Montag, 28. Januar 2008

Feindliche Übernahme in Hamburg

Was ist da los, am Elbestrand? Der "Spiegel", das Sturmgeschütz der Demokratie, gerade mit zwei neuen Kanonieren bemannt, schießt stotternde Salven auf die alten Freunde! Feindliche Übernahme durch das kalte Kapital? Ist die Mitarbeiter KG im Solieinsatz in Venezuela? Hat Roland Koch nach dem Verlust von Hessen das Verlagshochhaus besetzt? Ein erstaunlicher Beitrag jedenfalls unterläuft der "linken Kampfpresse" (Helmut Kohl) heute. Jetzt warten wir, wann der "Stern" schärfere Gesetze gegen Asylsimulanten fordert und die "Süddeutsche" einen Beitrag mit dem Titel "Held Huber" veröffentlicht.

Für die Chroniken jedenfalls - der Untergang des Deutschlands, wie wir es kennen, mit klaren Frontlinien, einem stillschweigend vereinbarten Meinungsmainstream und bequemen Sprech- und Denktabus, er wird einst begonnen haben mit diesen Zeilen, die wir nur aus dokumentarischen Gründen zitieren, wie sie dort stehen, im "Spiegel", dem plötzlich herumgedrehten Sturmgeschütz, das uns unser Freibier mißgönnt und die warme Stube ein Ergebnis von Arbeit im Heizkraftwerk nennt:


Deutschland in der Sozial-Falle
Von Wolfgang Kaden

Mindestlohn-Streit, Nokia-Eklat, Protest gegen hohe Managergehälter: Die Deutschen handeln, als sei die Globalisierung nur ein böser Traum. Volk und Politiker sind vereint im Umverteilungsrausch - das bittere Ende ist gewiss.

Hamburg - Wie man sich doch täuschen kann. Da hatte das Land die Unternehmensteuern gesenkt, hatte jahrelang der Versuchung deftiger Lohnerhöhungen widerstanden, hatte die Arbeitsgesetze von ihren widrigsten Wucherungen befreit. Und tatsächlich, es gab wieder Wirtschaftswachstum, die Beschäftigung nahm zu, die öffentlichen Haushalte wurden mit weniger oder gar keinen Schulden gefahren.

Endlich, so dachten wir in holder Einfalt, haben das Volk und die politische Führung verstanden: Nur wenn sich das Land an die Gesetze der neuen, der globalen Wirtschaftswelt anpasst, hat es eine Chance, im weltweiten Wettlauf zu den Gewinnern zu gehören.

Irrtum. Derzeit ist Deutschland dabei, all die Reformrenditen wieder zu verspielen, die es sich in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts höchst mühsam erarbeitet hat (und die ja auch nur ein Anfang sein konnten). Zwei Jahre mit einigermaßen zufriedenstellenden Wirtschaftsdaten - schon wiegen sich die Deutschen wieder in der Illusion, sie könnten die neue internationale Wettbewerbsszenerie mit Nichtachtung strafen.

Wie schon in den Neunzigern lebt Deutschland nach dem wenig bewährten Grundsatz, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Es darf eben nicht sein, dass auch auf ältere Arbeitslose Druck ausgeübt wird, sich einen neuen Job zu suchen. Es darf nicht sein, dass die Einkommen über Jahre hinweg stagnieren, womöglich gar sinken. Es darf nicht sein, dass eine Friseurin in Sachsen nur 4,50 Euro in der Stunde verdient.

Darf es vielleicht auch nicht, entspricht nicht dem Gerechtigkeitsgefühl vieler in diesem Lande. Doch das Wünschbare ist das Eine, ökonomische Vernunft und Realität sind das Andere. Und wir sind derzeit munter dabei, Meisterwerke der wirtschaftlichen Unvernunft zu bauen.

Stichwort Arbeitslosengeld. Es ist beschlossen, der Bezug des Arbeitslosengelds I für Ältere wird von 18 auf 24 Monate ausgedehnt. Das kostet knapp eine Milliarde Euro im Jahr. Und es mindert wieder, schlimmer noch, die Bereitschaft Älterer, sich einen neuen Job zu suchen. Das Vorhaben läuft den jüngsten Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 diametral entgegen. Die immerhin haben dazu beigetragen, dass die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen von 41 auf 50 Prozent stieg.

