Mittwoch, 30. November 2016

Wahlkampfstart: Linksrutsch per Angstkampagne

Hieß es früher, "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler", wird daraus im Vorfeld der Bundestagswahl nun offenbar eine Angstkampagne mit dem Claim "Wer AfD wählt, stimmt für Angela Merkel". Das hat die SPD-Zentrale in Berlin beschlossen, die sich davon einen Rutsch vieler Wähler nach links verspricht.

In der Frankfurter Rundschau stellte SPD-Vorständlerin Hannelore Kraft die Werbestrategie jetzt erstmals vor: Danach soll bis zuletzt nicht bekanntgegeben werden, wer für die SPD ins Kanzleramt einzieht. Damit will die SPD "unentschlossene Wählerinnen und Wähler" direkt ansprechen. Vor einem "Weiter so" mit Angela Merkel wolle die SPD-Kampa im Straßenwahlkampf und den sozialen Netzwerken gleichzeitig direkt mit Plakaten warnen, auf denen der einprägsame Spruch "Wer AfD wählt, wählt Merkel" prangt.

Mit dieser klar formulierten Angst vor weiteren vier Jahren Merkelei will die deutsche Sozialdemokratie abschrecken, gleichzeitig soll die Doppelstrategie nach rechts und links aber auch Wähler zurück in die Mitte holen, wo Schulz, Gabriel oder Beust sich als bürgerliche Alternative zur Alternative für Deutschland und zur alternativlosen Kanzlerin gleichzeitig bereithalten. Je nach Wahlausgang werde die Partei dann ihr Personaltableau erstellen und "mit Sicherheit einen guten Mann bereithalten, um Verantwortung zu übernehmen", wie es im Willy-Brandt-Haus heißt.

Erste Politologen warnen allerdings schon, dass die SPD hier ein riskantes Spiel spiele, bei dem sie nur verlieren können.  So sieht der renommierte Medienwissenschaftlers Hans Achtelbuscher vom An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung in Halle an der Saale in dem "zumindest originellen Claim", wie er es nennt, "die offenkundige Gefahr, dass Hetzer, Hasser und Zweifler ermutigt werden". Im Unterschied zu dem, was Sozialdemokraten in ihren Hinterzimmern wahrzunehmen glaubten, sei es vermutlich so, dass viele potentielle AfD-Wähler ihr Kreuz erst recht bei der Rechtsaußenpartei machen würden, wenn sie wüssten, dass sie mit dieser Wahlentscheidung auch noch Angela Merkel stützten.

"Diese Unbelehrbaren wollen die Stabilität, für die Merkel steht", hat Achtelbuscher in einer Umfrage herausgefunden, "gleichzeitig wollen sie aber eine andere Politik, wie sie die AfD verspricht." Unausgesprochen herrsche in völkischen, fremdenfeindlichen, hassenden und hetzenden Kreisen nicht nur in Sachsen, sondern bis ins westdeutsche Bürgertum die Überzeugung, dass es gelingen könne, Merkel mit einer massiven Wahlentscheidung für die AfD von ihrer europafreundlichen, humanistischen und globalisierungsbegleitenden Linie abzubringen und sie zu zwingen, stattdessen den entmenschten Forderungen der rechten Radikalinskis eine Plattform zu geben.

Achtelbuscher warnt vor diesem "Ritt auf der Rasierklinge eines an den 30er Jahren orientierten Lagerwahlkampfes". Als die KPD seinerzeit im Jahr 1932 auf Moskaus Geheiß vor einer Wahl Hindenburgs gewarnt habe, weil der Hitler mit einem Amt betrauen werde, habe das beim Wähler kaum verfangen. Zwar hätten die Parteien, die Hindenburg unterstützten, Stimmnen verloren. Doch der KPD-Kandidat Ernst Thälmann bekam weniger Stimmen als seine Partei bei den Reichstagswahlen zuvor und danach.

Ob eine gleichartige Warnung vor der AfD denselben Effekt haben wird, vermag Hans Achtelbuscher derzeit noch nicht genau zu sagen. Für die SPD sei es jedoch ein "absolutes Wagnis, die Probe darauf in der Realität zu machen". Es könnte sein, sagt der 52-jährige Wissenschaftler im PPQ-Gespräch, "dass es danach nicht einmal mehr zu einer großen Koalition reicht."


Hausinterner Islamismus: So sicher ist Deutschland wirklich

Islamisten haben in Deutschland keine Chance - sie werden immer gefasst. Und eine Mütze und einen Schuh verkauft das auch noch.
Ja, er hat sich schamlos eingeschlichen ins Allerheiligste der Hochsicherheitszone Deutschland. Aber! Er kam eben nicht, wie Rechtspopulisten aller Art das nur zu gern gesehen und liebend gern behauptet hätten, als Flüchtling mit dem Zustrom des vergangenen Jahres. Nein, der Islamist, den aufaufmerksame Verfassungsschützer jetzt mitten im Herzen des deutschen Verfassungsschutzes enttarnen konnten, ist nach Angaben des Nachrichtenmagazins "Spiegel" ein deutscher. Oder aber, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, "ein gebürtiger Spanier, inzwischen mit deutscher Staatsbürgerschaft".

Ein EU-Bürger also, gegen den alle Zäune und Mauern nicht helfen, hat er sich erst einmal radikalisiert und salafisiert. Offene Grenzen im Schengen-Raum, dazu das Verbot der Alterdiskriminierung: Der 51-jährige Neubürger, verheiratet und Vater von vier Kindern, war erst im April beim Bundesamt eingestellt worden, um gewaltbereite Salafisten zu beobachten.

Eine Traumkarriere, die zeigt, dass Deutschland bereit ist, von Integration nicht nur zu reden. Sondern wirklich Angebote zu machen, die Zuwanderer überzeugen.

In diesem Falle aber nicht für lange. Nur sechs Monate nach seiner Einstellung "postete der frisch eingestellte BfV-Mitarbeiter, inzwischen nebenberuflich beschäftigt mit der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" (SZ), erstmals im Netz islamistische Parolen", unter "falschem Namen" (Spiegel), aber nicht gänzlich unbeachtet. was man so macht, wenn mann "einen Bombenanschlag in der Zentrale des BfV in Köln" (SZ) plant.

Ein Chatpartner, gegenüber dem er "unter verschiedenen Aliassen" (Spiegel) mit seinem Job beim Verfassungsschutz geprahlt und dem er zudem auch noch Dienstgeheimnisse anvertraut haben soll, war allerdings ein Kollege vom gefürchteten deutschen Inlandsgeheimdienst. Schnell klickten die Handschellen, Einsatzpläne auf "Speichermedien" wurden gefunden und der mutmaßliche Islamist gestand, seinen islamistischen Treue-Eid vor zwei Jahren "gegenüber dem salafistischen Prediger Mohamed Mahmoud geleistet" zu haben. Der Terrorist und Verfassungsschützer in spe sprach sein Terroristengelöbnis  Baiʿa (arabisch بيعة) dazu nach übereinstimmenden Berichten eines Rechercheverbundes aus SZ, FR, Taz, Speigel, Stern, SWR, BR und 44 anderen Sendeanstalten in ein - nicht überwachtes - Telefon.

Mohamed Mahmoud hatte damit einmal mehr seine Gefährlichkeit bewiesen. Der Sohn eines Ägypters war 2008 in Österreich zu vier Jahren Haft wegen Vorbereitung eines Anschlag auf die Fußball-Europameisterschaft 2008 verurteilt worden. Nach Verbüßung seiner Strafe zog er nach Deutschland um und später ging er nach Ägypten, um im heiligen Krieg zu kämpfen. Nach einer Festnahme durch türkische Behörden entschlüpfte er seinen Verfolgern aufgrund einer vorübergehenden Freilassung, so dass es ihm offenbar gelang, weitere Gefolgsleute zu rekrutieren.

Doch so sicher ist Deutschland wirklich: Es gelingt den Islamisten zwar, ins Innerste des inneren vorzudringen. Doch überall haben die Sicherheitsbehörden ihre Leute, überall wachen sie treu über den Schlaf der Bürger. Und kann so nun auch einen großen Erfolg vermelden. Es sei dem Verfassungsschutz gelungen, "einen mutmaßlichen Islamisten unter seinen Mitarbeitern zu enttarnen", zitiert der "Spiegel" einen Behördensprecher, dessen Stolz auf den vernichtenden Schlag gegen den hausinternen Islamismus selbst aus diesen wenigen dürren Worten spricht.


Dienstag, 29. November 2016

Italien: Die letzte Kugel im Hoffnungslauf

Auch für die Macher von fuersieda.eu stellt sich die Frage, wie lange noch Geld da ist.
Es sind wieder Tage, die nach Schicksal riechen. Wie damals vor vier Jahren, als Angela Merkel mit dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy noch fünf nach zwölf die Kuh vom Euro-Eis holte und eine europaweite Rettung aller durch alle hinlegte, von der schon gar keiner mehr spricht. Diesmal wird es Italien sein, nicht Griechenland oder Spanien, das "das historische Projekt Europa, das größte Friedensversprechen seit dem Zweiten Weltkrieg" (Tagesspiegel) in seinen Grundfesten bedroht.

Matteo Renzi, den in Deutschland gar keiner kennt, kämpft um seine "Reformen" (dpa) und an seiner Seite kämpft der ganze fortschrittliche Kontinent. Scheitert Italien am nächsten Sonntag, scheitert Renzi. Scheitert aber Renzi, die letzte Kugel im Lauf der Hoffnung, dass schon irgendwie ausreichend Zeit gekauft werden könne, um Europa wieder auf Vordermann zu bringen, scheitert Europa. Die Welt. Das Weltall. Alles. Merkel.

