Donnerstag, 30. Juni 2022

Nato: Waffenbrüder vom Wertebasar

Der Traum jedes Jungen im Grundschulalter: Einmal Jetpilot an der Ostflanke.

Eben noch hirntot, auf einmal wieder springlebendig. "Es herrscht Aufbruchstimmung bei der Nato", freut sich die "Tagesschau", nachdem der "feierliche Gipfel" (Tagesschau) des Militärbündnisses in nur zwei Tagen mehr Lebenskraft zurückgewonnen hat als in den 20 Jahren zuvor. Neue Mitglieder, neue Truppen, neue Gebiete, die es zu verteidigen gelten wird. Eine neue Strategie noch dazu, die sagt, was Sache ist: Russland ist "die größte und unmittelbarste Bedrohung". China ein Rivale und Sicherheitsrisiko. Man muss aufpassen. Die Reihen schließen. Die Vorneverteidigung stärken und mehr Kampftruppen in die östlichen Bündnisgebiete verlegen, die als Pufferzone und Kampfgebiet gedacht sind, wenn der Russe die Reiche der Menschen wirklich angreift.

Der Zombie lebt

Der Zombie aus dem Kalten Krieg, er hat nach 30 Jahren existenzbedrohender Koexistenz mit den konkurrierenden Systemen der Russen und Chinesen wieder Feinde gefunden, aber neue Verbündete auch. So kompliziert ist deren Gewinnung und die Erteilung einer Zugangsgenehmigung, dass Schweden und Finnland ihre Eintrittskarte beim Vorstellungsgespräch beim türkischen Präsidenten Recep Erdogan, Herr der unverzichtbaren Südflanke der Nato und Beherrscher des Bosporus, mit Kurden zahlen mussten. Im Tausch gegen die Mitgliedschaft im Nordatlantik-Pakt bekommt die Türkei kurdische Staatsfeinde ausgeliefert. Die USA legen die längst versprochenen, aber bis heute nicht gelieferten F-16-Jagdbomber als Belohnung obendrauf.

So machen das "Partner" (Tagesschau), die dieselben Werte teilen und sich für den Krieg mit den gleichen Feinden wappnen. Die Türkei ist das einzige Nato-Land, das heute noch einen Fluchtkorridor für russische Oligarchen freihält und damit alle Sanktionsbemühungen von Nato, EU und demokratischer Weltgemeinschaft unterläuft. Erdogan weiß seit seinem Tauschgeschäft mit Deutschland, bei der Waffen für einen Journalisten bekam, dass er das kann. Er ist zu wichtig, als dass man ihm befehlen könnte. Angesichts der Lage darf niemand nicht zu stolz sein, vor ihm die Knie zu beugen. Um Waffenbrüder wie ihn zu gewinnen, lohnt auch ein Bummel über den Wertebasar.

Geschnitzt aus abendländischer Demokratieeiche

Wie der Ungar Viktor Orban und der Pole Jarosław Kaczyński ist Erdogan seit Kriegsbeginn auch medial zurück in Klub der Guten. Kein Sultan mehr, kein Machthaber, Alleinherrscher, Schlächter friedlicher Rojava, sondern einer von uns, geschnitzt dem Holz abendländischer Demokratieeiche. Ihm können Schweden und Finnland guten Gewissens ihre PKK-Aktivisten und Gülen-Anhänger anvertrauen, er wird Gerechtigkeit üben gegen jedermann, wenn sich die Waffenlieferungen nicht weiter verzögern oder sich die Waage des Kriegsglücks gen Moskau neigt.

Der Feind meines Feindes ist mein Freund, wie schon der frühere Nato-Chef Napoleon Bonaparte als Teil der strategischen Grundlagen seiner Militärstrategie festgelegt hatte. Gerade vor einem Krieg kommt es nicht auf Mundgeruch, Uniformmode und allgemeine Sympathie an, sondern auf die Zahl der Truppen, die einer stellen kann. Wie viele das für die gesamte Nato sind, weiß derzeit noch niemand zu sagen. Jens Stoltenberg, eben noch beinahe schon im Ruhestand, sprach von "weit über 300.000 Soldatinnen und Soldaten", die künftig ein Leben in "erhöhter Bereitschaft" führen sollen, um nach der "größten Neuaufstellung unserer kollektiven Verteidigung und Abschreckung seit dem Kalten Krieg" als "schnelle Eingreifgruppe an der Ostgrenze" die Mauer zu beschützen, die den Schengenraum abriegelt. Es heißt wieder "Wachsam sein, immerzu. Und das Herz ohne Ruh'".

Woher diese Soldaten kommen werden, bei denen es sich nicht um neueingestellte und neuausgebildete  Frauen und Männer in neuen Einheiten handelt, sondern um Kontingente der stehenden Heere der Mitgliedsstaaten, konnte Stoltenberg nicht erklären. "Wie bisher auch schon" müssten am Ende natürlich die Nato-Länder die Bataillone, Regimenter und Divisionen liefern - Deutschland als drittgrößter Nato-Staat hat 15.000 Mann und Frau versprochen, schicken die anderen 29 Partner inklusive solcher Zwergstaaten wie Island, Luxemburg und Estland ebenso viele Truppenteile, kommen sogar 450.000 Bewaffnete für die Ostflanke zusammen. 

Ein Riegel gegen den Russen

Ein Riegel, an dem sich der Russe zweifellos die Zähne ausbeißen muss. Trotz jahrelanger Vorbereitung seines Angriffes auf die Ukraine gelang es ihm dort nur, mit 150.000 Mann anzutreten, die selbst bei Söldner- und Territorialschutzverbänden zusammengekratzt worden waren. Im Verlauf von vier Monaten stieß diese russische Armee nirgendwo  weiter als höchstens 150 Kilometer in die Ukraine vor - angesichts eines Landes, dessen Ost-West-Ausdehnung nahezu 1.300 Kilometer beträgt, wird Putin noch wenigstens dreieinhalb Jahre weiterkämpfen müssen, um sich das gesamte Land zu unterwerfen.

Hält er das durch? Hält die Ukraine durch? Halten die Nato-Waffenbrüder wirklich so lange zusammen? Spanien, weit, weit weg von der Bedrohungslage, hat den westlichen Konsens gekündigt, Kiew mit Geld, guten Worten und leichten Waffen zu unterstützen, nicht aber mit schwerem Gerät. Zehn Leopard-2-Panzer boten die Iberer der Ukraine an, Deutschland, das keine Schwerenwaffen liefern will, ausgenommen Keinepanzer, die nur "in die Luft schießen" (Christine Lambrecht), müsste der Lieferung zustimmen, könnte aber nach einem Ja nicht mehr begründen, warum aus eigenen Beständen keine "Tierpanzer" (Annalena Baerbock) abgegeben werden können. 

Als "Signal der Geschlossenheit" (Spiegel) ist beim Nato-Gipfel nicht über das heikle Thema gesprochen worden, zumindest nicht öffentlich. Auch deutsche Journalisten hielten sich strikt an das alte Motto der US-Streitkräfte "Don't ask, don't tell". So kam es nicht zu Verwerfungen, sondern zu eben jener "Aufbruchstimmung", die sich immer dort besonders schnell einstellt, wo Totgesagte auferstehen, um länger zu leben.


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

fol unaerodynamisch .

Bernd wäre gerne Bomberpilot geworden