gesagt…

erneut jede Menge Arbeit für ganz liebe SozialtherapeutInnen .

Leider hat spon meinen ausführlichen Kommentar zensiert , mal wieder .

systemfeind ( tm )