Samstag, 15. Oktober 2016

#NichtEgal: Sie nennen es Journalismus

Sich nie gemein zu machen mit den Dingen, über die man berichtet, nicht einmal dann, wenn sie grundgut sind, das war das Credo der Generation Hanns-Joachim Friedrichs, die mitangesehen hatte, wie schnell und gründlich sich die Vorstellung von "grundgut" zu ändern pflegt, wenn sich die Verhältnisse ändern. Und sie haben sich schon wieder: Zwei Jahrzehnte nach dem Tod von Friedrichs und zwei Jahre nach dem von Peter-Scholl Latour ist der Grundsatz nicht nur vergessen, sondern er ist von den Leitmedien als falsch erkannt worden. Unabhängigkeit, die Ware, die Journalismus verkauft, wird inzwischen meistbietend verhökert.

Die ehemals renommierte "Zeit" der Gräfin Dönhoff und die Altkanzlers Schmidt macht keinen Hehl daraus, dass ihre publizistischen Leistungen für jeden günstig zu haben sind. So hat die "Zeit"-Tochterfirma "Tempus Corporate" - spezialisiert auf "hochwertige Dienstleistungen in den Bereichen Corporate Media, Beratung und Veranstaltungen" - jetzt für die der Einhegung der Meinungsfreiheit auf einen übersichtlichen Korridor des Erlaubten dienende „#NichtEgal“-Initiative, die von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Google-Videoplattform Youtube finanziert wird. Man habe "die Storytelling-Formate" für die Kampagne konzipiert", preist die "Zeit" selbst an. Mit einer "redaktionellen Microsite" habe man "den Themenschwerpunkt der Initiative journalistisch umgesetzt", heißt es da wirklich und ernsthaft.

Sie fertigen Gebrauchsware, die von der in Sachen Zensur erfahrenen Google-Tochter Youtube und der als Propagandaarm des Innenministeriums gegründeten ehemaligen Bundeszentrale für Heimatdienst bezahlt wird. Und nennen es "Journalismus".

„Informieren, begeistern, kontern – das ist unser journalistischer Dreiklang für dieses wichtige gesellschaftliche Thema", beschreibt die "Zeit", in welchem Maß die Sitten wirklich verfallen sind. Das hier präsentiert "Angebot für die User" mit "vielfältigen Geschichten rund um das Thema Toleranz und Respekt für ein friedliches Miteinander“ (Chris Höfner, Leiterin Digitale Medien), ist ein einziger Werbefilm, glaubwürdig wie ein McDonalds-Clip, die neue VW-Kampagne oder das Wahlplakat einer politischen Partei.

Im Auftrag von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, die "Schirmherrin" der #NichtEgal-Bewegung ist, will die "Zeit" nach eigenen Angaben "positive Stimmen im Netz verstärken und zeigen, dass Hass im Netz #NichtEgal ist". Dafür bekommt sie Geld, dafür opfert sie ihre Glaubwürdigkeit, indem sie mit Staat und Großkonzernen ins Bett steigt.

Und damit erntet sie einen sehr überschaubarem Erfolg: Bei Twitter kommt die Kampagne trotz des gewaltigen finanziellen Aufwandes, der staatlichen und medialen Unterstützung und der prominenten Zuarbeiter bis heute nicht einmal auf 650 Follower.

Der Kunde erkennt offenbar, wenn er es ist, der verkauft wird. Und sei es auch nur für dumm.

3 Kommentare:

Immo Sennewald hat gesagt…

Danke ebenfalls zunächst für den Hinweis, dass beim Kampf um die Nutzung von Herdenimpulsen für eigene politische Zwecke immer noch die Methoden der Schweine in Orwells "Farm der Tiere" gute Dienste leisten. Allerdings zeigt sich immer wieder einmal, dass - auch bei Orwell nachzulesen - die Realität ziemlich hartnäckig widersteht, wenn Ideologen sie umzulügen versuchen.
So wurde das Wort "Freunde" - stalinismusverträglich auf jeden beliebigen Einwohner der Sowjetunion gemünzt - in Zeiten der DäDäÄrr zu einem Ausdruck von Misstrauen, Hohn, Spott. Viele Russen haben nicht verdient, in diesem Sinn als "Freunde" bezeichnet zu werden, es erhebt sich also die Frage, ob es nicht als zu verfolgende "hate speech" einzuordnen ist.
Oder anders gewendet: Darf jemand wie Heiko Maas es als "hate speech" einordnen, wenn ich ihn als, hm, äußerst honorigen Volksvertreter oder leuchtenden Verfechter des Grundgesetztes bezeichne? In Kenntnis meiner Denkweise könnte er sich womöglich beleidigt fühlen. Das Problem hat E.T.A. Hoffmann im "Meister Floh" schon einmal illustriert: der Geheime Rat Knarrpanti sah sich jederzeit imstande, Personen zu kriminalisieren. Habe man einen Delinquenten erst einmal inhaftiert, meinte er, fände sich schon das passende Delikt, ihn auch gerichtsfest beliebig lange hinter Gitter zu bringen.
Ich überlege, ein "Dschungelbuch der Deutungen" zu schreiben, das die ganze Komplexität solcher tierisch-menschlicher Phänomene zumindest aufscheinen lässt. Aber womöglich wäre das nur ein ebenso hoffnungsloser Versuch wie die Texte von Peter Panther, Theobald Tiger,... alias Kurt Tucholski, den Erich Kästner einmal als kleinen dicken Berliner beschrieb, der versucht habe, mit seiner Schreibmaschine eine Katastrophe aufzuhalten.
Naja. Die Einwohner der DäDäÄrr durften zwar Tucho lesen, der war ja Antifa, aber nicht Orwell. Manchmal frage ich mich, ob der Applaus für die Weisen nicht der Herde nur hinreichender Ersatz fürs Nachdenken über die Verhälnisse im eigenen Gatter ist. In der Regel befreit sie von ihrem Schicksal nur der Schlachter oder ein Wirbelsturm. Aber der macht sie ratlos und weckt nostalgische Wünsche nach verlorener Stallwärme. Zu besichtigen etwa bei der ihrer Sowjetunion beraubten Freunden.
Was bleibt? Tiefes Misstrauen gegenüber Deutern. Tieferes Misstrauen gegenüber Deutern von Gut und Böse. Tiefstes Misstrauen gegenüber Deutern, die Herdenimpulse in Dienst nehmen wollen, indem sie Heilsversprechen daran koppeln.

'Tim Taler oder die verkaufte Journaille-Objektivität' hat gesagt…

Die Weltliteratur ist voll von Hate speech.

Auch von Liebesbekundungen, Treuegeständnissen, Flüchen, Verwünschungen, Neid- und Racheschwüren.
Und das seit Jahrhunderten......

Anonym hat gesagt…

Man sollte vermeiden, die "dusselige Gräfin" (cit. Fritz J. Raddatz "Tagebücher Jahre 1982 - 2001", p. 629) als ehemaliges Positivum der "ZEIT" zu sehen oder gar zu benennen. Zu oft war die Dame recht weit neben der Spur.

- kdm