Samstag, 9. Juli 2011

Elend ist auch anderswo

1959 war Australien das drittreichste Land der Welt. Es wurde nur von den USA und Kanada übertroffen. Die englische Journalistin Jeanne MacKenzie, die zu jener Zeit zwölf Monate Down Under lebte, bemerkt in einem Bericht namens "Australian Paradox", dass drei Viertel aller Stadtbewohner Australiens einen Kühlschrank besaßen und fast die Hälfte eine Waschmaschine. Fast alle Haushalte der Nation, so erfuhren die staunenden Briten, hatten "zumindest ein Radio" und "die meisten auch andere Elektrogeräte wie zum Beispiel Staubsauger, Bügeleisen und elektrische Wasserkocher", wie der in Großbritannien lebende Amerikaner Bill Bryson in seinem Buch "Frühstück mit Känguruhs" zitiert..

Bryson ist ein Miesmacher. Er erinnert sich an die 60er Jahre. Und vergleicht sie mit heute. Auch in Australien war das Fernsehen damals brandneu, Sonntags gab es keine Zeitungen und alle Kneipen hatten zu. In den besten Restaurants sei Hühnchen Maryland eine absolut exotische Speise gewesen und "Austern servierte man mit Ketchup". "Für die meisten Leute begann und endete fremde Küche mit Spaghetti aus der Dose, Käse gab es in zwei Varianten - kräftig und würzig." Fünf Prozent der Jugendlichen besuchten die Uni, ein Rekord, denn 20 jahre zuvor waren es erst 1,56 Prozent gewesen.

Soviel Fortschritt, dass Bill Bryson ganz beeindruckt ist. "Nicht davon, wie viel besser es den Australiern heute geht", wie er schreibt, "sondern wie viel schlechter sie sich fühlen."

Für einen Außenstehenden sei es überaus seltsam zu sehen, wie die australier sich selbst einschätzen. "Sie sind nie mit sich zufrieden", hat Bryson bei ausgedehnten Reisen im Land bemerkt, "in Zeitungen, im Fernsehen und im Radio trifft man dauernd auf die quälende Überzeugung, dass es, ganz einerlei, wie gut es um die Australier steht, allen anderen garantiert besser geht."

Australien sei das Norwegen der Südhalbkugel, habe nie schwere gesellschaftliche Unruhen erlebt und niemals einen Dissidenten ins Gefängnis geworfen. Dennoch wuchern die Selbstzweifel. Ein Land nach dem anderen - die Schweiz, chweden, Japan, Kuwait - überhole die Australier in der Tabelle des Bruttoinlandprodukts, schon seien Hongkong und Singapur vorbeigezogen - in den Zeitungen kommentiert, als seien irgendwo an der Küste bei Darwin asiatische Armeen gelandet.

Es ist völlig unerheblich für die Australier, dass die meisten Ländern nur ganz wenig vor der Heimat rangieren und Australien sofort Boden gut mache, wenn Indikatoren für Lebenshaltungskosten, Bildungsniveau oder Verbrechensraten berücksichtig werden. 36 Prozent der Australier sind der Meinung, das Leben werde immer schlechter. Bryson nun, geborener Amerikaner, fragt sich: "Was wäre ihnen lieber: Drittreichster sein und völlig aus dem Häuschen, weil sie einen elektrischen Wasserkocher besitzen?" Oder doch lieber 21. und in einer Welt leben, in der Ihnen alles zur Verfügung steht, was ein vernünftiger Mensch nur haben will?

Von Deutschland aus gesehen ist die Anwort einfach. Hier waren zuletzt 44 Prozent der Einwohner der Meinung, das Leben werde immer schlechter.

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