Wiedermal. Immer noch. Und immer wieder. "Anders als Griechenland ist Italien für die Stabilität des Euro von hoher Relevanz", warnt der Tagesspiegel. Kein Rettungsschirm sei groß genug, "Italien jenen finanziellen Schutz zu geben, der die Folgen des vorhersehbaren Zusammenbruchs großer Banken abfedern könnte". Der Euro muss zerbrechen und alles, was die Väter der Gemeinschaftswährung in den vergangenen Jahren mit so viel Mühe aufgebaut haben, verschwindet im Nirgendwo.

Es fängt, die EU ist ihrer Zeit wie so oft voraus, jetzt schon an, vorsorglich. Gerade noch hatte die Gemeinschaft auf der Internetseite fuersieda.eu mutig für ihre Werte geworben. Und schon ist die Seite, womöglich, weil der italienische Beitrag nicht mehr aufgebracht werden kann, weg, spurlos verschwunden, eingegangen in eine große, leere EU-Gmeinschaftsseite, die ihren Besuchern "No such application. Please check the URL".

Die Gebühren für die Domain sind auch nur bis kommenden Sommer bezahlt. Nach Italien. Und der Frankreich-Wahl. Als hätten sie es schon lange gewusst.

Facebookhass: Neun von zehn Internethetzern sind gar keine

Wünsch Dir was in der Überschrift: Die Zahl der Ermittlungsverfahren steigt, doch 90 Prozent aller Verdächtigen in Meinungsfreiheitsvergehen werden nicht einmal angeklagt.
Ach, wie wäre die Welt so schön, würde alle Wünsche in Erfüllung gehen. Etwa der der Süddeutschen Zeitung, dass das monatelange Gebet vom zunehmenden Hass im Netz, im Chor gesungen gemeinsam mit Justizminister Heiko Maas, den Freiwilligenbataillonen der Amadeu-Stiftung und sämtlichen übrigen Vertretern der Leitmedienbranche, sich endlich realisieren möge! Wie knallhart könnte der "Kampf gegen den Hass" an die Stelle des zunehmend obskurer werdenden "Kampfes gegen rechts" treten, wäre da ein Gegner!

Mit Hilfe neuer Zahlen aus der Bundesanwaltschaft und den Justizverwaltungen der Länder hat ein Wolfgang Janisch jetzt für die SZ den Versuch unternommen, die These zu belegen, dass "rechtsextreme und ausländerfeindliche Hetze im Internet im Jahr 2015 dramatisch zugenommen" haben.

Insgesamt, so der Autor, seien im vergangenen Jahr 24 600 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Das sind mehr als 15 000 Verfahren mehr als das Bundesinnenministerium offiziell gemeldet hat. Und bestätige "den Trend der Kriminalitätsstatistik vom Mai dieses Jahres", die einen "sprunghaften Anstieg" der "Zahl der insgesamt eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen rechtsextremer und fremdenfeindlicher Straftaten zeige" - und zwar um mehr als 7300, was ein Plus von 42,5 Prozent ausmache.

Hetze und Hass immer schlimmer also, auch wenn die aktuellen Zahlen selbst nach Einschätzung der SZ "wegen unterschiedlicher Erhebungsmethoden nicht vergleichbar" mit früheren Jahren sind?

Nur, wenn man sich die Maßstäbe der zahlreichen regierungsnahen Kampagnen gegen Hass, Hetze und Zweifel zueigen macht. Die unterschieden bei der Beurteilung nicht zwischenstrafbar und nicht strafbar, subsumieren also alles, was strafbar sein könnte, unter "Hate Speech". Und zielen damit auf eine radikale Einschränkung der Meinungsfreiheit. Über deren Grenzen soll nicht mehr das Gesetz entscheiden, sondern das Gefühl einiger "Aktivisten".

Die Meinungsfreiheit aber lebt noch, wie die von der SZ bemühte Statistik zeigt: In den 24 600 angeblichen Fällen, in denen Strafanzeigen zu Ermittlungsverfahren gegen Internet-Kommenatoren, Facebook-Mitglieder und Forennutzer führten, gab es am Ende gerademal 2 500 Verurteilungen. Neun von zehn angeblichen "Hetzern", "Hasser" und "Zweiflern" sind am Ende gar keine gewesen.

Hass - Plädoyer für ein großes Gefühl

Montag, 28. November 2016

USS Zumwalt: Ein Berliner Flughafen auf großer Reise


Die "USS Zumwalt", ein High-Tech-Zerstörer, ist im Panama-Kanal liegengeblieben. Das mordenste Schiff der US-Flotte, das offiziell als Tarnkappenschiff gilt,  ist auf seiner ersten Seereise seit Indienststellung. Bekannt ist es unter dem wenig schmeichelhaften Namen „marodestes Kriegsschiff der Welt“. Die Pannenserie von Obamas 300-Meter-Kahn liest sich tatsächlich wie eine Mängelliste des Berliner Flughafens.

Die Pannenserie im Überblick:

1989: Schon die Namensfindung gestaltete sich schwierig. Die Zumwalt trägt die Rumpfnummer DDG-1000. Damit weicht die US-Navy von ihrem Klassifizierungsschema ab. Als Lenkwaffenzerstörer erhalten Schiffe eigentlich die Kennung DDG für Destroyer Guided Missile. Damit hätte die laufende Nummer nach dem USS Michael Murphy (DDG-112), der letzten zu diesem Zeitpunkt geplanten Einheit der Arleigh-Burke-Klasse, ansetzen müssen.

Stattdessen benutzt die US-Navy aber die laufende Weiternummerierung der alten Zerstörer-Klassifikation DD. Diese Nummerierung war bis zum USS Hayler (DD-997) aus dem Jahr 1983 aktuell gewesen. Aus symbolischen Gründen fielen zusätzlich die zwei folgenden Nummern weg, so dass die Nummerierung völlig in der Luft hängt.

1991: Vor 25 Jahren startete die Navy ein Entwicklungprogramm für eine neue Bootsgeneration, die die bewährte Arleigh-Burke-Klasse ersetzen sollte.

2001: Begann ein Neustart, der aber nach massiver Kritik durch den US-Rechnungshof nach nur drei Zerstörern auf Grund der hohen Produktionskosten von über drei Milliarden US-Dollar pro Schiff wieder beendet wurde. Stattdessen sollten nun doch wieder die älteren Burkes-Modell beschafft werden.

2008: Kommando zurück. Die USS Zumwalt wird am 14. Februar 2008 bestellt.

2011: Die USS Zumwalt wird auf Kiel gelegt.

2013: Nach zwei Jahren Bauzeit und 3,5 Milliarden Dollar Baukosten findet der Stapellauf statt.

2014: Ein weiteres Jahr später wird die USS Zumwalt ausgeliefert.

2015: Fahrbereit war das Schiff noch nicht – erst am 7. Dezember 2015 kann es erstmals auf offener See getestet werden.

Oktober 2016: Zehn Monate später erfolgt die Indienststellung des Tarnkappenschiffes unter dem Kommando von – kein Witz - Captain James Kirk. Ohne T.

November 2016: Die Zumwalt läuft sich auf ihrer ersten Reise im Panamakanal fest. Ein Maschinenschaden hat das Schiff außer Gefecht gesetzt, dessen Herstellungkosten inzwischen auf 4,3 Milliarden Dollar gestiegen sind.



Martin Schulz: Gedankengirlanden eines Kanzlerkandidaten

Es ging dann ganz schnell. Keine Urwahl, kein Hinterzimmerbeschluss. Martin Schulz, der scheidende Präsident des europäischen Parlaments, nutzt einfach seine guten Beziehungen zur paneuropäischen Presse, um sich als Kanzlerkandidat der SPD ausrufen zu lassen. "INTERVIEW MIT KANZLERKANDIDAT MARTIN SCHULZ" ist ein Interview im "European" überschrieben, das an Schulz' bewährte Praxis erinnert, bei passender Gelegenheit auch mal ein Interview mit sich selbst zu führen und der Öffentlichkeit selbstlos zur Verfügung zu stellen.

Der Mann weiß, wie man Politik für sich selbst macht. Gerade erst verlieh sich Martin Schulz selbst den 1. Platz auf der NRW-Landesliste der SPD, ohne die früher einmal übliche Wahl der Delegierten in der Partei abzuwarten. Dann rief er beim "European" an, um seine Kandidatenschaft zu erklären.

Dort fand sich wirklich jemand, der dem Mann, der nach seinem Scheitern in Europa die Macht in der SPD begehrt, Stichworte zur Selbstdarstellung liefert. Schulz, der seine vermeintliche Beliebtheit bei den Wählern ausschließlich seiner Beliebtheit bei den darstellenden Künstlern in den Leitmedien verdankt, gibt sich hier als behutsamer Denker, der dabei ist, vom Wähler zu lernen.

"Vielleicht müssten Politikerinnen und Politiker auch den Mut haben zu sagen, ich habe nicht auf jedes auftretende Problem sofort eine Antwort", sagt der Mann, der seit einem Vierteljahrhundert mitverantwortlich zeichnet für eine Politik, die schon Antworten simuliert, wenn noch niemand gefragt hat. Und an deren Ende eine aufgeblähte und kaum noch regierbare EU, ein von Kriegen umgebenes Europa, ein zerrüttetes Verhältnis zu Russland und ein kalter Krieg mit dem neuen US-Präsidenten stehen.

