Freitag, 28. Juni 2013

Kein Döner-Land in dieser Zeit

Nichts ist weiter weg in diesem Sommer als die kurze, hochroterregte Integrationsdebatte vor zwei Jahren, als Sarrazin aus dem Sommerloch auftauchte wie eine durchgegenderte Kassandra. Für einige überschaubare Momente schien es, als hinge die Zukunft der Migranten in Deutschland davon ab, wie sich ihr Ruf in der nichtmigrantischen Restgesellschaft entwickelt. Das größte gesellschaftliche Problem der Deutschen waren die Arbeitsmarktchancen von Einwanderern, deren Sprachprobleme und die Tatsache, dass der kulturelle Graben zwischen bereits länger ansässigen Stammbewohnern der deutschen Bundesländer und Zuwanderern mit den Jahren nicht kleiner, sondern größer zu werden schien.

Im Eilverfahren diskutierten die üblichen Verdächtigen ihre Auffassungen dazu. Fernsehgerichte tagten in Permanenz, Sarrazin musste sich vor einem Parteitribunal verteidigen, dem früheren Bundesbanker drohte eine symbolische Verbrennung auf dem Gendarmenmarkt in Berlin. Wie nach dem Urknall der Kosmos strebte das ganze Land auseinander, alle entfernten sich von allen, Zeugen beobachteten eine allgemeine Rotverschiebung, an deren Ende kein Problem gelöst, das Wort "Einwanderer" aber erfolgreich durch "Migrant" und das Wort "Migrant" durch "Mensch mit Migrationshintergrund" ersetzt worden war.

Das war es dann auch. Seitdem ist die Diskriminierung nicht deutschstämmiger Bürgerinnen und Bürger wieder ein Fall, der ausschließlich in Nischenmagazinen behandelt wird. Aus der Aufforderung zur Intergration ist eine Aufforderung zur Erhöhung der Chancengleichheit von Menschen aus Zuwandererfamilien geworden. Ein rituelles Negerverbot hat die Funktion der Integrationskrücke übernommen, Kommissionen von Fachleuten haben ausgeknobelt, wie sich die beiderseitige Anerkennung noch vertiefen lässt, auch der NSU-Prozess sorgte mit emotionalen Momenten für Augenblicke der Katharsis, die Integrierte und Integrationswillige noch entschiedener zueinander brachte.

Hetze a lá Sarrazin hat keine Chance mehr, wo die Unterschiedlichkeit von Kulturen und Lebensentwürfen als Wert ansich allgemein anerkannt ist. „Wir müssen akzeptieren, dass die Zahl der Straftaten bei jugendlichen Migranten besonders hoch ist“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die Diskussion zuerst versachlicht, dann beruhigt und schließlich in einer großen, andächtigen Stille hat auslaufen lassen, die nur von den Einwürfen der Schule der critical whiteness unterbrochen wird.

Andere Länder haben Probleme. Schweden, Frankreich, Großbritannien, Österreich. Deutschland hingegen hatte 20 Jahre nach Solingen einen feierlichen Integrationsgipfel. Das Wort "Integrationsprobleme" aber existiert nicht mehr, der Begriff "Migrantenproblem" ist ein rein schwedischer und selbst die Vokabel "Migrantenkinder" wird im kleinen Österreich fünfmal so häufig benutzt wie im medialen Deutschland.

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