Mittwoch, 5. Oktober 2016

Das Elend der Medien: Kämmen, stutzen, filtern - und verkaufen

Es geht ihnen nicht gut, den deutschen Zeitungen. Über Jahrzehnte haben sie Werbung verkauft, umhäkelt mit Informationen, die jedermann für welche hielt, weil sie in der Zeitung standen. Das gab Renditen im zweistelligen Bereich, wie sie sonst nur staatseigene Brauereien erreichen.

Ein gemütliches Geschäft, das erst ins Rutschen kam, als Internetkonzerne begannen, die Werbegelder abzusaugen. Und Leser bemerkten, dass die "Informationen", für die sie zahlten, häufig ein vorgekämmtes. hübschgemachtes Surrogat von Staates Gnaden sind. Hier fehlt etwas. Und dort ist etwas zu viel. Die halbe Wahrheit trifft sich mit persönlichen Vorlieben. Fertig ist die Pippi-Langstrumpf-Welt, in der jeder nur so viel erfahren darf, wie zur Zahlung seiner Abo-Gebühren notwendig ist.

Die Großverlage halten störrisch an ihrer Methode fest: Kostenlos verfügbare Informationen werden von zunehmend schlechter bezahlten Mitarbeitern gekämmt, gestutzt, gefiltert. Und anschließend als kostenpflichtiges Produkt weiter verkauft.

Wie das konkret und ganz genau funktioniert, zeigt eben ein Fall aus der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, die sich im Internet stolz "Der Westen" nennt. Auf der Basis einer offiziellen Polizeimeldung, in der die Pressestelle einen Angriff auf Polizeibeamte durch eine bedrohliche Menschenmenge aus rund 100 Personen schildert, destilliert ein namenloser Zeilensklave eine nur im Satzbau veränderte Schreibtischreportage über das Ereignis.

Wichtigste Änderung dabei: Aus dem 24-jährigen Rumänen, der im Polizeibericht als Auslöser und Anheizer des Zwischenfalls beschrieben wird, macht die WAZ einen "aggressive 24-Jährigen, der die Menschenmenge gegen die Beamten aufhetzte".

Zwar ist die Kenntnis der Nationalität des Mannes für das Verständnis des Vorgangs, bei dem sich hundert empörte Menschen um zwei Polizeibeamte drängten, deren Fahrzeug mit einer Flasche bewarfen, die Fahrbahn blockierten und den festgenommenen 24-Jährigen sogar aus dem Fahrzeug zu befreien versuchten, zweifellos notwendig. Doch entgegen den Vorgaben des deutschen Pressekodex entschied die WAZ, sie bei der Umwandlung der kostenlosen Polizeimeldung in eine verkäufliche Zeitungsnachricht zu entfernen.

Eine Strategie, die das ganze Elend der deutschen Presseverlage offenbart. Um am Markt zu bestehen, müsste eine Redaktion den im Internet für jedermann verfügbaren Informationen eigentlich eigene, exklusive Details hinzufügen. Stattdessen funktioniert es andersherum: Aus den für jedermann verfügbaren Informationen werden im Produktionsprozess Teile in der Hoffnung entfernt, damit nicht nur trotzdem noch irgendwie Geld verdienen, sondern auch im Regierungssinn auf die Realität einwirken zu können.

Das funktioniert, nur eben anders als gedacht: Einerseits schwindet das Vertrauen in Medien, die sich bemühen, ihr Publikum mit kindgerechten Nacherzählungen der Wirklichkeit zu informieren. Und andererseits ist etwa die kosmetisch saubere und inflationär gebrauchte Bezeichnung "ein Mann" im Zusammenhang mit bestimmten Ereignisarten für viele Leser zu einem Code geworden, der beim Lesen automatisiert in "ein Ausländer" übersetzt wird.


6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

http://www.nzz.ch/feuilleton/zeitgeschehen/michel-houellebecq-europa-steht-vor-dem-selbstmord-ld.118845

und ...

krautchan.net

eulenfurz hat gesagt…

Die WAZ - eine Erfolgsgeschichte:

https://eulenfurz.files.wordpress.com/2016/09/auflage-waz.jpg

ppq hat gesagt…

;-)

Anonym hat gesagt…

Selbst in den Artikeln in denen die Nationalität der Leute genannt wird lässt man das wesentliche weg. Man spricht pauschal von "Rumänen", dabei weiß jeder der die Dortmunder Nordstadt kennt dass es sich ausschließlich um Roma handelt.

Arno hat gesagt…

Ich glaube, das war nur ein Tippfehler und sollte "Romaenen" heißen.

Anonym hat gesagt…

Einige sehr geile Formulierungen. Respekt!

So kurios die Dynamik im Weglassen von Details auch sei, sie ist einfach zu erklären: durch schlechtes Gewissen. Der Leser könnte ja mutmaßen und beginnen, sich die Situation vorzustellen. Wo hat er das schon mal erlebt? Wem kann man so etwas zutrauen? Fußballfans! Leider war gar kein Spiel. Und leider sind die Menschen nunmal so, dass sie durch so ein Kauderwelsch nur noch mißtrauischer werden und gleich wieder der Schlimmste annehmen.

Wer dachte denn im ersten Moment an Rumänen?! Die allermeisten Rumänen sind furchtbar nett.

Ich dachte jedenfalls an Araber.