Schulz ist nicht schuld. Schulz hat immer gewarnt. Und er warnt weiter. In Sätzen voller Komma- und Grammatikfehler radebrecht sich der scheidende EU-Parlamentspräsident durch absurde Gedankenfolgen etwa zu Michel Houellebecqs Roman „Die Unterwerfung“. Der greife "eine tief Angst und Verunsicherung auf, ohne dem eine positive Botschaft entgegen zu setzen", heißt es da wörtlich in einer Art Pidgin-Deutsch. Schulz´ Folgerung: "Die Reaktion auf sein Buch und die Angstbesetztheit, die in seinem Roman auch zum Ausdruck kommt, muss man ernst nehmen." Einzahl, Mehrzahl. Scheißegal.

Aber ernst nehmen. Tut Schulz das? Und das sieht dann wie aus? Er klagt erstmal darüber, dass der "nationale Vorrang obsiegt". Der Vorrang obsiegt. Wörtlich. Dann fordert er wie eine menschliche Gebetsmühle "europäische Lösungen". Und  prangert schließlich in einem wilden Mix von Singular und Plural "ein globales Phänomen wie die Flüchtlingsbewegungen" an.

So durcheinander der schüttere Bart des Kandidaten auf die Vizekanzlerschaft, so erschütternd verquer seine Gedanken.

Die gipfeln im Satz "die Wiederherstellung der Deutschen Einheit und die Wiederherstellung der europäischen Einheit sind epochale Schritte". Unklar bliebt, welche "europäische Einheit" Schulz "wiederherstellen" will. Die halbe unter den  Römern? Oder die letzte unter Hitler?

Man muss sich vorstellen: Dieses Interview, so es denn wirklich geführt wurde, was selbst in den Zeiten des Praktikantenjournalismus undenkbar scheint, ging anschließend durch etliche Hände. Schulz hat es gegengelesen. Ein, zwei oder drei seiner Handpuppen ebenso. Dann der Stichwortgeber nochmal. Und schließlich noch irgendein Handlager für den Webseiteneinbau.

Wie irre muss das alles im Original gewesen sein?

Aber zumindest Schulz´ Satz "die Welt ist heute in einer tiefen Veränderung" bleibt. Der passt immer. Und ist ihm Ausgangspunkt für eine weitere Gedankengirlande, über die kommende Generationen noch lange nachdenken werden.

Die Welt sei, hat Schulz 75 Jahre nach dem Aufstieg der USA zur Wirtschaftsnation Nummer ein und 20 Jahre nach dem Aufstieg Chinas zur Nummer 2 nun auch bemerkt, "nicht mehr eurozentristisch". Europa sei deshalb "ein Teil, nicht der Teil dieser Welt".

Und weil soviel Veränderung, tiefe, klar, und so weiter, "deshalb werden wir uns sowohl als Europäische Union, im Verhältnis zu anderen Regionen aber auch nach Innen einen permanenten Veränderungsprozess unterwerfen müssen". Steht da wörtlich. Wirklich.

Sonntag, 27. November 2016

Zitate zur Zeit: Demokratie in Todesangst

Selten in der Politik klafften Anspruch und Wirklichkeit so auseinander. Der platte Satz „Wir schaffen das!“ war in Wirklichkeit ein Offenbarungseid der Ratlosigkeit.

Stefan Aust über eine Demokratie in Todesangst


Lügenpresse: Existiert sie doch?

Es ist die renommierte Wochenschrift "Zeit", die in einer der üblichen Abschreibübungen eine Meldung der größten deutschen Boulevardzeitung "Bild" für ihre Leser aufbereitet. "ARD Nord, Süd, Ost und West: Die #ARD plant laut einem Zeitungsbericht die Fusion mehrerer #Rundfunkanstalten", verbreitet das Hamburger Blatt unter Berufung auf ein Quellenwirrwarr aus AFP, KNA und "sue". Wer mit wem im Einzelnen fusioniert werden solle, sei noch offen, sicher dagegen sei, "dass etwa Radio Bremen Teil der ARD-Nord mit dem NDR und der rbb aus Berlin und Brandenburg zusammen mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) zur ARD Ost würden".

Nun hat die "Zeit" aber nicht mit der ARD gerechnet, die mit einem "verifizierten Account" auch beim Kurznachrichtenportal Twitter zugange ist. Und diese @ARD_Presse meldet sich nun vernehmlich. "@zeitonline Das ist blanker Unsinn und frei erfunden", schreibt ein Mitarbeiter im typischen Duktus eines russischen Trolls. "Wir sind erstaunt, dass Sie diesen Quatsch ungeprüft publizieren", heißt es dann weiter. Und, fast schon im Erdogan-Droh-Stil: "Statement folgt!"

Nun muss die @ARD_Presse sicherlich am besten wissen, was bei der ARD so los ist. Dass aber angesehene Großblätter wie die "Zeit" "blanken Unsinn", der "frei erfunden" ist, "ungeprüft verbreitet", klingt trotzdem unglaubwürdig. Immer wieder hatte gerade die "Zeit" in den vergangenen Monaten klargestellt, dass "Lügenpresse"-Vorwürfe, wie sie von Pegida-Populisten im im Auftrag von Putin johlten, brüllten und schrieen, völlig gegenstandlos sind. Wer so argumentiere, betreibe das Geschäft des Gegners und stelle sich damit selbst außerhalb der Gemeinde der Demokraten.

Dort steht nun auch die ARD, einsam, verletzt und bedroht von einer Übermacht an Nachrichtenseiten, die gleichlautend dasselbe berichten wie die "Zeit". "Alles Lüge" (Rio Reiser)? Eine Verschwörung? Oder gibt es sie doch, die Lügenpresse?

Samstag, 26. November 2016

Zitate zur Zeit: Das Bestreben der Medien

Medien bemühen sich, Hintergründe aufzuzeigen.
Die Medien befinden sich im Zustand der Selbsttherapie. Sie sind auf der Suche nach Gründen für diese politische Entwicklung und ihren schwindenden Einfluss. Es ist Tatsache, dass sie keine Verbindung mehr zu bestimmten Bevölkerungsgruppen haben. Die renitenten Wähler nehmen die Medien als Teil des Establishments wahr. Das hat in Deutschland zu den absurden "Lügenpresse"-Rufen geführt.

Das Bestreben der Medien, Hintergründe aufzuzeigen und die Meinungsbildung zu unterstützen, wird dadurch konterkariert. Daher bleibt diese Verabreichung ohne Folgen. Vernunft hat in einem Umfeld, das von Emotionen beherrscht wird, keine Chance.

Hans-Jürgen Jakobs über Medien als Teil des Establishments

Spiegel: Ein Todeswunsch auf der Titelseite

"Die Trumps", auf deutsch "Sterbt, Trumps" druckte der "Spiegel" auf seiner Titelseite.
Diesmal ist es kein Fehldruck. Diesmal ist es ernstgemeint. Nach Monaten, in denen der "Spiegel", das Sturmgeschütz der deutschen Elite, sich mit allen publizistischen Mitteln gegen die Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gewehrt hat, legt das Magazin nach: "Die Trumps" schreit es vom aktuellen Titelbild.

Die Trumps ist Englisch und bedeutet übersetzt "sterbt, Trumps". Und meint wohl nicht nur den verhassten Präsidenten in spe. Sondern gleich seine gesamte Familie.

Auch wenn der "Spiegel" sicherlich behaupten wird, man habe das deutsche Wort "die" gemeint und die englische Bedeutung nicht bemerkt, ist das ein neuer Höhepunkt des Hasses, ungefiltert, unmissverständlich, ungehemmt und von allen zivilisatorischen Hemmschwellen befreit. War Walter Steinmeier mit seiner Beschimpfung Trumps als "Hassprediger" noch fast schüchtern dazu übergegangen, die Regeln der internationalen Diplomatie ebenso beiseite zu lassen wie den zwischenmenschlichen Anstand, ruft Deutschlands mächtigstes Pressorgan schamlos zwar nicht zum Mord, aber es fordert "Sterbt, Trumps".

Ein Tiefpunkt nicht nur des deutschen Kampagnenjournalismus und der transatlantischen Beziehungen, sondern auch ein Affront gegen Bundesjustizminister Heiko Maas, der sich nicht nur rückhaltlos für die Finanzen seiner Partei, sondern ohne Unterlass auch für den Kampf gegen den Hass einsetzt.

Während der Minister Facebook, Twitter und die deutschen Stammtische immer erfolgreicher ins Gebet nimmt, um Mordaufrufe, Todeswünsche, "Merkel muss weg"-Gebrüll und verbale Angriffe auf Minderheiten für immer zu unterbinden, schießt eine hochgeachtete Leitmedien-Redaktion gezielt quer: "Die Trumps" könnte dem Milliardär mit "Wahnvorstellungen", dem "König der Wutbürger", dem "großsprecherischen Immobilienmilliardär", dem "Pöbler" und "windigen Geschäftsmann", der "die Unwahrheit sagt" und "ein republikanischer Alptraum" sowie ein "pöbelnder Problemfall" ist (alle Zitate aus deutschen Leitmedien), den Anlass liefern, Angela Merkel, der Führerin der freien Welt, endgültig die Gefolgschaft zu verweigern.

Freitag, 25. November 2016

Zitate zur Zeit: An der Wirklichkeit vorbei

Die Leute, die vom Versprechen an die Leser und Zuschauer leben, sie würden den Leuten die Wirklichkeit erklären und selber die Wirklichkeit verstehen, haben systematisch an der Wirklichkeit vorbeipubliziert.

Weltwoche-Chef Roger Köppel fasst die Medienkrise in einem Satz zusammen

Merkel: Ich kenne keine Deutschen mehr

Ein bürgerloses, ständig im Werden begriffenes Land aus der Zukunft.
Eben barmte die "Bild"-Zeitung noch flehentlich "Wann sagt uns Merkel endlich, was Sache ist?" Und schon lieferte die Kanzlerin: Sache ist die, dass es nur noch eine Trennung gibt: Die zwischen „diejenigen, die schon länger hier leben“. Und denen, „die neu dazugekommen sind“. Deutschland, ein bürgerloses, im Werden begriffenes Land, das eher ein Landstrich ist - schon länger ohne festen Grenzen, denn die lassen sich nach Merkels Ansicht nicht schützen. Und nun auch ohne Staatsvolk, denn es gibt keine Bürger mehr. Sondern nur noch „diejenigen, die schon länger hier leben“. Und die, „die neu dazugekommen sind“.

