Donnerstag, 6. März 2014

Krims Märchen

"Jede Halbinsel bildet sich ein, Insel zu sein", und umgekehrt gibt es keine Insel, die nicht gerne eine Halbinsel wäre, hat Wassilij Aksjonow vor 25 Jahren geschrieben. Der Russe, Sohn einer Mutter, die 18 Jahre ihres Lebens in stalinistischen Lagern und in der Verbannung verbrachte, hat sich in seinem leider nicht mehr lieferbaren Buch "Die Insel Krim" eine Welt ausgedacht, die die Krise von heute zum kommoden Dauerzustand macht.

Wie das, was derzeit passiert, beginnt auch Krims Märchen "in einem Frühling": Als die Truppen der Weißgardisten vor der glorreichen Roten Armee fliehen, damals, als Lenin noch lebt und die Sowjetunion "eine unerschütterliche realistische Auffassung von Geografie" hat, weil sie "weiß, dass die Welt auf drei Walen und zwei Elefanten ruht" (Aksjonow), sprengt ein junger Offizier kurzerhand die kleine Landbrücke, die in unserer Welt bis heute Halbinsel und Festland verbindet.

Die Krim ist in jener Galaxis nun eine Insel. Nicht mehr zugehörig der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, kein Teil Russland oder der Ukraine. Eher Taiwan, nahe dran und doch dabei, anders, aber gleich. Wo die UdSSR unter Lenin, Stalin und all ihren Nachfolgern eine neue, schreckliche Welt baut, entsteht einen Steinwurf entfernt ein Paradies ohne sozialistische Tristesse. Die Insel Krim: Traumland, Reiseziel, Einkaufsdorado, Disco-Elysium und eine Demokratie im westlichen Stil.

Wo Alexander Puschkin, Adam Mickiewicz und andere große Dichter schwelgten, lebt bei Aksjonow der Journalist Andrej Lutschnikow, ein Medienzar im kleinen wasserumfangenen Schwarzmeerimperium, in dem die Idee des erneuten Anschlusses an das Mutterland wegen älterer, dunkler Verbindungen, von denen der Mensch nicht lassen kann, doch wieder zur materiellen Gewalt wird. Eine Wiedervereinigung nach alter sowjetischer Machart soll es sein, mit Drohgebärden und am Ende mit rollenden Panzern.

Wie oft die Welt wechselt, die Realität bleibt dieselbe. "Die DDR, Ungarn, die Tschechoslowakei, Polen sind Vorgänger und Zeugen solch moskowitischer Politik - Estland, Lettland, Litauern vielleicht weniger, mehr aber schon die Ukraine oder Georgien sind diesbezüglich wohl auch heutzutage noch gefährdete Nationen", heißt es in einer Rezension aus längst vergangener Zeit, "Unruhen, die teilweise großen russischen Minderheiten in diesen Ländern, die es dann "zu schützen gilt", das alles können "böse Funken sein, die eine politische Gemengelage zur Zündung zu bringen vermögen."

Satire sollte das nach dem Willen von Wassilij Aksjonow sein. Damals, 1979. Heute mahnt Hillary Hitler an, Chefs abtrünniger Republiken führen "heikle" (Der Spiegel) Telefonate, bei denen deutsche Leitmedien nicht der Inhalt interessiert, sondern ausschließlich der Umstand, dass das rauskommen konnte.

Frontlinien zwischen Volk und Berichterstattern nicht nur in der Ukraine und Russland, sondern bis nach Berlin, Hamburg und München. "Auch unsere Berichterstattung ist nicht immer so gewesen, dass unsere Bevölkerung das ganze Bild bekommt", hat Fritz Pleitgen auf der Talkshow-Couch von Anne Will gemahnt. Nach seinem Satz folgte ein Loch, randvoll mit Schweigen. Ehe Elmar Brok, eine Art Mustermann für alles, was Menschen an Europa abschreckt, sprach: "Ich habe selbst als 68er demonstriert und bin nicht ins Gefängnis gekommen."

Während die einen aber friedlich demonstrieren, ziehen die anderen als entmenschter pro-russischer Mob durch die Straßen und hindern die Uno mit russischen Fahnen und drohenden Fäusten in die Knie. "Die Uno-Leute springen in ihren weißen Mini-Van und rasen zurück zum Flughafen, die Menge schwenkt ihre russischen Fahnen und feiert den Sieg über die Vereinten Nationen."

1 Kommentar:

Orwell hat gesagt…

1979-2014 -> 35 Jahre. Ja, sinds schon, leider. :)