Freitag, 29. Januar 2010

Verbote als Chance

Es ist ein Vorstoß, wie ihn sich Generationen von Eltern und Großeltern schon lange gewünscht hatten. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner wagt es nun endlich - die junge, smart wirkende Ministerin verhängt ein Süßigkeitenverbot für Supermarktkassen - dort sollen künftig lange Regale mit Tomaten, Gurken und süßen Litschis schon die Jüngsten dazu locken, mal etwas Gesundes statt öder Schleckereien zu probieren.

"Die Supermärkte sollten statt Süßigkeiten lieber eine appetitliche Portion Obst an ihre Kassen stellen", verriet die durch jahrelangen Schokomißbrauch in der Kindheit recht dralle Ministerin der Diabetikerzeitschrift "Rheinische Post". Nicht nur die Opposition, nein, auch Teile der eigenen Regierungskoalition laufen allerdings Sturm gegen die Pläne der jungen Christsozialen. Angeblich stecken keine Spenden der Gummibärenindustrie dahinter, sondern, so ein FDP-Sprecher, sogenannte "Grundüberzeugungen". Warum aber, wo doch Aigners Absichten aller Ehren wert sind? Warum haben Verbote - vom Internetstoppschild bis zur Außenraucherlaubnis in kleinen Eckkneipen - überhaupt so einen schlechten Ruf? PPQ sprach darüber im neuen Amtssitz der jüngsten Bundesbehörde (Foto oben) mit deren Chef, dem erst jüngst ernannten Bundesverbotsbeauftragten Herrfried Hegenzecht (Foto unten), der fest überzeugt ist: "Jedes neue Verbot ist auch eine Einladung an unsere Menschen, sich anders zu verhalten."

PPQ: Bei vielen Menschen hat sich ja der Eindruck verdichtet, dass die Zahl der Verbote, die es in unserer Gesellschaft gibt, unablässig zunimmt. Nun sind Sie von der Bundesregierung auch noch zum Bundesverbotsbeauftragten ernannt worden - zeigt nicht diese Institutionalisierung, dass es hier wirklich einen Aufschwung gegeben hat, mitten im wirtschaftlichen Abschwung?


Hegenzecht: Das ist ein Eindruck, der so nicht richtig ist. Lassen Sie mich erst einmal klarstellen, dass wir mit der Schaffung der Behörde des Bundesverbotsbeauftragten erstmals ein Instrument zur wissenschaftlichen Prüfung und Begleitung von Verboten haben. Darum beneidet uns die ganze Welt, gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Not. Wir haben hier in Ueckermünde 432 neue Arbeitsplätze schaffen können, bis zum Jahre 2014 wird diese Zahl auf 1211 steigen.

PPQ: Das spricht aber doch für einen erhöhten Verwaltungsaufwand, also für mehr Verbote.

Hegenzecht: Dass es eine Zunahme von Verboten gibt, ist ein völlig falscher Eindruck, der von stetiger Wiederholung nicht richtiger wird. Wir haben zwar zuletzt viele vernünftige Verbote durchsetzen können, so dass alte Autos nun endlich nicht mehr in unsere Städte fahren können, Kneipenbesucher von Zigarettenqualm verschont bleiben und Himmelslaternen nicht mehr massiv in den Luftverkehr eingreifen. Doch gleichzeitig ist das Leben ja auch viel freier geworden, das wird von Verbotsskeptikern häufig unterschlagen. Ich erinnere Sie nur daran, dass wir alle den Mauerfall erleben durften, der einen großen Zuwachs an Freiheit für viele brachte. Und auch das Ende des Zweiten Weltkrieges darf nicht vergessen werden. Millionen haben allein durch die Auflösung der NSdAP die Freiheit bekommen, sich für eine Mitgliedschaft in einer anderen Partei zu entscheiden. Da sind wir doch genau beim Traum der Generationen vor uns, die da sangen "Die Gedanken sind frei".

PPQ: Aber auch die NSdAP wurde zuvor verboten. Wirkt das als positives Beispiel bis heute nach, wo wir über Rauchverbote, Internetzensur und die Sperrung von Werken der Popmusik streiten?

Hegenzecht: Das ist ein Punkt, der auch mich oft bewegt. Man kann hier eindeutig sehen, dass Verbote, wenn sie gut gemacht sind, zu Positivem führen. Wenn ich abends im Bett liege und ganz bei mir und meinen Gedanken bin, frage ich mich häufig, wie es kommt, dass Verbote so einen schlechten Ruf haben. Machen wir da in der frühkindlichen Bildung etwas falsch? Müssen wir nachwachsenden Generationen mehr Orientierung darüber geben, wie gut Verbote helfen können, eine immer komplexere Gesellschaft zu lenken und zu leiten? Stecken wir schon genug Geld in Verbote? In Verbotsaufklärung? Ich bin der Ansicht, dass ein Verbot immer auch ein Angebot an unsere Menschen ist, sich anders zu verhalten. Ich muss nicht in die Verlegenheit kommen, etwa gegen ein Rauchverbot zu verstoßen, wenn ich aufhöre, diesem Laster zu frönen.

PPQ: Aber sich zur Veränderung seiner Verhaltensweisen zwingen zu lassen, ist wohl immer noch nicht jedermanns Sache.

