Donnerstag, 13. November 2008

Reinrassig ausgemerzt

Verjährt moralisches Versagen? Ist der Skandal nur skandalös, wenn er brühwarm aus der Glotze kriecht? Gibt es den Begriff "nachholendes Entsetzen" und wenn nicht - müsste er nicht dringendst erfunden werden? Gut, als der Hamburger Logistik-König Kühne dieser Tage wissen ließ, die von ihm erworbene Tui-Schiffssparte solle "reinrassig" deutsch bleiben, war der Zentralrat der Juden zumindest mit dem zweiten Sturm sofort auf dem Eis: Dieter Graumann war entsandt worden, Unverständnis und Traurigkeit in die Mikrophone zu verklappen.

Wo aber war Dieter Graumann, als William Verpoorten, Erbe des klebrigen Eierlikörreichs, schon vor vier Jahren in der sicher nicht revanchistischen "Süddeutschen" wissen ließ, Verporten-Likör habe eine klare Linie: "Reinrassig in der Nische ist ganz klar das Bekenntnis".

Und wo blieb der Protest der vielen, vielen wackeren Wortwächter, als Franz Müntefering, neuerdings wieder Chef der deutschen Sozialdemokratie, anno 2006 die Freigabe für die Verwendung des Wortes "reinrassig" erteilte? Indem er der nämlichen SZ auf eine Frage nach Bürgerversicherung und Kopfpauschale verriet "Ich glaube nicht, dass wir am Ende eins von beiden reinrassig umsetzen werden".

Eckhard Henscheid, ein Kenner und Liebhaber der deutschen Sprache, wunderte sich schon vor längerem über die Beißreflexe von "gewerblichen Wortzuchtmeister und Nazi-Experten". Bei denen gingen die Hitlerschen Lieblingsvokabeln "rücksichtslos", "eiskalt" oder "ausrotten" ungeschoren durch.

Auch über die im berühmten "Wörterbuch des Unmenschen" aufgeführten Wörter "ausrotten", "austilgen" und "ausmerzen" würde sich komischerweise niemand echauffieren. Ganz im Gegenteil: Als die CDU-Parlamentarier Sibylle Pfeiffer im Juni 2008 im Hohen Haus forderte "Genitalverstümmelung in Entwicklungsländern ausmerzen", schwiegen die, die sonst immer Einmischung fordern, wie ein Mann. Bis heute steht die aufrüttelnde Rede samt Unmenschen-Überschrift auf der Homepage der CDU-CSU-Bundestagsfraktion - aber keine Angst, von der Konkurrenz wird niemand nach Rücktritt rufen. Schließlich kündigte Kurt Beck, nach seinem Scheitern an der SPD-Spitze wieder Vollzeit-Landesvater im Süden, erst Ende September an: "Wir wollen die Delle, die wir in der letzten Wahl erlebt haben, ausmerzen"

2 Kommentare:

Sockenpuppe hat gesagt…

reinrassig deutsch

ah ich glaube hier hat wieder die kombination für den aufriss gesorgt,
der judenjena effekt
reinrassig alleine zu schmähen wäre das ende jeglicher hundezucht
wobei es wahrscheinlich den schäferhund als erstes erwischte

da wird neben den schaffnern auch wieder eine sau durchs dorf getrieben und das wahrscheinlich bis zur vergasung

ppq hat gesagt…

ja freilich, "im umfeld des 9. november". ein schauer lief mir den rücken runter. wo ist der umfeld-kalnder? wie lange gilt so ein umfeld? drei tage? sieben? zwölfzig? man weiß es nicht und tappt dauernd in fallen