Dienstag, 16. Dezember 2014

Gauck sucht Dialog mit Pegida-Demonstranten

Inmitten der Volksmassen: Bürgerpräsident Joachim Gauck sucht den Dialog mit den missbrauchten und von Rattenfängern verführten Neonazis in Nadelstreifen, die sich immer montags in Dresden zusammenrotten.
Eine Demonstration ganz anderer Art als bisher gewohnt erlebten die 15000 Teilnehmer und Gäste der allmontäglichen Pegida-Demo gegen Islamismus und Politikerlügen. Aus nah und fern waren sie wieder gekommen, um ihrer Wut auf die sogenannten Herrschenden freien Lauf zu lassen – dann aber dieses Bild: Kaum hatte der mehrfach vorbestrafte Rattenfänger Bachmann begonnen, wie immer Gift und Galle zu spucken, spazierte plötzlich Bundespräsident Joachim Gauck mitten in die Menge. Ein Zeichen an alle Missmutigen, Wirrköpfe und Politikverdrossenen: Der erste Mann des Staates beschwört nicht nur den engen Dialog mit allen Gruppen und Schichten der Bevölkerung, er prak­ti­ziert ihn direkt auf der Straße, nachdem der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) Politiker dazu aufgerufen hatte, auf die demonstrierenden „Pegida“-Anhänger zuzugehen.

Gauck, ganz Bürgerpräsident, lächelt freundlich und schüttelt Hände. Vorbei an der Semperoper führte sein Weg, von Passanten wurde er mit Worten und Zurufen wie "Es ist schön, Herr Gauck, dass Sie mal nach den Rechten sehen“ oder "So ist es richtig!" begrüßt. Hier ergeben sich wirklich "vielfältige Möglichkeiten zum abendlichen Meinungsstreit" (Neues Deutschland)! Der erste Mann des Staates inmitten der Bürger, endlich, atmeten viele auf.

Und viele griffen auch die Gelegenheit beim Schopf, mit dem äußerst beliebten Politiker zu reden. Um Angst vor Ausländern ging es, um die Furcht vor einer Ausnutzung der Sozialsysteme und steigende Energiekosten. Joachim Gauck stand natürlich Rede und Antwort. Die Probleme seien erkannt, sagte er, nun sei es Zeit, mit den Demonstrationen aufzuhören. Die Sorgen und Nöte seien ihm bekannt. „Ich kümmere mich um alles“, versprach Gauck. Im Gegenzug müssten alle „Pegida“-Chaoten aufhören, die Straße für ihre perfiden Parolen zu missbrauchen.

Applaus von den Begleitern des Bundespräsidenten für diese mutigen Worte. Noch mehr Menschen drängen heran, Bürger, Wähler, auch Paranoide, Verschwörungstheoretiker und Männer sind unter ihnen, die glauben, dass die NSA in Deutschland Abhöranlagen betreibt, dass TTIP nur den Mächtigen dient und dass Wolfgang Schäube seinen Haushalt auf Kosten der Kleinsparer saniert. Joachim Gauck fordert sie immer wieder auf, zu erzählen. Ein mühsames Unterfangen gegen den engen Zeitplan, das stramme Programm und die eher ernsthafte Stimmung, die den Termin mit dem Staatsoberhaupt prägen. Dennoch: Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt nehmen sich immer wieder Zeit für ein Zwiegespräch mit Einzelnen der Demonstranten, die oft enttäuscht und verbittert sind. Stellen Fragen, muntern auf, ermutigen. Und sie lachen gemeinsam mit den Chaoten.

Momente der Leichtigkeit an einem trüben Dezembertag. Dann ging es weiter von der Grünen Straße über den Markt in die Maxstraße, in der noch Ruinen an den zweiten Weltkrieg erinnern. Gauck war erfreut über den Bauzustand des vom Architekten Martin Hammitzsch errichteten „Yenidze“-Baus im Moscheestil, der im Gedenken an den Hitler-Schwager mit EU-Mitteln rekonstruiert werden konnte, und er freute sich aber über die vielen anderen schon sanierten Fassaden.

Nach seinem Rundgang durch die Elbestadt, die seit dem Verlust des Welterbe-Titels immer mehr Touristen anzieht, besuchte der Bürgerpräsident noch ein vor der Abschaltung stehendes Braunkohlenkraftwerk der Stadtwerke. "Wir sind noch nie so miserabel in den Winter gegangen", berichtete Geschäftsführer Reinhold Dobbermann. Die Energiewende habe die planmäßige Instandhaltung zweier Dampferzeuger unmöglich gemacht, ein dritter sei wegen der Ökoumlage außer Betrieb. So fehlen in diesem Kraftwerk gegenwärtig beträchtliche 180 Tonnen Dampfleistung mit Wärmekopplung. Die sei nicht mehr zu bezahlen. Ein erster, aber immens wichtiger Schritt zum kompletten Energieausstieg, lobte Gauck.

