Donnerstag, 19. Juni 2008

Live aus dem Archiv

Technologisch lag der Osten Deutschlands schon immer ganz weit vorn. Hier wurden Junkersflugzeuge und die Multispektralkamera erfunden, die Hochburgen der modernen Giftgas-Produktion lagen und auch die Sonnenenergie wurde in Ostdeutschland erfunden. Demnächst folgt der nächste Schritt "Sachsen-Anhalter", meldet die Landespolitik heute, "können Landtagsdebatten vom nächsten Jahr an im Internet verfolgen".
Ein Traum für viele Menschen auch außerhalb der Landesgrenzen. Leider wird nicht erklärt, weshalb Internet-Nutzer von jenseits der Landesgrenzen offenbar schon mit der verbalen Konzentration auf "Sachsen-Anhalter" von der Nutzung des neuen Serviceangebotes ausgeschlossen weren sollen. Aber wahrscheinlich dauert die Übertragung aus dem Landtag in Magdeburg nach Köln, Gera, Jerusalem oder Sidney einfach zu lange. So schon sind Live-Übertragungen aus dem Parlament nicht möglich: Die Redebeiträge werden nur mit fünfminütiger Verzögerung zu sehen sein. Das sei anders nicht möglich, "weil sie vorher noch archiviert werden müssen, damit sie auch später wieder aufgerufen werden kann", verlautete aus dem Hohen Haus.

Das geht bisher nicht gleichzeitig. So können zum beispiel alle EM-Spiele, die live übertragen werden, später nie mehr angeschaut werden. Auch Konzerte, wie sie die britische BBC oder im sachsen-anhaltinischen Halle beheimatete Radiosender Sputnik häufig live über das Internet senden, sind damit - was die Sender selbst noch nicht wissen - für alle Zeiten verloren.

Dasselbe Schicksal droht den spannenden Wortgefechten aus Magdeburg nicht. Vorteil der zeitversetzten Übertragung sei nicht die Möglichkeit, vor der Ausstrahlung an Unbefugte korrigierend in Redebeiträge einzugreifen, sondern "dass die Internet-Nutzer die Redebeiträge der Abgeordneten auch einige Tage nach der Debatte noch anklicken können".

Eine technische Neuheit, einzigartig in der Welt des Internets, für die die fünfminütige Verzögerung nur ein kleiner Preis ist. Nun herrscht Freude vor allem bei Berufstätigen und in den Schulen des Landes. "Das nun beschlossene Modell bietet Schülern die Möglichkeit, nach Unterrichtsende am Nachmittag Debattenbeiträge vom Morgen zu verfolgen", entwickelt Landtagssprecherin Ursula Lüdkemeier schon die packende Vision eines Volkes, das ein bisschen zeitverzögert ganz eng mit seinen Politiker vernetzt ist.

Das in Sachsen-Anhalt geplante Modell, meldet derweil die auch im heftig verschuldeten Bundesland einzig amtliche Nachrichtenagentur dpa, sei bundesweit einmalig. Wahrscheinlich ist es sogar weltweit einmalig. Und billig ist es noch dazu: Die Kosten für den Kauf eines Servers, einer Kamera und eines PC-Arbeitsplatzes, an dem ein Mitarbeiter der Landtagsverwaltung jeweils die Namen der gerade redenden Politiker live als Untertitel eintippen, die Reden aufwendig archivieren und vorher Versprecher aller Art verbessern wird, wurden auf schlappe 47.000 Euro beziffert - der Gegenwert von gerademal 47 Servern oder 93 PC, 160 Videokameras oder 80 Full-HD-Videocams. Ein Klacks sind die laufenden Kosten, die nur 14.000 Euro jährlich betragen werden. Muss für Strom sein.

5 Kommentare:

  1. ah, zum schreien komisch - der text und sein inhalt. beste unterhaltung!

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  2. Das erinnert mich so an die zeitversetzte chinesische Olympiaübertragung. Nur lautete da die Begründung anders.

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  3. Ein schöner Beitrag von binladenhüter (19.06.08)!
    Inzwischen ist die Sache ja voll in die Hose gegangen. Weiß jemand, wie die Angelegenheit geklärt wurde (Schadenersatz?).
    Weder auf der Seite des Landtages Sachsen-Anhalt noch sonstwo (z.B. im Online-Auftritt der Regionalzeitung MZ) ist noch irgendein Hinweis zu finden. Peinlich!!!

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  4. Hallo!
    Weiß denn hier wirklich niemand etwas über diese Sache?

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  5. Schlaft schön!

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