Angela Merkel, auf dem Weg in die Geschichtsbücher, knüpft hier bei Kaiser Wilhelm II an. Dessen "ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche", erschuf die über Jahrzehnte anhaltende Illusion, es gäbe ein deutsches Volk, einen deutschen Nationalstaat.

Das Ergebnis, das hat Angela Merkel klar analysiert, waren zwei Weltkriege. Vor ihrer vierten Kanzlerschaft stellt die Hamburgerin die Weichen deshalb  auf Zukunft: Statt über ein allmähliches Aufgehen Deutschlands in einem großen, geeinigten Europa nachzudenken, wie es Kohl, Mitterrand und Thatcher in den Blick gefasst hatten, nimmt Merkel angesichts der Schwäche und Unbeliebtheit der Union eine Auflösung des Nationalstaatscharakters im Inneren ins Visier: Nach der „Drei-Elemente-Lehre“ besteht ein Staat aus einem abgegrenzten Staatsgebiet, einem abgegrenzten Staatsvolk und dessen Machtausübung über dieses Gebiet in Form einer rechtlichen Verfasstheit seiner Gemeinschaft. Das Staatsgebiet ist wage geworden, das Staatsvolk erklärt Merkel nun für obsolet. Und die Staatsmacht selbst räumt bereits Staatsversagen und Kontrollverlust ein.

Das wirkt in die richtige Richtung, schafft aber Unruhe bei früheren Weggefährten, die noch nicht einsehen wollen, dass die Einteilung der Bevölkerung in Gruppen wie "schon länger da" und "neu angekommen" wegweisend für eine Zukunft ist, in der es dem Menschen nicht mehr nur möglich sein wird, sein Geschlecht selbst vorgabenlos zu definieren. Sondern auch, sich einer vormals staatlichen Gemeinschaft anzuschließen, wo immer, wann immer und wie lange auch immer er mag.

Es ist der Ausbruch des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, seine Emazipation von der traditionellen Überstülpung durch eine "Nation", der er sich über Jahrhunderte zugehörig fühlen musste.

 Angela Merkel hat bewusst schwammig nicht definiert, wer mit „denjenigen, die schon länger hier leben“ und mit „denjenigen, die neu dazugekommen sind“ gemeint ist. Es gibt keinen Stichtag, ab dem jemand, der eben noch "neu dazugekommen" ist, als jemand gilt, „der schon länger hier lebt“. Es kann hier um Monate gehen, umTage, Stunden oder Minuten. Es gibt keine Einstufung, wie neu "neu hinzugekommen" sein muss, um noch nicht "Länger-hier-leben" zu sein.

Alles ist relativ, die Physikerin im Kanzleramt passt ihre Politik der Wirklichkeit an wie ein Boxer, der den Schlägen seines Gegners durch Mitgehen die Wirkung nimmt. Wenn man nicht erfahren kann, was geworden wäre, hätte man regiert, lässt sich alles, was ist, als Ergebnis des eigenen Regierungshandelns erklären. Die Sonne geht auf und die Kanzlerin wars. Die Sonne geht unter, und sie hat das getan. Es kommen Menschen neu zu uns, wie wir es wollten. Und sie werden wie von Geisterhand zu denen, die schon länger hier leben, genau wie alle anderen.

Die Vermutung, diese "Einteilung von Menschengruppen dient der Diskriminierung" wie es Vera Lengsfeld vermutet, ist deshalb falsch.

Sie dient dem Fortschritt, sie dient vor allem den Bürgern, „die schon länger hier leben“ und ohne entschiedenes Regierungshandeln, wie es Angela Merkel zeigt, einem unausweichlichen Schicksal des allmählichen Aussterbens entgegensähen.

Donnerstag, 24. November 2016

Hoffnung für die SPD: Martin machts

Es ist ein machtvolles Zeichen für den Willen zur Erneuerung, ein Signal gegen die Eliten der Hinterzimmer, vielleicht sogar der Beginn des Anfang eines Neuanfangs, der die deutsche Sozialdemokratie zurückführt zu ihren Wurzeln, als Drechsler und Handelsschüler daran gingen, die Welt vom Kopf auf die Füße zu stellen. Martin Schulz, der in der Bevölkerung so überaus beliebte EU-Parlamentspräsident, macht seine Ankündigung wahr und wechselt nach dem Verlust seines Chefpostens im höchsten europäischen Haus in die Bundespolitik.

Die SPD zeigt damit, dass sie aus der Lektion Merkel gelernt hat. Die Ankündigung der Kanzlerin, sich für eine vierte Amtszeit entschieden zu haben, war vielerorts als Drohung aufgefasst worden. Kommentatoren selbst in der kanzlernahen Presse werteten Merkels erneute Kandidatur als letzte Patrone der CDU, eine alternativlose Angelegenheit, die zeige, wie ausgezehrt und inhaltsleer die zum Kanzlerinnenwahlverein geschrumpfte Union inzwischen sei.

Vielleicht deshalb geht die SPD auf Gegenkurs zum "Weiter so" der Hamburgerin. Mit Schulz, einem frischen Gesicht, hinter dem sich ein starker Charakter verbirgt, wählt die SPD eine Konträrstrategie zur CDU/CSU: Der kommende Spitzenkadidat, Kanzler oder Außenminister ist noch keine 60 Jahre alt, verglichen mit Angela Merkel, die schon 61 Jahre zählt, also ein junger Mann. Schulz verkörpert die Generation derer, die zum Zeitpunkt des Mauerbaus noch nicht zur Schule gingen, er hat immer gewarnt, war bereit, das Seinige zu tun und auch die Wahl zum Präsidenten der EU-Kommission verlor er so knapp, dass er danach mit dem Präsidentensessel im Parlament abgefunden werden musste.

Ein Typ, der mit jeder Faser die Zukunft verkörpert. Sympathisch, bodenständig, bürgernah und ohne Angst vor populistischen und nationalistischen Parolen zeigt der Würselener, dass er die Hinterzimmervereinbarung der europäischen Linken mit den EU-Christdemokraten über die Weitergabe des Parlamentspräsidentenamtes zur Halbzeit der Legislaturperiode ernstnimmt. Respekt, wie er Europa nicht zuletzt aufgrund Schulz´ jahrzehntelanger Bemühungen zusteht.

Wegen Gendergap: SPD stellt Demokratiestärkungsgespräche ein

Es war ein Schock für viele alte und ehrliche Genossen, als das ZDF-Magazin Frontal21 enthüllte, wie die ehrwürdige Arbeiterpartei ihre Spitzenpolitiker einsetzte, um durch gekaufte Gespräche mit Wirtschaftsvertretern Kleingeld für die klamme Parteikasse einzuspielen. Vor allem empörte Parteimitglieder, dass erstens kein Gewinn mit dem Verkauf der kompletten Glaubwürdigkeit aus 150 Jahren Parteigeschichte gemacht worden war. Und das zweitens selbst bei der stundenweisen Vermietung von Ministern die parteiintern eigentlich längst hergestellt geglaubte Gleichberechtigung mit Füßen getreten worden war.

So kostete Justizminister Maas stolze 7000 Euro, seine hübsche Kollegin Schwesig aber nur 5000. Oppermann bekommt 5000, Umweltministerin Hendricks aber ist für nur 3000 zu haben. Ein Unding, befand die Basis. Gleichberechtigung und Quote gehörten zum Markenkern der deutschen Sozialdemokratie, die nur deshalb noch nie von einer Frau geführt worden sei, weil für die ersten 150 Jahre bereits unter Bebel eine männliche Führung beschlossen worden war.

Die Vorwärtsgespräche aber hätten hier einen Ausgleich herstellen können, teilte auch SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan mit. Die SPD werde die Bundestagsverwaltung bitten, die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen bei den von der Vorwärts-Tochter NWMD ausgerichteten Gesprächen umfassend zu prüfen. "Außerdem werden wir eine interne Untersuchung des Sachverhalts vornehmen", sagte Nietan, der bestätigte, dass auch die Parteiführung eine Lohndifferenz von 30 Prozent für nicht gerechtfertigt hält.

Anders sieht das die Bundestagsverwaltung, die keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Gleichbehandlungsregeln zu haben glaubt. Allerdings gilt der Bundestag ohnehin als hartes Pflaster für Arbeitsrechtler, hier hat sich über Jahre hinweg eine Praktikantenkultur mit Billigstlöhnen und ausufernden Arbeitszeiten gebildet, die an nepalesische Gastarbeiter in Katar erinnert.

Aus der SPD-Spitze hieß es, Parteichef Sigmar Gabriel sei entsetzt über die Vorgänge, er habe von nichts nichts gewusst, ja, nicht einmal etwas ahnen können. "Mit Sponsoringleistungen kann ab sofort kein Zugang zu Amtsträgern, Abgeordneten oder Parteifunktionären mehr erkauft werden", bestätigte Schatzmeister Nietan einen von Gabriel selbst gefassten Beschluss der Parteiführung.

Da auch die betreffenden Minister – darunter Justizminister Heiko Maas und Arbeitsministerin Andrea Nahles – natürlich nicht gewusst hätten, dass sie von populistischen und zugleich geldgierigen Kreisen in der eigenen Partei missbraucht wurden, gebe es keinen Grund für eine Fehlerdiskussion, die nur der AfD in die Karten spielen würde.

