Samstag, 11. Juni 2016

Gegen die Krise: EZB startet Altsockenankauf

In der Welt der Zahlen kennt sich Annemarie Schröder bestens aus. Die 56-Jährige arbeitet bei ReWe an der Kasse, und wann immer es darum geht, Kunden, die besonders günstig an Waren herankommen wollen, abzukassieren, ist die gelernte Blumenhändlerin da und drückt mit ihren geschickten Händen die Kassentasten.

In wenigen Wochen könnte sie es im Bedarfsfall noch leichter haben, Kunden zum Einkauf von noch mehr Waren zu überreden. Dann nämlich wird die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals dazu übergehen, überzählige Haushaltsgegenstände, Altautos, gebrauchte Kleidung und abgelegte Bücher zu kaufen, um mehr Bargeld in Umlauf zu bringen, ohne die Privatschuldenquote zu erhöhen.

Es ist der nächste Coup, den sich der EZB-Rat unter der Leitung von Mario Draghi ausgedacht hat, um Europas Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Milliarden haben die Notenbanker bereits verausgabt, für europäische Staatsanleihen oder Pfandbriefe. Nun kommt der 770 Trillionen Euro schwere Second-Hand-Markt für private Waren hinzu: Alle beweglichen Güter, die in Wohnungen, Garagen und Kellern irgendwo in Europa schlummern, oft völlig vergessen von ihren Besitzern, können demnächst zu Bargeld gemacht und für neue iPhones, Jeans, Milch für Vollbäder oder Flachbildfernseher ausgegeben werden.

Die EZB wird damit zum Direktinvestor in Europas Wirtschaft, ohne dass das Geld wie bisher den Umweg über das Bankensystem nehmen muss. Die Risiken der Aktion sind zwar nicht abzuschätzen, der Nutzen für die Bürger übertrifft den der umstrittenen E-Auto-Initiative der Bundesregierung dagegen unzweifelhaft. Geht alles so wie von Draghis Spezialisten errechnet über die Bühne, wird die EZB binnen eines Jahres Alt- und Gebrauchtwaren von der Socke über das Silberbesteck bis hin zu ausgelesenen Zeitungen und Elektroschrott im Wert von rund 170 Milliarden Euro aufkaufen.

Geld, das anschließend planmäßig in den Konsum von Neuwaren fließen dürfte. Gemessen an den Erwartungen der Zentralbanker fällt die Einschätzung von Praktikern wie Annemarie Schröder geradezu euphorisch aus. "Mit der EZB als Investor für Gebrauchtartikel steigen die Preise für ältere Waren, damit erscheinen Neuwaren optisch günstiger“, glaubt sie. Dadurch entstehe höchstens die Gefahr, dass die Marktliquidität abnimmt, weil Fabriken in China nicht mehr mit der Produktion hinterherkommen. Mögliche Folge: deutlich stärkere Preisschwankungen.

Es sind aber die einzigen Bedenken, die das neue Programm der Währungshüter schürt. Immerhin ist CSPP, das "Corporate Sector Purchase Programme", nur eine von vielen Maßnahmen, mit denen Draghi und seine Kollegen seit Jahren mit großem Erfolg versuchen, durch viel Geld Europa zu retten. Die Bilanzsumme der EZB, das buchhalterische Spiegelbild ihrer Aktivitäten, hat sich mittlerweile auf über drei Billionen Euro aufgebläht, dafür aber ist Europa, das 2009 schon totgesagt worden war, immer noch da.

Gemessen an der Wirtschaftsleistung der Euro-Zone pumpt die EZB zwar mehr Geld ins System als die für ihren Aktionismus oft gescholtene US-Notenbank Fed, aber umgerechnet auf die Europäer sind die Zahlen keineswegs erschreckend: Rund 10.000 Euro Schuldenlast trägt jeder Bürger der Euro-Zone wegen der EZB-Schulden. Verglichen mit den 27.000 Euro, aus der normalen Verschuldung des Bundes, die auf jeden Bundesbürger entfallen, ist das eine Summe, die kaum ins Gewicht fällt.





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