Freitag, 26. November 2021

Pflicht ohne Zwang: Auge um Auge, Zahn um Zahn

 

Sie könnten noch leben, sie alle und vielleicht sogar für immer. Die 91-Jährige aus Hamburg, die kurz vor ihrer ersten Corona-Impfung starb. Der 78-Jährige aus Heinsberg und die 89-Jährige aus Essen, die "die als erste deutsche Corona-Tote gelten" (Spiegel). Wären sie nur oder hätten sie doch. An oder mit, alt oder jung, das macht was mit dem Land, tut aber nichts für das große Wir, das "wir verloren haben" (Spiegel), als zum ersten Mal seit 1975  985.572 Menschen im Lande binnen eines Jahres starben statt wie im Jahr zuvor 939.000.  

Spaltende Tote

Tote, die spalten und noch nach ihrem Ableben den gesellschaftlichen Frieden stören. Sind sie mit oder an gestorben? Sowieso oder nur deshalb? Vulnerabel, vorerkrankt, selber schuld oder schlecht geschützt von zynischen ungeimpften Pflegern? Verführt von nicht-immunisierten Fußballern, irregeleitet von verharmlosenden Populisten, verführt vom Glauben an Homöopathie, Schüßler-Salze und Naturkosmetik.

Die Frage dieser Tage, sie lautet nicht, wie schnelle es die Ampel schaffen wird, den Braunkohleausstieg von 2030 auf 2025 vorzuziehen. Sondern welche Begründung sie finden wird, die impfverweigernde Minderheit im Lande auch faktisch zur Verantwortung zu ziehen für das Versagen von Impfstoffen, denen vorab Wirksamkeiten zugeschrieben worden waren die sie in der Praxis offenbar nur so lange zu entfalten vermögen wie der Gespritzte nach dem Piks nicht ausatmet. 

Zurück zum langanhaltenden Schutz

Verheerend für die gesamtgesellschaftliche Stimmung wäre es, die Impfstoffhersteller nach ihren Versprechen zu befragen, nach "Immunisierung", 90-prozentigen guten Wirksamkeiten und "langanhaltendem Schutz", die die Rückkehr zumindest in eine "neue Normalität" (Olaf Scholz) hatten  gewährleisten sollen.  "Große Erwartungen" (Charles Dickens), die so kleinlaut enden, dass es nun schon wieder jemand gewesen sein muss. So wie geldgierige Spekulanten an der Staatsschuldenkrise schuld waren, Cum-ex-Banker an Wirecard und der Russe an der vorfristigen Erreichung der deutschen Energiepreisziele gilt es nun, die für das Schicksal der Nation zentrale Figur des querköpfigen Impffeindes "auszumerzen".

Nur so kann das Gemeinwesen zurückkehren zum langanhaltenden Schutz der Immuniserung aus den Sommermonaten, als die Impfquoten niedrig und das Infektionsgeschehen im Griff war. Aber wie die Widerborstigen zähmen? Wie die Sachsen umstimmen, die Thüringer auf Kurs bringen, die Bayern an die Spritze zwingen?  Reicht es, ungeimpft bleiben Wollenden für den Fall einer Infektion einen Teil der Behandlungskosten aufzuerlegen? Oder sollen sie alles zahlen, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Unsolidarität gegen Unsolidarität? Nur bei Covid? Oder auch beim gebrochenen Bein? Oder einfach gar nicht mehr behandeln? Auf den Stufen zur rettenden Notaufnahme erfrieren lassen wie eine alleinerziehende syrische Mutter an der polnisch-weißbjelorussischen Grenze?

Erfrieren vor dem Krankenhaus

Katrin Göring-Eckardt, nach dem Pokerspiel um die Machtaufteilung im künftigen Kabinett wohl abgefunden mit dem im Februar neu zu vergebenden Posten des Bundespräsidenten, sieht in einer Impfpflicht ein "milderes Mittel" als in Lockdowns für die Gesamtbevölkerung. Wenn "alle demokratischen Parteien" im Bundestag einem solchen „milden Mittel“ zustimmten, wäre die entsprechende Entscheidung ausreichend legitimiert, um das grundgesetzliche gebotene recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit auszuhebeln.

Schließlich, das ist der vielerorts im Land noch unentdeckte Unterschied, ist eine Impfpflicht nicht gleichbedeutend mit einem Impfzwang. Vielmehr ist der Unterschied zwischen beiden Härtegraden der staatlichen Betreuung ähnlich groß wie der zwischen Pflicht und verpflichtender Duldung, wie sie bei der Bundeswehr gilt. Eine Pflicht bedeutet  nicht, etwas   Sollen oder Müssen zu müssen, sondern es Sollen oder Müssen zu sollen. Ein Zwang dagegen, eine Aufgabe, Forderung oder Pflicht erfüllen zu müssen, umgeht die Möglichkeit, dass der Müssende sich seiner Verpflichtung zur  Erfüllung entzieht, indem er - bei der Impfpflicht zum Beispiel - nicht mehr vor die Haustür geht, vom Ersparten lebt und sich von Lieferdiensten versorgen lässt, indem Maßnahmen ergriffen werden, die verhindern, dass er sich seiner Pflicht entziehen kann.