"Weder wurden sie über Details etwaiger Absprachen zwischen Sponsoren und der Agentur ins Bild gesetzt noch war ihnen die Höhe etwaiger Zahlungen bekannt", heißt es in der Chefetage der SPD. Unwissen aber schütze vor Strafe, so dass niemand für den über mindestens fünf Jahre andauernden Vorfall die Verantwortung übernehmen könne.


Mittwoch, 23. November 2016

Nach Bluttat von Hameln im Visier: Männer aus Bad Münder

Deutsche Unkultur: Schon 1966 wurde der Wahlindianer Gojko Mitic brutal an einem Seil hinter einem Pferd hinterhergezogen.
Ein Fall, der Deutschland ganz bei sich zeigt: Ein 38-Jähriger legt der Mutter des gemeinsamen Kindes einen Strick um den Hals und schleift sie hunderte Meter weit hinter seinem Auto her durch die Innenstadt. Das 28-jährige Opfer muss notoperiert werden und schwebt in Lebensgefahr. Ihr Ex-Partner stellt sich der Polizei und wird zum Medienphänomen.

Denn übereinstimmend gelingt es Zeitungen, Magazinen, Illustrierten und Lokalblättern, zwar alle ihre Informationen gleichlautend aus der mit der Recherche des Falles betrauten Bild-Zeitung abzukopieren. Wie von einer unsichtbaren Hand geführt aber sprechen sämtliche Sekundärquellen anschließend nicht mehr von einem "Deutsch-Türken mit kurdischen Wurzeln" (Bild) als Täter. Sondern von einem "Mann", dessen Herkunft pressekodexwidrig mit "aus dem nahen Bad Münder stammend" angegeben wird.

Ein klarer Verstoß gegen den nach den "Silvesterereignissen von Köln" (Spiegel) kurz aufgeweichten, seitdem aber wieder konsequent eingehaltenen Katalog von Unsagbarem, das, würde es erwähnt werden, gehalten wäre, Deutschland zu einem Staat zu machen, in dem Hass, Gewalt und Männer regieren, die Frauen an Autos hinter sich herschleifen.


Denn Herkunftsangaben sind nach den freiwilligen Vorgaben des deutschen Medienkartells generell nicht öffentlich, weil „die Erwähnung Vorurteile gegen Minderheiten schüren“ könnte. Doch Bad Münder Männer, obschon eine Minderheit und mehrheitlich zweifellos völlig unschuldig an den Vorgängen in Hameln, sehen sich nun kollektiven Vorurteilen ausgesetzt. Hier am Deister in Niedersachsen, so der vermittelte Eindruck, fallen in puncto Gewalt alle Schranken: Bad Münder ist das neue Tröglitz, Bad Münder ist das neue Sachsen, der Bad Münder Mann ein entmenschter Brutalo, wie ihn Deutschland bisher nicht kannte.

Vorurteile, die auch von offizieller Seite geschürt werden. "Es ist unvorstellbar, mit welcher Brutalität und Menschenverachtung diese Tat ausgeführt wurde", heizt ein Sprecher der Stadt Hameln die Stimmung an.

Und das ZDF-Morgenmagazin haut eilfertig in dieselbe Kerbe: Obwohl der DDR-Indianer Gojko Mitic nachweislich bereits Mitte der 60er Jahre von einem Mann (Jiří Vršala) brutalstmöglich an beiden Händen gefesselt an einem Strick hinter einem Pferd hinterhergezogen worden war, so dass man mit Fug und Recht behaupten darf, Hinterherziehen gehört nicht nur in Bad Münder, sondern in ganz Deutschland zur deutschen Leitkultur, nutzt der vielgesehene Staatssender die Gelegenheit, um die Angst in der Bevölkerung zu schüren.

Das Deutschland nach Hameln brauche "mehr, viel mehr Polizisten", heißt es da in einer begeisterten Law-and-Order-Reportage aus einer Polizeischule in Brandenburg, deren Unterrichtsräume vor drei Jahren noch leere Hallen waren, in denen Fuchs und Hase dem durch Ostdeutschland wehenden Wind des Wandels gute Nacht sagten, während "Frauen abschleppen" einen schönen Abend versprach.

Das waren allerdings eben die Jahre, als es noch keine Männer aus Bad Münder gab.


Demokratiestärkungsgespräche: Gekaufte Genossen

Tass ist ermächtigt zu erklären, dass kein Pfennig verdient und keine Gegenleistung versprochen wurde.
Und kaum einer wollte sie! Da legt die deutsche Sozialdemokratie ihre führenden Genossen in die Auslage, um über eine gewagte Konstruktion ein bisschen Taschengeld für die Parteikasse zu verdienen. Und dann buchen Kunden aus der Wirtschaft nicht einmal 50 Demokratiestärkungsgespräche mit Größen wie Justizminister Heiko Maas, Arbeitsministerin Andrea Nahles, Umweltministerin Barbara Hendricks, Familienministerin Manuela Schwesig, dem SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann, der neuen SPD-Generalsekretärin Katarina Barley, dem Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Matthias Machnig und dem ehemals führenden SPD-Bundestagsabgeordneten Hubertus Heil! In fünf Jahren!

Zeichen eines ungeheuerlichen Bedeutungsverlustes der SPD, Zeichen mangelnder Attraktivität der Genossen, obwohl mit Heiko Maas Deutschlands bestangezogendster Politiker Seit an Seit mit den Gabriels, Nahles, Hendricks, Schwesigs, mit Oppermann, Barley, Machnig und Heil schreitet.

Fast schon bezeichnend für die traditionell ausgeprägte Wirtschaftskompetenz der SPD ist der Umstand, dass dem in der Angelegenheit über die Tochtergesellschaft NWMD aktiven Vorwärts-Verlag "aus der Gesprächsreihe keine Gewinne entstanden sind" (NWMD). Und wenn doch, dagegen spricht die kryptische Erklärung nicht, dann reichten sie zum Glück zumindest nicht aus, die zuletzt notorisch defizitäre Vorwärts-Gruppe so weit in die schwarzen Zahlen zu bringen, dass Gewinne an das SPD-Medienimperium DDVG abgeführt werden konnten.

Nach ZDF-Recherchen nahm Justizminister Heiko Maas an zwei Demokratiestärkungsgesprächen teil, zuletzt im Oktober, als die niederländische Bank ING-DiBa sich den Justizminister kommen ließ. Wenig später schon zeigten sich erste Erfolge der NWMD-Strategie des "Wir öffnen Türen – und bringen Menschen zusammen, die sich etwas zu sagen haben."

Maas' Genosse Peer Steinbrück konnte ein Ruhestandsengagement als „Berater des Vorstands“ der deutschen Tochter der ING-Diba antreten.

Maas selbst, in den letzten Monaten vor allem mit dem Kampf gegen die Windmühlen des Hate Speech befasst, sagte "Frontal21" dazu, weiß davon nichts. Er weiß auch vom Genossen-Sponsoring nichts. Ihm seien Einzelheiten der Finanzierung, der Abwicklung und eventuell versprochener Gegenleistungen egal.

"Wie solch eine Veranstaltung zustande kommt, wer teilnimmt, wer sie organisiert und wer sie finanziert, ist jetzt nicht das Thema für mich", betonte Maas. Die ING-DiBa, die mit Maas schon vor vielen Jahren raffiniert über Bande gespielt hatte, bestätigte, dass es beim Treffen mit dem Minister nur "um ein Kennenlernen gegangen" sei.

Gegenleistungen erwarte die Bank nicht, Maas habe vor zwei Jahren schon geliefert, als er eine Marketing-Kampagne der ING zur Streichung der Überziehungszinsen für Girokonten mit einem Gesetzentwurf flankiert hatte, der überhöhte Dispozinsen verbieten sollte.

Das Gesetz dazu gibt es, weil Maas sich mehr und mehr um Hate Speech, Hass und Online-Hetzer kümmern muss, bis heute nicht.

Aber SPD-Chef Sigmar Gabriel, einst selbst Chef und Inhaber einer honorigen Briefkastenfirma mitten in Dunkeldeutschland, weiß davon ebensowenig wie von "gesponserten Gesprächen" mit seinen führenden Genossen. Parteichef Ahnungslos hatte die CDU in der ähnlich gelagerten Rüttgers-Affäre vor sechs Jahren noch scharf kritisiert. "Wir verkaufen keine Amtsträger und auch nicht die Partei an andere Leute, die genug Geld haben. Das gilt für die deutsche Sozialdemokratie", versicherte Gabriel damals.



Dienstag, 22. November 2016

Gericht hebt Verbot bedruckter Warnwesten auf

Es sollte nach Alcopops, Raucherkneipen und Handy am Steuer das nächste Großverbot auf dem Weg zum Aufbau einer durchregulierten Gesellschaft werden. Nun aber haben die Richter am Wuppertaler Landgericht ein Urteil gefällt, dass es weiter erlaubt, in Deutschland selbstbedruckte Warnwesten mit Fantasieaufschriften in der Öffentlichkeit zu tragen. Auch die Aufschrift „Sharia Police“, mit der selbsternannte Spaßvögel vor zwei Jahren durch Wuppertal marschiert waren, um auf eine vermeintliche Islamisierungsgefahr in Deutschland hinzuweisen, sind danach zulässig.

Zur Begründung sagten die Richter am Wuppertaler Landgericht in mündlicher Verhandlung, nicht einmal die Polizei habe zunächst einen Anfangsverdacht wegen Verstoß des Uniformverbots gegen die Männer gesehen. Das Uniformverbot war einst eingeführt worden, um Aufmärsche der rechtsradikalen SA zu unterbinden. Es zog aber hier nicht, weil es den billigen Warnwesten, die die Scharia-Polizisten sich angezogen hatten, an den notwendigen Merkmalen einer Uniform oder zumindest denen von Uniformteilen mangelte.