Hagenzecht: Das ist mir klar, da müssen wir mit den Menschen arbeiten, dazu ist ja nicht zuletzt unsere Behörde da. Es geht darum, das Image von Verboten zu ändern, Verbote zu etwas zu machen, was man auch genießt, wo man sagt, ja, das macht uns freier, das macht die Welt schöner. Ein Stück des Weges sind wir ja schon gegangen. Sehen Sie, niemand hat etwas dagegen, dass man die früher so beliebten Hakenkreuze nicht mehr zeigen darf oder einem Konsequenzen drohen, wenn man jugendliches Komasaufen unterstützt. Schauen wir hingegen in andere Bereiche, reagieren viele Menschen noch empfindlich: Sie sagen dann, sie mögen es nicht, bevormundet zu werden. Dabei war schon den Klassikern klar, dass Freiheit aus der Einsicht in die Notwendigkeit besteht. Genau damit haben wir es hier zu tun. wer Verbote respektiert, ist frei, alles zu tun, was er will.

PPQ: Das sind nicht gerade die Klassiker des Liberalismus gewesen, die diese Ansicht vertreten haben, das gestehen Sie zu?

Hegenzecht: Klassiker hin, Klassiker her. Das war ja nur ein Beispiel. Es geht mir darum, die Mitte zu stärken, die eben nicht dauernd das Bedürfnis hat, das Recht der Redefreiheit zu missbrauchen, indem sie alles ausspricht, was ihr gerade so in den Kopf kommt. Es wird doch sowieso schon soviel erzählt und gesagt, da muss doch nicht immer jeder seinen Senf, lassen Sie mich das ruhig mal so deftig ausdrücken, also seinen Senf dazugeben. Dazu machen wir also zum Beispiel jetzt ein Verbot, damit nicht überall in diesen Internetforen jeder unbeobachtet und ungestört seine zumeist falschen Ansichten äußern kann. Dass die Gedanken frei sind, da stimmen Sie mir sicher vorbehaltlos zu, muss ja nicht heißen, dass man sie ungestraft aussprechen darf.

PPQ: Das hat für viel Kritik gesorgt.

Hegenzecht: Unverständlicherweise. Wir verpflichten die Forenbetreiber doch nur, da zeitnah ein bisschen draufzuschauen, ob das alles stimmt, was da geschrieben wird, ob das Ansichten sind, die wissenschaftlich haltbar sind, die Kinder lesen können, ohne in ihrer Entwicklung gestört zu werden und die Deutschland nach außen korrekt repräsentieren. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass wir hier vorerst noch von einem globalen Netz sprechen, das von überallher eingesehen werden kann. Als Exportweltmeister müssen wir auf unseren Ruf achtgeben, da kann nicht jeder reinschnattern, was er möchte.

PPQ: Da ist die Einsicht bei einigen aber noch nicht da. Im Alltag stößt die Verbotspolitik immer wieder auf große Vorbehalte, etwa, als Sie den Zugang zu bestimmten ausländischen Webseiten sperren wollten. Wie wollen Sie den Wind da drehen?

Hegenzecht: Das ist im Moment ein Abnutzungskampf. Wer hat den längeren Atem, wem fallen bessere Geschichten zur Popularislierung seiner Ideen ein. Ich glaube, dass am Ende wir das sein werden, einfach schon, weil eine Behörde immer weiter macht, so lange sie da ist. Und es hat, berichtigen Sie mich, in der ganzen Weltgeschichte noch keine Behörde gegeben, die abgeschafft wurde. Wie das Ende aussehen wird, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber dass wir noch einiges an Ideen im Köcher haben, um die Menschen zu überraschen und das Leben bei mehr Sicherheit noch schöner zu machen, das sichere ich Ihnen zu.

7 Kommentare:

  1. hallo! ich wollte in eigener Sache mal ein Projekt vorstellen, das in Kürze in Berlin laufen wird. Im Seminar «Politik ist eine Kunst» werden Erscheinungen aus der Avatar-Welt des Bundes- und anderer Tage neu interpretiert und an entsprechende Stellen weitergeleitet. Ich würde mich sehr über eine kleine Empfehlung oder einen Eintrag in die Blog/Küchenrolle dieser ausgezeichneten Webseite freuen.
    http://piekberlin.wordpress.com

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  2. Jaja, wie wahr, denn beim Bockwurstjournalismus wäre die jedermann freie Zugabe von Senf einfach die Katasrophe!

    Wie wir alle wissen: Die Gedanken sind frei! -- Nur: Von Freilassen hat niemand was gesagt.

    Stuff

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  3. VolkerStrammJanuar 29, 2010

    Als das Mannichl Streit mit seiner Ollen hatte und nicht schnell genug ausweichen konnte, da hat der Freistaat Bayer 350 Versorgungspöstchen für Extremismusbeauftragtinnen geschaffen. Insoweit ist
    "Wir haben hier in Ueckermünde 432 neue Arbeitsplätze schaffen können"
    so wenig übertrieben, dass man es schon fast für Wahrheit halten könnte.

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  4. So hat der verstorbene paläokonservative Journalist Samuel T. Francis die "managerial society" beschrieben:
    "... we refuse to control real criminals so we control the innocent." That's the tyranny.

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  5. so sieht es aus. ich glaube unterdessen, dass die regierungen mangels möglichkeit, die gegenwart zu regieren, die zukunft zu regieren vorgeben.

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  6. BeobachterJanuar 31, 2010

    zitiere ppg:
    ich glaube unterdessen, dass die regierungen mangels möglichkeit, die gegenwart zu regieren, die zukunft zu regieren vorgeben.

    Das ist eine schöne Aussage, kann man höchstens noch ergänzen:
    "oder die Vergangenheit beherrschen":
    Denn: nur wer die Geschichte manipuliert ist der Herr der
    Gegenwart.

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  7. Könnte man nicht einen Schokoablass einführen? Wer einen Mars futtern will, muss aber zwei Äpfel essen?

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