Stichwort Lohnerhöhungen. Natürlich sollte, nach den vielen Jahren der Dürre und angesichts guter Gewinne, in diesem Jahr ein reales Plus drin sein. Aber der Lokführer-Abschluss von elf und Forderungen von acht Prozent bei den Beamten und den Stahlarbeitern lassen Erhöhungen weit jenseits der Produktivitätsentwicklung erwarten. Das alles wird unzweifelhaft Jobs kosten.

Stichwort Mindestlohn. Selbstredend wäre es schön, wenn der Staat Löhne von 4,50 Euro und darunter nicht mehr auf ein erträgliches Niveau aufstocken müsste. Aber die Erfahrung in anderen Ländern hat gelehrt: Entweder sind Mindestlöhne, wie in Großbritannien oder den USA, so niedrig angesetzt, dass sie nur von einer mikroskopisch kleinen Minderheit beansprucht werden. Oder sie sind so hoch, dass sie Arbeitslosigkeit produzieren. Wie in Frankreich; dort ist das vor allem Jugendarbeitslosigkeit. Und diese Arbeitslosigkeit ist dann für das Gemeinwesen teurer als die marktwirtschaftliche Variante des Aufstockens.

Arbeitslosengeld-Verlängerung, Lohnsteigerungen, Mindestlohn und manches mehr - es wird verteilt, als könnten wir das Rad zurückdrehen in die wohlstandsseligen Siebziger und Achtziger, als sei die dramatische Verschärfung des weltweiten Wettbewerbs nur ein böser Traum gewesen.

Doch sie ist Realität, nicht unbedingt eine schöne, offenkundig auch eine, die Verteilungsgegensätze wieder schärfer akzentuiert. Wer glaubt, sich diesem globalen Trend entziehen zu können, wie derzeit wieder die Deutschen, wird über kurz oder lang abgestraft.

Wie kalt die Unternehmen rechnen, demonstriert uns derzeit anschaulich der Fall Nokia . Okay, die Finnen haben den Coup tölpelhaft und höchst angreifbar in Szene gesetzt; Journalisten wissen seit langem, dass Öffentlichkeitsarbeit nicht zu den herausragenden Management-Qualitäten der Nordmänner gehört. Aber davon abgesehen ziehen die Handy-Weltmeister nur nüchtern ihre globale Standortstrategie durch - allein dem Diktat von Rendite-Vorgaben gehorchend.

Der durchschnittliche Handy-Preis sei in den vergangenen Jahren um 35 Prozent gefallen, so Nokia-Chef Pekka Kallasvuo, die Arbeitskosten in Deutschland seien in dieser Zeit um 20 Prozent gestiegen. Die Empörungsrituale deutscher Politiker ("Karawanen-Kapitalismus") dürften die Finnen wenig beeindrucken; und auch die Boykottaufrufe werden schon bald verhallt sein. Wir sollten unsere Nokia-Handys besser nicht wegwerfen.

Nicht nur die Finnen, auch die deutschen Unternehmen wählen inzwischen aus einem grandios großen Angebot an Standort-Möglichkeiten. Und sie alle nutzen dieses Angebot, müssen es nutzen, weil die Kunden nicht danach kaufen, wo ein Produkt hergestellt worden ist, sondern allein danach, was es kostet. Auch die deutschen.

Es stimmt doch nach wie vor, was Gabor Steingart in seinem Buch "Weltkrieg um Wohlstand" schrieb: dass Kapital dorthin geht, wo es die höchste Verzinsung zu erwarten hat; dass es "nie zuvor eine derartige Ausweitung des Arbeitskräfteangebots gegeben hat"; dass sich "die Löhne und auch die Lebensstandards der einfachen Arbeiter" weltweit "aufeinander zu bewegen", was für Deutschland heißt: sinkende, bestenfalls stagnierende Einkommen.

"Gerechter Lohn für gute Arbeit", fordern Gewerkschaften und regierende Sozialdemokraten, in wieder wunderbarer Geschlossenheit. Hört sich gut an, gibt im Wahlkampf auch immer Beifall. Nur: Was ist gerecht? Ist es gerecht, wenn ein Chinese einen Euro in der Stunde verdient, ein Osteuropäer drei Euro, ein Deutscher 18 Euro? In einer Wettbewerbswirtschaft richtet sich die Lohnfindung seit jeher nicht an schwammigen Gerechtigkeitsvorstellungen aus. Sondern an dem, was Arbeit leistet, an der Produktivität eben.