Die sieben Männer waren wegen des medialen Erfolges ihrer Aktion dennoch wegen eines Verstoßes gegen das Uniformverbot angeklagt worden, um die aufgeregten Gemüter in der Republik durch ein Verfahren zu beruhigen.Wenn Islamisten auf offener Straße Streife gehen, dann muss der Staat eingreifen, wenn die betreffende Koran-Patrouille Warnwesten trägt, auf denen "Sharia-Polizei" steht, dann, so glaubte er zumindest, kann er das auch.

Ein Irrtum, wie das Gericht nun klarstellte. Mit dem Urteil ist das angestrebte Verbot bedruckter Warnwesten fürs erste in weite Ferne gerückt. Die Wuppertaler Staatsanwaltschaft aber hat den Kampf noch nicht aufgegeben. Sie will Rechtsmittel einlegen. Im Fall einer erfolgreichen Revision würde der Bundesgerichtshof über den bedeutsamen Fall entscheiden, in dem das Wuppertaler Landgericht anfangs sogar die Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt hatte.

Wenn an Stammtischen weiter gelogen wird, ist mit Freiheit Schluss!

Wirte sollen ihre Gäste künftig besser kontrollieren, um die überhandnehmende Verbreitung von Hetze, Hass und Zweifel wirksam zu unterbinden.
Genug gequatscht und gewarnt: Weil sich die Betreiber von kleinen Gastwirtschaften, Eckkneipen und auch größeren Restaurants zu wenig an rechtsstaatliche Prinzipien halten, muss die Gangart verschärft werden. Die Politik lässt sich nicht veräppeln.

Ein Gastbeitrag von Holger Kauder

Niemand kann bestreiten, dass Gaststätten, Bars und Eckkneipen seit jeher Möglichkeiten der politischen Kommunikation bieten. Bürger können Regierungen, Parteien und Verbände hier ganz informell kritisierten, sie informieren sich gegenseitig, es findet Meinungsbildung statt, man macht Witze und schimpft, wie das schon immer war, selbst im Dritten Reich und seinem Nachfolgestaat, der diktatorischen DDR mit ihren Denkverboten, staatlichen Sprachregelungen und der Einengung der Meinungsfreiheit durch eine Partei und ihrer Helfer.

In der Kneipe kann jeder Einzelne politische Diskussionen anstoßen, andere für seine Sache gewinnen oder Kritik äußern, ohne den Umweg über die klassischen Medien zu gehen.

Die sogenannten Stammtischgespräche haben aber auch Schattenseiten. Es ist zu begrüßen, dass in letzter Zeit nun auch darüber verstärkt debattiert wird. Unbestritten sind Bars, dunkle Schenken und alternative Bierstuben leider immer mehr zu Plattformen geworden, auf denen Unwahrheiten verbreitet, andere Menschen herabgewürdigt, ja, Hass verbreitet werden.

Russischer Wodka ist Turbo für Hetze


Meist sind es Einzelne, die dahinterstecken. Bekanntlich wird aber auch aus Russland versucht, politische Debatten bei uns zu beeinflussen: Oft ist Wodka im Spiel, wenn es gegen unsere Regierung, gegen Europa und die Nato geht. Die Verzerrung politischer Diskussionen wird auch dadurch verstärkt, dass mitunter gar keine realen Personen mehr auftreten, sondern Hörensagen aus politischen Talkshows halb erinnert wird, Angelesenes, auch aus zweifelhaften Quellen, wird zitiert, als wäre es unsere CDU-Parteiprogramm.

Das alles hinterlässt Spuren in unserer Demokratie. Damit kein Missverständnis entsteht: Kritik gehört zur Demokratie, auch heftige und ätzende. Aber die Auseinandersetzungen verrohen. In der Kneipe nach dem siebten Bier, in Wohnzimmer vermeintlich ganz in Familie, wenn die Tagesschau läuft, wird Kritik in einer Sprache vorgetragen, die mit „vulgär“ noch verharmlosend umschrieben ist. Die Reden, die auf Pegida-Demonstrationen gehalten werden, sind die Fortsetzung dessen, was sich in Kneipen, in manchen Familien, in den Köpfen vieler Bürger abspielt.

Wenn gehetzt, verleumdet und beleidigt wird, tragen diejenigen die Hauptschuld, die sich derartig herablassend einlassen. Das Ärgerliche ist, dass die massenhafte Rechtsverletzung in den Gaststätten dennoch gar nicht hätte stattfinden dürfen.

Denn ginge es nach Recht und Gesetz, könnte in Restaurants und Bars – um es noch einmal zu betonen – zwar scharf argumentiert und vieles kritisiert werden. Die Freiheit der Stammtische hätte aber nicht mit der massenhaften Missachtung des Rechts einhergehen dürfen.

Wirte sind an Hass schuld


Und hier komme ich zu meinem Punkt: Die Verantwortung dafür tragen neben den Urhebern des Hasses und der Verachtung zu einem beträchtlichen Teil auch die Betreiber der Gaststätten, die vom Verkauf von Alkoholika profitieren. Sie haben über Jahre ihre gesetzlichen Pflichten eklatant vernachlässigt, denn nie, nicht ein einziges Mal!, hat auch nur ein einziger Wirt höhnende, gröhlende, die Regierung herabwürdigende Gäste angezeigt, um ein Zeichen zu setzen.

Zugegeben: Die Politik hat ebenfalls nicht entschieden genug reagiert. Auch bei uns herrschte lange die fast naive Annahme, der Hass an den Stammtischen sei durch die Meinungsfreiheit geschützt. Zudem werde er dadurch neutralisiert, dass immer genügend Männer und Frauen da waren, die Nutzer zur Gegenrede antraten.

Doch das ist ein Irrglaube. Wenn der Holocaust geleugnet wird, dann ist das in allen europäischen Partnerländern erlaubt. Aber nicht in deutschen Gaststätten! Und es wird naturgemäß auch nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern widerspricht.

Auch die Beleidigung einer Person wird nicht dadurch null und nichtig, weil eine Handvoll von anderen Stammtisch- oder Kneipengästen den Angegriffenen verteidigt. Nein, Selbstregulierung ist ein guter Gedanke. Er ersetzt aber nicht die Verteidigung des Rechts mit den Mitteln der Rechtsordnung.

Die geltenden Regeln meinen es dabei mit Gaststättenbetreibern bislang zu gut. Sie müssen für die Inhalte der Gespräche, die auf ihren Räumlichkeiten geführt werden, rechtlich nicht geradestehen, so als hätten sie sich selbst geäußert. Von ihnen wird lediglich verlangt, dass sie kriminelle Handlungen anzeigen, wenn sie davon Kenntnis erlangen. Sie sind aber nicht gezwungen, proaktiv nach mutmaßlichen kriminellen Äußerungen zu forschen, sie aufzuzeichnen und Beweise zu sichern.

Unsere Nachsicht  muss enden


Damit kommt der Gesetzgeber den Betreibern weit entgegen. Die Folge ist aber offenbar, dass Wirte und Wirtinnen kein großes Interesse entwickelt haben, ihre Gasträume zu kontrollieren und mit einem klaren Wort Hetzer, Hasser und Zweifler vor die Tür zu setzen, wenn die im Rausch staatsfeindliche Äußerungen tätigen. Selbst diesen einschränkten Pflichten kommen die Betreiber nicht vernünftig nach.

Dies ist der einhellige Befund der Praktiker, die sich mit der Problematik beschäftigen. Natürlich werden beanstandete Inhalte zum Teil beim Bedienen kritisiert. Doch die Praxis scheint völlig undurchsichtig zu sein. Von Hass-Aussagen Betroffene beklagen, dass schon die Meldung von Verstößen bei den Gaststätteninhabern schwierig sei: Selbst diskriminierende Klosprüche werden häufig nicht sofort entfernt. Reagierten die Betreiber auf Hinweise auf krasse Äußerungen, seien Antworten oft unbefriedigend. Was soll ich denn da machen, heiße es.

Seit langer Zeit ist die Bundesregierung im Dialog mit den Verbänden des Gastgewerbes. Worum geht es dabei, fragt man sich. Und man wagt es kaum auszusprechen: um nichts anderes als die Einhaltung des Rechts! Es ist der fatale Eindruck entstanden, als diskutiere der Bundesjustizminister nur mit Facebook, YouTube und Co. darüber, ob sie die Güte hätten, Hetze, Hass und Zweifel zu löschen. Während dieselben Inhalte in hunderttausenden Schenken, Bars und Fußballkneipen auf unerträgliche, oft laute Art ungestört verbreitet werden können.

Einen solchen Eindruck darf jedoch kein Rechtsstaat aufkommen lassen, auch keiner, der offen dazu steht, dass er seine Grenzen nicht schützen kann. Sollen die Behörden künftig auch mit großen Restaurantketten darüber verhandeln, ob diese bitte schön bereit wären, für Ruhe und Ordnung in ihren Gasträumen zu sorgen? Sollen Wirte geschult werden, Hass zu erkennen? Wie sieht es mit der Gastraumüberwachung aus? Ja, der Worte sind genug gewechselt. Es muss gehandelt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass das Recht auch in den öffentlichen Räumen von "Schwarzem Bär", der "Linde", dem "Braustubrl" und der "Hansa-Bar" gilt.

An Rechtsverschärfungen führt kein Weg vorbei


An Rechtsverschärfungen wird kein Weg vorbeigehen. Dabei kann man abgestuft vorgehen: Zunächst sollte die Frist näher konkretisiert werden, wie schnell ein Betreiber einen Gast, der sich rechtswidrig äußert, anzeigen muss. Zudem wäre den Betreibern ab einer bestimmten Größe zur Auflage zu machen, eine Standleitung zur Bundesbeschwerdestelle beim Bundesblogampelamt einzurichten.