Einsicht in die Notwendigkeit

Milder Druck und das großzügige Angebot, den Zwang freiwillig zu dulden, der damit keiner ist, sondern die vollendete Umsetzung der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit, die der große deutsche Philosoph  Friedrich Engels in seinem "Anti-Dühring" als Voraussetzung für die Freiheit aller immer und auch unter den Bedingungen der Unfreiheit nannte. Das Abfinden und Mitmachen als Bestandteil eines kollektiven Wollens verwandelt die Pflicht in eine Kür, verringert allerdings nicht nur den Anteil der Gefährder in der Gesundheitsgesellschaft, sondern perspektivisch auch das Reservoir an gesellschaftlichen Gruppen, die in einer möglichen nächsten crisis als Alleinverantwortliche die Rolle des Ziegenbockes Bobesch aus der Augsburger Puppenkiste übernehmen und mit der Last der Schuld an allem beladen in eine Ecke gestellt werden können.

Während Spitzenpolitik und Medien sich entschieden hat, das Risiko einzugehen und nunmehr ausschließlich über eine allgemeine, spezielle, freiwillige, zu erzwingende, grundgesetzkonforme Impfpflicht zu diskutieren, ist der diesjährige Wellenbrecher-Lockdown aus einem Ei geschlüpft, das keine Henne je gelegt hat. Auf einmal war er da, ein alter Bekannter, der noch vor dem ersten Schnee unangekündigt hereinschneit. Ältere Pandemieteilnehmer wissen, nun ist bald Weihnachten. Bald spricht der scheidende Bundespräsident. Und er wird sagen: "Ich versichere Ihnen: Der Staat handelt nach den Regeln, die unsere Verfassung für eine Situation wie diese ausdrücklich vorsieht".


7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wäre sie nach der Impfung in der Praxis 'aus heiterem Himmel zusammengebrochen', hätte es die Meldung vermutlich nicht aus dem Regionalteil herausgeschafft. Das ist sogar für die Zentralorgane eine bizarre Meldung, aber die Medienfront steht. Es sind ab jetzt alle Toten zu melden, die nicht an der Impfung gestorben sind, damit die Leute sehen, wie gefährlich das Leben ohne Impfung ist.

Die Anmerkung hat gesagt…

https://www.bild.de/news/ausland/news-ausland/england-corona-tragoedie-doppelt-geimpfter-arzt-stirbt-kurz-vor-booster-impfung-78350230.bild.html

CORONA-TRAGÖDIE IN ENGLAND

Trotz Doppel-Schutz! Arzt stirbt kurz vor Booster-Impfung
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Wieso "Trotz", warum nicht "Wegen Doppel-Versagen"? Für mein Dafürhalten sind die Trennmittel im Reißer der BILD völlig überflüssig.

Anonym hat gesagt…

>england-corona-tragoedie

Ich glaube, es gäbe wesentlich berichtenswertere Coronatragödien. Solche Nebenereignisse im Ausland über die Agenturen international zu streuen und aufzubauschen ist offenbar ein neues Propagandamittel, um die Erlösung durch die Solidaritätsimpfung ins rechte Licht zu rücken.

Anonym hat gesagt…

Sehr schön war auch "keine Sterbehilfe für Ungeimpfte", vor ein paar Tagen.

Jodel hat gesagt…

Nur mal so gedacht. Wenn eine Impfpflicht käme und bis zum nächsten Winter alle hier geimpft sein würden, wem würde man dann den schwarzen Peter in die Schuhe schieben wenn dann die komplett unerwartete fünfte Welle über uns hereinschwappt?
Dann würden wir doch all die schönen Sündenböcke verlieren. Die Regierung kann also gar nicht wollen, dass wirklich alle geimpft werden. Ein paar Unbelehrbare, die alle Schuld auf sich nehmen müssen, dürfen auf keinen Fall geimpft werden.

Anonym hat gesagt…

Ein paar Unbelehrbare, die alle Schuld auf sich nehmen müssen, dürfen auf keinen Fall geimpft werden. ------- Ebend!

Mit OT weiter: Freund Kreuzweis, der hoffentlich hier mitliest, verweist bei Le Penseur auf Vera Lengsfeld. (Ich bin ihr nicht feynd, aber den Vorwurf einer gewissen Einfalt kann ich ihr nicht ersparen.) Zum OT nun:

Der Krimi als Gehirnwäsche
Veröffentlicht am 21. November 2021 - Und dort kommt wieder die Nummer mit dem "Lebensborn" als Arierzuchtanstalt.
1948, beim soundsovielten Nachfolgeprozeß zu den Nürnberger Prozessen, wurde höchstderoamtlich festgestellt, daß der Lebensborn das eben NICHT war, und daß die auch nicht systematisch im Osten blonde Kinder geklaut haben.
Aber wer kennt bzw. liest schon olle Dikigoros (der zwar auch seine Schwächen hat).

Anonym hat gesagt…

Dikigoros - schon länger nicht gelesen. Bis eben itzt: Der Weg des Tees - Teil II. Alsdann dort der Nachtrag zu Corona - zugegeben, man muß nicht ALLES wie Honigseim aufsaugen. Aber doch eine erfrischende gedankliche Anregung.
(gurgel: dikigoros reisen)