Im Maschinenhaus kam Joachim Gauck dann ins Gespräch mit Arbeitern und herbeigeeilten Angestellten. Er äußerte sich nachdenklich über die Problem durch Wind- und Sonnenstrom, nannte den eingeschlagenen Weg aber „mutig und vorbildhaft“. Er habe den Eindruck, alle Probleme seien beherrschbar.

Diesen Eindruck verstärkte auch die anschließende Fahrt durch das Studentengebiet Neustadt auf der anderen Elbeseite. Hier sind viele Häuser gar fröhlich bemalt, die Mieten gelten als niedrig, alle Einwohner studieren etwas mit Medien oder arbeiten in der Gastronomie. Gauck zeigte sich erfreut von der Buntheit des Gemeinwesens, das ihn die bedrückenden Bilder von den toleranzlosen Menschen, die den Pegida-Rattenfängern auf den Leim gegangen seien, ganz vergessen lasse.

"Ich muss sagen, ich bin einerseits tief betroffen, tief beeindruckt, weil nochmal das ganze Ausmaß deutlich wurde, wie Dresden in den vergangenen Jahren durch die Zentrale vernachlässigt worden ist", sagte er. Seit Helmut Kohls Einheitsdeklamation vor einem Vierteljahrhundert habe kein Spitzenpolitiker mehr eine historische Rede in Dresden gehalten. "Die Stadt selbst ist so ein Ausdruck dafür, wie viel Subjektivismus wir in unserer Politik hatten. Jetzt stehen wir alle, insbesondere auch die Zentrale, in der Verantwortung, etwas zu tun“, sagte er.

Er sei bereit dazu, denn er sehe, wie angestrengt und engagiert hier an der Elbe gedacht und gearbeitet werde. Auch sei er „beeindruckt von der Offenheit der Gespräche, die ich mit den Bürgern führen konnte." Joachim Gauck wandte sich an alle Menschen im Land und lud sie ein, mit Kompetenz und Ernsthaftigkeit an der weiteren Entwicklung der Demokratie im Lande mitzuwirken. „In mir“ sagte er, „finden Sie dabei alle immer einen väterlichen Freund und Ratgeber.“


Text nach Motiven der legendären ND-Reportage "Zu Recht nannte Egon Krenz seinen Besuch in Leipzig eine Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit, mit der unsere Partei an die Erneuerung des Sozialismus geht..." vom 28. November 1989

Wie einst Gustav Heinemann: Präsident Christians Wulff singt The Whos "Behind Blue Eyes"

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehr schön. Man möchte vor Dankbarkeit gegenüber Gauck, Nahles, Maas, GEZ und Mielke zerschmelzen.
Eine Frage nur: Was hat eine nüchterne Zustandsbeschreibung mit Satire zu tun?

ppq hat gesagt…

wir fragen uns das auch immer öfter

Anonym hat gesagt…

Fehlt noch ein Pater Gapon (laut Bolschewikipedia hat es mit dem ein böses Ende genommen), der die Bittschrift formuliert und die nach Gerechtigkeit lechzenden Untertanen zu Batjuschka Gauckler führt, auf daß er ihnen Huld gewähre.

eulenfurz hat gesagt…

Ein wahrhafter Bürgerpräsident, dieser Gauck! Leidet nicht im Geringnsten an Machtarroganz und Realitätsverlust.

ppq hat gesagt…

prächtig gesagt!

Anonym hat gesagt…

Kaum bin ich ein paar Tage im Weihnachtsurlaub, an den Gestaden des Mittelmeeres, schon wendet sich alles zum Guten. Es wird wohl das Beste sein, den Urlaub auf unbestimmte Zeit zu verlängern.

Anonym hat gesagt…

Realsatire: Gestern Panorama-Bericht in der ARD zum Thema Pegida und deren Behauptung, die Presse würde den Bürgern über weite Strecken nicht die Wahrheit sagen. Große Aufplusterung bei Moderatorin Anja Reschke. Sie hätten Pegida-Demonstranten in der Mediathek in ungeschnittenen Interviews zu Wort kommen lassen (so als ob die Auswahl nicht auch schon so oder so ausfallen könnte). Dann - einen Absatz weiter unten auf der Mediathekseite von ARD-NDR wurde eingeräumt, dass es sich bei einem der interviewten "Pegida-Demonstranten" um einen RTL-Journalisten gehandelt habe, der dort für das Interview einen Ausländerhasser gespielt hat. Kopf ---> Tisch. Die GEZ-Medien tun derzeit alles, um Wasser auf die Mühlen der Pegida zu leiten.