Deren Ausstattung müsste so bemessen werden, dass Zuwiderhandler zügig verfolgt werden können. Gaststättenbetreiber und Inhaber von Bars und Kneipen sollten einen jährlichen Bericht darüber vorlegen, der aussagt, wie viele Vorfälle mit überkritischen, hetzenden und auf den Staat schimpfenden Gästen es gab und wie gegen sie vorgegangen wurde. Kann der Betreiber keinen solchen Transparenzbericht vorweisen, sollte dies - wie im Hygienerecht - mit einem empfindlichen Bußgeld geahndet werden.

Tritt dann immer noch keine Verbesserung ein, wäre auch an einen weiteren neuen Bußgeldtatbestand zu denken. Dieser könnte daran anknüpfen, dass einzelne Wirte durch ihr Dulden zugespitzter Hassrede der Beihilfe schuldig werden. Zudem müsste die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden geregelt werden.

Der Bundesjustizminister hat vor Kurzem noch erklärt, dass er zunächst einen Vorschlag der EU-Kommission zur Regulierung der sozialen Medien abwarten wolle, ehe er gegen Stammtischrunden, Hetzgespräche bei Familienfeiern und tolldreiste, von keiner Sachkenntnis getrübte staatsfeindliche Witze vorgehen will, die sich auch in so manchen Straßencafé zugeraunt werden.

Indes: Der geschäftsführende Fraktionsvorstand meiner Fraktion war in dieser Woche in Brüssel. Dort wurde uns berichtet, dass an einem solchen umfassenden Vorschlag gar nicht gearbeitet werde, schon gar nicht denkt Brüssel daran, gegen Hetzer im Kneipenmilieu vorzugehen. In der Debatte sei eine Regulierung der audiovisuellen Medien, die aber nicht in erster Linie Facebook im Blick habe. Die Worte des Bundesjustizministers im Ohr, waren wir überrascht, dies zu hören.

Es wird also kein Weg daran vorbeigehen, dass Deutschland auch bei diesem Thema wird vorangehen müssen, wie zuvor beim Energieausstieg, auch um die Diskussion in der EU zu bestimmen. Die Bundesregierung muss das Thema jetzt auf die Tagesordnung setzen.

In ihrem eigenen Interesse sollten sich die Wirte und Wirtinnen einer stärkeren Regulierung nicht entziehen. In Deutschland zählen Gaststätten angeblich über 2,5 Milliarden Gäste im Jahr. Doch das Image der Kneipen ist angekratzt, eben weil sie zu Hass-Plattformen geworden sind und weil politische Debatten dort immer mehr manipuliert werden.

der Wirt vom "Bären" sollte ebenso wie der Franchisenehmer des McDonalds an der Ausfallstraße daran interessiert sein, seinen Ruf wieder etwas aufzupolieren. Im Sinne der Betroffenen muss noch eine völlig unverständliche Gesetzeslücke geschlossen werden. Derzeit kann eine Person, die etwa in einer Hassrede an einem Stammtsich beleidigt wird, oft nicht einmal die Rücknahme der Äußerung verlangen, weil sie nicht anwesend war und nicht davon erfahren hat.

Ich gebe zu: Auch bei einer Aufzeichnungspflicht, wie wir sie planen müssen, wäre die Verfolgung immer noch schwierig. Diese Chance einem Betroffenen, der in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt wird, aber von vornherein zu nehmen, wäre nur ein weiteres Unding in diesem Themenkomplex.

Ein Letztes: Wir müssen weiter diskutieren, ob Gaststättenbetreiber nicht mehr tun müssen, um ihre Gasträume nicht nur von rechtswidrigen Inhalten frei zu halten, sondern von Lügen generell gerade in der politischen Debatte.

Montag, 21. November 2016

Im Zeichen des Ich: Die besten Sätze der Kanzlerin bei Anne Will

Merkel bleibt standhaft, Anne Will gab die passenden Stichworte, alles wie immer beim Fernsehcomeback der Kanzlerin zur besten Sendezeit direkt nach dem "Tatort". Direkt nach der Anküdigung, mit einer vierten Kanzlerschaft auf Jagd nach dem bestehenden Rekord Helmut Kohls gehen zu wollen, hatte Angela Merkel bei der ARD Bescheid geben lasse, dass sie plane, am Sonntagabend vor ihr Fernsehvolk zu treten.

Da die Rundfunkanstalten in Deutschland im Unterschied zu denen in Polen komplett unabhängig sind, wurde sofort ein Sendeplatz freigemacht, als Merkels Büro aufgelegt hatte. Kanzlerinnenwünsche sind Befehle, die Geschäftsführerin der Will Media GmbH lässt die Redaktion ein paar Sessel umräumen, ein paar andere Gäste ausladen. Und es kann losgehen.

Nein, einen Plan B hat sie nicht, jedenfalls keinen, der verkündet werden dürfte. Nein, ihr Plan A geht auch im sechsten Monat noch nicht auf. Aber Merkel vertraut Merkel, sie ist unerbittlich im Wissen darum, richtig zu liegen. Und immer noch mit viel Spaß bei der Sache.

Nur wer so überzeugt ist, kann andere überzeugen - wie Merkel das auf ihre ganz eigene, zutiefst menschliche Weise tut. Manche ihrer knappen, kompakten Sätze, die mit großer Entschlossenheit gelassen gesprochen werden, haben das Zeug zum Klassiker - Merkel ist echt, authentisch und klug, sie bleibt standhaft, bekommt Applaus, lächelt, verspricht ein nachhaltige, europäische Lösung für die Flüchtlingskrise. Sie ist gegen den Kleingeist, eine große Frau in Alarmorange, die fröhlich das Fundament eines europäischen Kompromisses skizziert, der irgendwann gefunden werden wird.

Die besten Zitate der Kanzlerin bei "Anne Will" dokumentiert PPQ in der zeithistorischen Reihe "Doku Deutschland"* für alle die, die die große Ich-Show der Kanzlerin verpasst haben.


"Menschen sind nie alternativlos."

"Ich suche die Lösung dort, wo die CDU immer verankert ist."

"Ich habe verschiedene Differenzpunkte mit dem türkischen Präsidenten."

"Der wesentliche Umstand ist schon das Denken über die Menschen in Deutschland."

"Grotesk ist, wenn so getan wird, als wäre ich da jetzt die letzte Säule."

"Wir müssen offen sein, auch in unseren Antworten."

"Ein Zurück wird es nicht geben."

"Wir müssen den Menschen den Eindruck geben, dass sie Halt haben, dass sie Orientierung haben."

"CDU-Politik war immer, Leitplanken zu finden."

"Was bedeutet das Medienverhalten?"

"Wir sind gut beraten, mit einer Politik von Maß und Mitte Halt zu geben."

"Es ist in der Politik immer so, dass man nur sieht, was ist, aber nicht, was man verhindert hat."

"Ganz verhindert habe ich auch nicht, dass sie existiert."

"Ich persönlich bin nach wie vor optimistisch, dass wir Menschen überzeugen können."

"Meine Politik passe ich der Wirklichkeit an."

"Wir leben in Zeiten dramatischer Veränderungen."

"Wie kann ich Wohneigentum erwerben?"

"Frau Will, das kann ich nicht sagen."

"Jeder kann sich einbringen."

"Dass nur die, die Nein sagen, das Volk sind, und die anderen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, sind die Elite, das sehe ich nicht."

"Ich bin genauso das Volk, wie andere das Volk sind."

"Zu jeder Wahl kann jeder seine Meinung sagen."

"Kannst du dem Land noch etwas geben, bist du noch neugierig?"

"Deswegen freue ich mich auch drauf."

"Ich habe mich mehr mit der Zukunft befasst - was wird das für ein Wahlkampf?"

"Stadt und Land, Ältere und Jüngere, die, die vor kurzem erst gekommen sind, mit denen, die schon länger bei uns leben."

"Auf der anderen Seite haben wir nur noch halb so viel Arbeitslose."

"Und jetzt durch die Frage der Flüchtlinge ist die AfD durchaus noch einmal stärker geworden."

"Wenn ich zurückblicke, was wir geordnet haben, was wir gesteuert haben."

"Ich bin in mir sicher, dass ich die Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen gefällt habe."

"Wir wollen nicht hassen uns gegenseitig."

"Im Wahlkampf haben wir mehr Gelegenheit, mit den Menschen zu sprechen."

"Kann ich dem Land noch etwas Neues geben?"

"Was passiert von 2017 bis 2021 mit Deutschland?"

"Ich habe eine gute Motivation und eine gute Vorstellung, wie man den Zusammenhalt der Gesellschaft wieder stärken könnte."

"Ich stehe hier munter vor ihnen."

"Ich habe viele Ideen."

"Ich brauche lange und die Entscheidungen fallen spät."

"Es geht nicht um Korrigieren, sondern um Weiterentwickeln."

"Ich freue mich in den kommenden Monaten auf eine Auseinandersetzung über die richtige Politik. Die braucht unser Land in dieser Zeit."

"Wir werden sie unter Demokraten führen und im Ton von Demokraten, so jedenfalls mein Vorsatz."

"Mein Ziel in der Politik ist es, für den Zusammenhalt in unserem Land zu arbeiten."

"Wir müssen für ein gutes, starkes Deutschland arbeiten."

"Wie es auf mich ankommt, das ehrt mich zwar. Aber ich empfinde es auch als sehr stark grotesk und geradezu absurd."

"Es geht darum, dass Menschen sich abgehängt fühlen."

