Samstag, 15. Dezember 2012

Das Böse unter der Sprachsonne

Da sind sie nun also, die langerwarteten Worte des Jahres, die nicht verwechselt werden dürfen mit den „Unworten des Jahres“, die zwar auch von der Gesellschaft für Deutsche Sprache ausgedacht werden. Doch während die „Worte des Jahres“ die öffentliche Diskussion des betreffenden Jahres „besonders bestimmt haben“, wie die Gesellschaft angibt, sind die „Unworte des Jahres“ quasi die schwarzen Schafe unter den Vokabeln: „Formulierungen aus der öffentlichen Sprache, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen.“

Worten wie „Rettungsroutine“, „Kanzlerpräsidentin“, „Bildungsabwendungsprämie“, „Schlecker-Frauen“ und „wulffen“ lässt sich das nicht vorwerfen, zumal sie vernehmbare Spuren überwiegend in den Notizbüchern der Sprachwächter, nicht aber im wahren Leben hinterlassen haben. Abgesehen von den „Schlecker-Frauen“, die eine kurze, aber kräftige Medienliebe erlebten, als es galt, Krokodilstränen über den Untergang jener Firma zu vergießen, über deren Umgang mit den eigenen Arbeitnehmer viele Jahre so viele Krokodilstränen hatten vergossen werden können, und dem „wulffen“, dass es ins den Sprachschatz der Generation Abitur schaffte, handelt es sich bei den drei Siegerwörtchen augenscheinlich um Begriffe, die ausschließlich von einer kleinen Kaste an Dienstwagenfahrern in Gesprächen untereinander verwendet wurden.

Google News, das Thermometer für Nachrichtensprache, findet etwa „Rettungsroutine“ genau zweimal verzeichnet – einmal im März 2012 in einem Beitrag der „Welt“. Und einmal im Zusammenhang mit der Auszeichnung als „Wort des Jahres“.

Kann aber ein einmal verwendeter Begriff wirklich die „öffentliche Diskussion des betreffenden Jahres besonders bestimmt haben“? Oder tun das richtige Vokabeln immer – schließlich ist auch die „Bildungsabwendungsprämie“ vor ihrer Auszeichnung als eines der drei wichtigsten Worte des Jahres nie irgendwo benutzt oder verwendet worden?

Ist das vielleicht sogar der richtige Unterschied zwischen Wort des Jahres und Unwort des Jahres? „Döner-Morde“, im letzten Jahr als das Böse unter der Sprachsonne geehrt, wurden über Jahre in sämtlichen deutschen Leitmedien begangen – bis sich herausstellte, dass nicht türkische, kurdische oder sonstwie migrantische Täter Türken, Kurden und Griechen mordeten, sondern drei durchgedrehte Deutsche. Das Alltagswort wurde schlagartig zum Unwort, ebenso wie das durchaus gebräuchliche „Gutmensch“ oder zuvor schon „Gotteskrieger“, „Tätervolk“, „Moralkeule“ und „Leitkultur“.

Der direkte Vergleich zwischen Worten und Unworten zeigt, dass die Unworte eher Dinge benennen, während die „Worte“ das Gegenteil dessen bezwecken, was Sprache eigentlich soll. Sie verschleiern, bemänteln , lenken vom Kern der Dinge ab wie schöne Beispielen wie „schottern“, „Femitainment“ oder der Formulierung vom „unter den Eurorettungsschirm schlüpfen“ deutlich machen.

Wo von Stresstests, Arabellion, Abwrackprämie oder kriegsähnlichen Zuständen die Rede ist, sind Sprachpanscher am Werk gewesen, denen es um Getöse geht, nicht um Inhalte. Geht es dagegen um „Integrationsverweigerer“, eine „Rentnerdemokratie“, „Konsumopfer“ oder „Ehrenmorde“, wendet sich der Sprachästhet mit Grausen: Zuviel Wirklichkeit im Wort.

5 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

Wenn die GDS schon darauf besteht, obskure Wrte, die kaum jemand je benutzte, zum Wort der Jahres zu wählen, warum es dann nicht zur Gänze geheim halten? Ja, überhaupt das ganze Prozedere, die Kreißung und das Ergebnis im Geheimen lassen?
Dann wär a Ruah.

Volker hat gesagt…

Keine Angst, Thomas, das wird noch kommen.

Weißt Du zufällig, wie der Verfassungsschutz Anzahl der politisch motivierten Gewalttaten erfasst?
Macht nichts, ich auch nicht. Und alle die drüber reden, können es auch nicht sagen.
Trotzdem basieren tausenden Kommentare und Studien auf eben diesen vom Verfassungsschutz erfundenen Zahlen.

ppq hat gesagt…

soweit ich weiß, stammen die zahlen des verfassungsschutzes aus der polizeilichen verbrechensstatistik.

ich rätsele aber auch seit jahren, wieso die angaben der innenminister und die des BfV nicht identisch sind.

warum die zahlen zum selben komplex, die sie justiz vorlegt, andere sind, erklärt sich - das sind ja die, die nicht nur angezeigt, sondern auch angeklagt bzw. mit strafbefehlen abgearbeitet wurden.

leider stammen die justizzahlen nie aus demselben jahr wie die polizei- und BfV-zahlen (weil die anklagen ja in der regel viel später erfolgen), so dass sich beide bestände nicht vergleichen lassen.

letztlich also unbrauchbares material. richtig ist: es handelt sich wie beim wort des jahres um getöse, damit man im gespräch bleibt. wer wüsste denn ohne diese "worte" und "unworte" (die die GDS in hochsprache "unwörter" nennt), dass es sowas wie die gesellschaft für deutsche sprache gibt?

Volker hat gesagt…

Wenn die Zahlen des Verfassungsschutzes von der polizeilichen Statistik abgeschrieben sind, sind sie Humbug.
Woher weiß die Polizei denn das Motiv des Täters? Das kann doch nur in einer Hauptverhandlung ermittelt werden.
Werden alle Anzeigen als Straftaten registiert? Wenn ja, wie stellen die sicher, dass keine falschen Verdächtigungen in die Statistik kommen?

ppq hat gesagt…

das ist doch die frage

und keine ganz neue