Horst Siebert, der Kieler Ökonom, hat das mal ganz schlicht formuliert: "Ein Unternehmen wird dann einen zusätzlichen Arbeitnehmer einstellen, wenn er mehr für das Unternehmen einbringt, als er kostet." Jeder Versuch, diese Logik der sogenannten Grenzproduktivität auszuhebeln, wird wieder mehr Arbeitslosigkeit produzieren.

Wo aber sind die Autoritäten, die solche Wahrheiten vermitteln? Nirgendwo steht einer auf, der es wagte, die Deutschen aus ihren gefährlichen Träumereien zu reißen, von unserem bemühten Bundespräsidenten Horst Köhler vielleicht abgesehen.

Die Union hat nach der Vertreibung des Friedrich Merz keinen mehr in ihren Reihen, der medienwirksam und glaubwürdig marktwirtschaftliches Credo verkündet. Ihr Wirtschaftsminister, der fränkische Müllermeister Michael Glos, hätte schon Mühe, das Amt eines Wirtschaftsdezernenten in einer deutschen Großstadt kompetent auszufüllen.

Merkel und Co. werden von den Sozialdemokraten getrieben, und die von Oskar Lafontaine. Dem ist es tatsächlich gelungen, das gesamte politische Spektrum zurück zum Wohlfahrts- und Verteilungsstaat zu verschieben. Chapeau.

So kann es denn passieren, was man vor zwei Jahren noch für unmöglich gehalten hätte: dass das Thema Mindestlohn zum Wahlkampfhit aufgeblasen wird, mit Sprüchen der sozialdemokratischen Spitzenkandidaten in Hessen, Niedersachsen und Hamburg, die an Plattheit nicht zu überbieten sind. Oder dass in Berlin ein Arbeitsminister namens Olaf Scholz, von Haus aus Jurist, die gute Übung regierungsamtlicher Enthaltsamkeit bei der Lohnfindung fröhlich missachtend, die Gewerkschaften ermuntert, nun mal einen "größeren Schluck aus der Pulle" zu nehmen.

Überflüssig hinzuzufügen, dass die Freidemokraten, die in diesen Zeiten doch ein wunderbares Terrain hätten, in die Sphäre des nicht mehr Wahrnehmbaren entschwunden sind. In Hamburg haben die Liberalen übrigens zwei heiße Themen als Wahlkampfhits entdeckt: Sie fechten dafür, dass Raucher in Kneipen wieder rauchen dürfen ("Freie Wahl für Gäste und Wirte") und dass der in der Hansestadt seit vorigem Jahr geltende Leinenzwang für Hunde wieder abgeschafft wird ("Leinen los. Hunde nicht an Menschen fesseln"). Fürwahr, die FDP weiß, was wichtig ist.

Die Politiker also sind sich mit dem Volk einig, die wirtschaftlichen Realitäten frohgemut auszublenden. Und wie steht es mit den Managern? Erhebt wenigstens die Wirtschaftselite warnend und mahnend ihre Stimme?

Weit gefehlt. Wie auch: Die Vorstände haben mit ihren Gehaltsexzessen jeden Anspruch verspielt, Politiker oder Gewerkschafter zu ökonomischer Vernunft und Mäßigung aufzurufen. Wer sich selbst alljährlich zweistellige Einkommenszuschläge genehmigt, der taugt wahrhaftig nicht als Instanz, die mit einem Mindestmaß an Glaubwürdigkeit die Grenzen des ökonomisch Machbaren aufzeigen könnte.

Die Manager schweigen. Und werden weiterhin, ohne viel Aufhebens, das tun, was sie seit Jahren tun: In jenen Ländern investieren, die ihnen die günstigsten Konditionen bieten. Da täuschen wir uns sicher nicht.

1 Kommentar:

  1. Nun, wessen Brot oder besser Kaviar ich fress, dessen Lied ich sing. Seit Stefan Aust ist der Spiegel alles andere als links. Außerdem haben INSM & Co. mehr zu bieten als die linken Hungerleider.

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