"Diese Erkenntnis ist schon nicht neu."

"Wie kann ich teilhaben, ich habe nicht mal einen Breitbandanschluss?"

"Erfolge erzielen - das geht wirklich nur gemeinsam."

"Wir werden es mit Anfechtungen mit allen Seiten zu tun haben."


"Diese Wahl wird wie keiner zuvor - jedenfalls seit der deutschen Wiedervereinigung nicht - schwierig."

"In überaus schwierigen, man kann auch sagen, unsicheren Zeiten."

"Ich werde doch vor diesem Problem nicht davonlaufen."

"Ich bin schon auch Teil der Lösung."

*Zur zeitkritischen Reihe "Doku Deutschland"



Sonntag, 20. November 2016

Merkel tritt noch mal an: Game of Clones

Elf Monate vor der Bundestagswahl haben die Regierungsparteien die neue Große Koalition zurechtgezupft. Zur Not sollen die Grünen noch mit einsteigen, falls es zur rot-schwarzen Mehrheit nicht reicht.
Aufatmen, Erleichterung, Erlösung. Angela Merkel lässt ihr Volk nicht hängen, nach Klärung der endgültigen Besetzung des neuen Kabinetts und der Vergabe der Ministerposten in der vergangenen Woche hat die Kanzlerin durch ihre Vertrauten Elmar Brok und Norbert Röttgen vorfühlen lassen, wie die Masse der Menschen draußen im Land über eine weitere Amtszeit der Hamburgerin in der Kanzlerwaschmaschine denkt. Und siehe da: Die veröffentlichte Meinung ist begeistert, staatliche Sender präsentieren staatliche Umfragen mit eindeutigen Ergebnissen, die Mehrheit der Journalisten steht treu zur Kanzlerin.

"Jeder weiß, dass sie kandidiert", hatte Elmar Brok anfangs noch Zweifel genährt. Kenner der Politszene wissen, egal ob Ukraine oder Griechenland, wo der letzte noch im Amt befindliche Zeitgenosse Leonid Breschnews auftaucht, geht in der Regel wenig später alles in die Brüche. Dann aber fanden aufmerksame Analysten heraus, dass nicht nur die SPD ein Personalproblem hat, sondern auch die CDU: Außer Angela Merkel steht kein kanzlerabler Kandidat zur Verfügung, weil es der immer noch als beliebteste Kanzlerin aller Zeiten geltenden Physikerin während ihrer 16 Jahre an der Spitze der Union gelungen ist, die CDU zu kauterisieren, innerlich zu veröden und inhaltlich zur reinen Merkel-Partei zu machen.

Dass Merkel im erwartbar behäbigen Wettrennen um den Eisernen Thron antreten wird, weil sie antreten muss, war deshalb in der Union kein offenes Geheimnis, sondern Grundlage aller Politik. Merkel, mochte sie auch die Verfassung biegen und brechen, Teile der Bevölkerung gegen sich aufbringen und beharrlich gegen alle europäischen Partner regieren, ist zu schützen, weil diese Frau allein inzwischen Markenkern und gesamter Inhalt der ehemals stolzen christlichen Union ist.

Hatte selbst die Kohl-CDU neben ihrem schwergewichtigen Vorsitzenden noch andere Köpfe, zeit- und teilweise sogar mit abweichenden Ansichten, ist die Merkel-Union ein auf eine Frau eingeschworener Verein, von dem niemand draußen im Lande zu sagen wüsste, was außer Merkel ihn zusammenhält. "Niemand sonst kann Trump Paroli bieten, die EU zusammenhalten und Populisten stoppen", heißt es schwärmerisch in der "Welt". Niemand sonst kann Tote heilen, die Welt ins kommende Jahrtausend führen und übers Wasser gehen, das steht ohnehin fest.

Was soll eine Welt ohne Merkel? Wäre sie nicht wüst und leer? Die vierte Amtszeit wird zum Ziel allen Regierungshandeln. Wann der Wähler seine Zustimmung gibt, sei nur noch Formsache, erklärt der selbsternannte Europapolitiker Elmar Brok, der seit Helmut Schmidts Kanzlerschaft im Europaparlament sitzt und seitdem schon ein halbes halbes Dutzend Kanzler an sich vorscheitern hat sehen dürfen. Wie der Seuchenvogel mit der geheimen Bertelsmann-Karriere, der einstmals Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft studierte, allerdings keinen Abschluss erreichen konnte, ist Angela Merkel nicht wegzudenken aus einer Gegenwart, die bis ins Detail ihrer eigenen Vergangenheit entspricht. DDR-ähnliches Parteiensystem, eingeschränkte Pressefreiheit, antirussische Propaganda, Regelungswut und der permanente Versuch, die Wirklichkeit durch Volkserziehung an die eigenen Erwartungen anzupassen - Angela Merkel ist das personifizierte "Weiter so", verkleidet als "Wir schaffen das".

Auf den Eisenthron in jedem Fall, denn schon sind die Fühler zu den Grünen ausgestreckt. Wie in Sachsen-Anhalt, einem Demokratie-Labor, das probehalber von einer ganz, ganz großen Koalition der großen Schwäche unter dem Label "Kenia" verwaltet wird, wäre Angela Merkel bereit, für den Fall einer fehlenden eigenen Mehrheit mit der SPD auch die einstige Ökopartei noch mit ins lecke Regierungsboot zu nehmen. Hauptsache dranbleiben, Hauptsache weiterwurschteln.

Sonst merkelt irgenwann noch jemand, dass die Ruder der Politik schon lange nicht mehr bis ins Wasser reichen.



Sachsen-Anhalt im Schuldenstrudel: Was kostet die Welt

Als es losging mit dem Sparen, hatte Sachsen-Anhalt kein Geld. 9,9 Milliarden im Jahr betrug das Haushaltsvolumen des bitterarmen Ostlandes, seit Mitte der 90er Jahre hatte sich diese Summe kaum verändert. Viel zu viel, rechnete der gerade ins Amt gekommene Finanzminister Jens Bullerjahn aus. So geht das nicht weiter, befand der Arbeiterführer aus dem Mansfelder Land. Und legte einen großen Plan vor, wie das Haushaltsvolumen bis zum Jahr 2020 auf dann nur noch 6,3 Milliarden Euro schrumpfen könne, weil es müsse.

Mehr Geld nämlich, das wussten vor zehn Jahren noch alle, wird nicht da sein, weil Sachsen-Anhalt auch im 26. Jahr nach der Einheit noch das Bundesland ist, das den geringsten Teil seiner Ausgaben aus eigenen Einnahmen zahlt. Fast jeder zweite Euro, den Dauer-Ministerpräsident Reiner Haseloff unters Volk wirft, stammt aus dem Länderfinanzausgleich. Zudem hat es das Bindestrichland geschafft, bei den Steuereinnahmen pro Kopf noch hinter Mecklenburg-Vorpommern zurückzufallen. Und einen Schuldenberg auszuhäufen, dessen Zinskosten fast zehnmal so hoch liegen wie im Nachbarland Sachsen.

Bullerjahn sprach die ungeschminkte Wahrheit aus. Und er erreichte etwas. Über ein Jahrzehnt war der Wille, nun endlich mal zu sparen, zumindest verbal Landespolitik. Zwar stieg das Haushaltsvolumen dabei regelmäßig weiter an. Aber indem ein Teil der neuen Schulden alte bedienten, konnte zumindest immer behauptet werden, dass es gut vorangehe mit der Sparsamkeit.

Allerdings nur, bis die AfD kam. Kaum hatten die Antidemokraten ein rundes Viertel der Sachsen-Anhalter demagogisch dazu veranlasst, ihr Kreuzchen bei den Falschen zu machen, rückten die Restdemokraten in der Landesregierung so eng zusammen, dass zwischen die Ausgabewünsche der drei beteiligten Parteien immer noch ein Zusatzwünschchen passt.

Mit stolzen Ergebnissen: Um stolze sechs Prozent wächst das Haushaltsvolumen kommendes Jahr verglichen mit 2016. Gegenüber dem ersten Sparjahr 2007 beträgt der Zuwachs des Haushaltsvolumens sogar mehr als elf Prozent. Sachsen-Anhalt schafft es im zehn ten Jahr nach Beginn des großen Sparens wirklich: Das Haushaltsvolumen übersteigt erstmals die Schwelle von elf Milliarden.

Vor zwei Jahren noch war geplant gewesen, mit 9,9 Milliarden auszukommen. Auch dann wären zwar nur noch drei Jahre Zeit gewesen, wie ursprünglich vorgesehen ein Drittel der Ausgaben wegzustreichen, um ab 2020 bei den anvisierten 6,3 Milliarden zu landen.

Doch statt sich vom Ziel zumindest nicht weiter zu entfernen, erklärt die rot-grün-schwarze Landesregierung dessen Erreichung einfach verbal für erledigt. "Sachsen-Anhalt ist finanzpolitisch auf einem guten Weg", heißt es fröhlich. Keine Rede mehr davon, das "strukturelle Defizit" (Bullerjahn) zwischen eigenen einnahmen und Zuschüssen des Bundes in Höhe von rund 660 Millionen Euro jährlich bis 2020 "in mindestens zehn gleichmäßigen Schritten auf Null zurückzuführen" (Bullerjahn 2007), um auch nach Auslaufen der Ostförderung durch den Solidarpakt einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können.

Der Kampf gegen die Feinde der Demokratie ist teuer, aber er muss geführt werden, ganz egal, was es kostet. Sparen nützt nur denen, die von der Regierung Sparsamkeit fordern. Es lohnt sich nicht für Regierungen, die bereits im Amt sind. Sondern bleibt immer und ewig eine Aufgabe für die, die später regieren werden.