Sonntag, 1. Oktober 2017

Schulz, der Retter


Eine verlorene Wahl, die vierte hintereinander. Das schlechteste Ergebnis, das eine SPD seit 1949 erreicht hat. Nur noch 2,2 Prozent mehr als bei der Reichstagswahl 1933. Selbst Martin Schulz, ein Mann, der keine Selbstzweifel kennt, kommt da sekundenlang ins Grübeln. War wirklich alles richtig? War er der richtige Mann? Mit den vielen, vielen richtigen Programmen? Verkörperte er, der trockene EU-Bürokrat mit dem irrlichternden Blick, wirklich glaubwürdig das Versprechen von mehr Gerechtigkeit?

SPD-Chef Martin Schulz hat seinen Parteimitgliedern einen Brief geschrieben. Und ihnen offen und frei wie nie gestanden, dass er am Abend der Bundestagswahl, als die schlechten Prognosen hereinregneten wie ein vernichtender Hagelschauer, an Rücktritt gedacht hat. Wie lange und wie ernsthaft, schreibt Schulz nicht, doch es können nur Minuten gewesen sein, ehe ihm klarwurde: Nein, in der Stunde der größten Not, wenn das Schiff leckt und die Mannschaft in Panik ist, kann der Kapitän nicht von Bord gehen. Er sei "zu der Überzeugung gelangt, dass ich zusammen mit der Partei den dringend notwendigen Neuanfang der SPD voranbringen möchte", schreibt er wie ein Kind, das seinen Wunschzettel verfasst.

Der zweite, für einen Mann wie Schulz, der noch vier Jahre bis zur Rente überbrücken muss, nur logische Gedanke: Nur er, Martin Schulz aus Würselen, auf der finalen Runde des Wahlkampfes von Genossen wie Sigmar Gabriel und Andrea Nahles allein gelassen, kann die einstige Volkspartei noch retten. Dass er Andrea Nahles, die längst auf seinen Stuhl schielt, beim Fraktionsvorsitz den Vortritt lassen muss, um seinen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen? Geschenkt. Schulz, im Wahlkampf jemand, der allen alles versprochen hat, setzt auf diese seine Stärke. Und verspricht der verunsicherten, geschlagenen und depressiven Partei einen "strukturellen, organisatorischen, inhaltlichen und strategischen Neuanfang".

Kleingeld hat der 61-Jährige nicht. Denn er tritt nicht nur an, die älteste deutsche Partei zu retten. Sondern er rettet damit gleich die gesamte europäische Sozialdemokratie. "Es geht in den nächsten vier Jahren um nicht weniger als um die Existenz der deutschen, ja der europäischen Sozialdemokratie", warnt Schulz. Und lässt scheut sich nicht, vergangenen, bessere Zeiten anzuklagen und abzurteilen.

Die verlorenen Bundestagswahlen 2005, 2009 und 2013, alle mit besseren Ergebnissen für die SPD als er sie erreicht hat, vor dem Schulz-Gericht. Die "ehrliche und tiefergehende Debatte über die Gründe der Wahlniederlagen", die er, der Dauerfunktionär, damals nicht forderte. Er klagt sie heute ein. Die "echten Konsequenzen" (Schulz), die damals "nicht gezogen wurden" (Schulz), er kündigt sie heute an.

Dass er damit nicht meint, dass die SPD-Spitze, die den schlechtesten Wahlkampf aller Zeiten geführt und das Desaster organisiert hat, sie zieht, ist klar. Hier spricht Martin Schulz, hier trägt der Arbeiterführer Stern und Schulterband und Schulz sind immer die anderen.

Sigmar Gabriel zum Beispiel, der im Wahlkampf "alte Fehler wiederholt" hat, die ihm, Martin Schulz, "zu wenig Zeit für die Vorbereitung der Kampagne gelassen" habe. Damals, als Gabriel Schulz zum Kanzlerkandidaten kürte wie ein feudaler Renaissanceherrscher seine Fürsten ernannte, war Schulz das gar nicht aufgefallen. Auch später im Wahlkampf beklagte er sich nicht. Sondern irritierte das Publikum mit absurden Prophezeiungen wie "Ich werde Bundeskanzler".

Spätestens 2019 will Martin Schulz nun "die Weichen für 2021" stellen, um bei der nächsten Wahl dann eine klare, geradlinige Strategie zu fahren.

Die 20,5 Prozent von 2017 einfach verdoppeln, das reicht. "Die nächste Regierung wird sozialdemokratisch geführt sein“, weiß Schulz, der Retter.




2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Berechen- und vorhersehbar, wie ein Pawlow-Reflex, diese Chulpf-Reaktionen. –Denn innerhalb seines Paranoia-Parallel-Universums, worin offenbar alle Koordinaten gespiegelt und ergo alle Grössen, Werte und Fakten in ihr Gegenteil verkehrt sind, zieht der Äss-Pää-Dää-Vorturner geradezu mustergültige Schlüsse und Konsequenzen. –
Und als typisch deutscher, pitbullhaft in Ideologien Verbissener und mit religiöser Inbrunst in Wahnideen Verstiegener, wird er sich so leicht nicht durch solcherlei Petitessen, wie die Realität, oder Gesetze der Logik und Kausalität von seinem „Erlösungskurs“ abbringen lassen.-
Und sollte der selbst noch das nächste, noch desaströsere Debakel erleben, wird er auch dann noch weiter halluzinieren: „Wir sind auf dem richtigen Weg, also frisch und munter weiter so, unaufhaltsam dem Sieg entgegen !“

Anonym hat gesagt…

Eine Karikatur einer Arbeiterpartei mit einer Karikatur eines Vorsitzenden. Danke, Martin.