Freitag, 26. März 2010

Dramatikerpreis für Ultras

Es war die Mutter aller Provinzpossen, ein aufgeregtes Gegacker um das Auftauchen eines Hauchs von Wirklichkeit auf einer Theaterbühne inmitten einer medialen Darstellungspraxis, die sich weitgehend auf Sprachregelungsverkündung und schaumarme "Debatten um" konzentriert. Aus der Ameisen-Perspektive einer Gruppe von selbsternannten HFC-Ultras hatte Regisseur Dirk Laucke sein Doku-Stück "Ultras" stricken lassen: 90 Minuten ungeschminkte Selbstdarstellung der Angehörigen einer Subkultur, die sich selbst für die einzigen echten Lordsiegelbewahrer des einzig wahren Fußballerbes halten. Alle anderen "machen unseren Sport kaputt", sind nur Spieler, denen "der Ultra-Quatsch auf die Nerven geht" oder "Erfolgspublikum - da, so lange gewonnen wird, fort, sobald es Niederlagen setzt".

Eine Welt wurde vorgeführt, noch enger und fundamentalistischer als der Anschein vermuten lässt. Doch nicht die Tatsache sorgte für Aufsehen, dass es eine solche testosterongetriebene Parallelgesellschaft aus Männlichkeitsritualen und zelebrierter Abgrenzung mitten in Deutschland jenseits der Jahrtausendwende noch gibt. Sondern die Petitesse, dass im Stück noch einmal über die jahrzehntelang von aller Welt angestrengt überhörten, dann aber umso nachdrücklicher empörenden "Juden Jena"-Rufe gestritten wurde.

Halle hatte seinen Theaterskandal, die Bühnenultras waren Staatsfeind Nummer eins bis neun. Regisseur Dirk Laucke galt für ein paar Tage als schlechtester Theatermacher der Erde, die Intendantin des "Thalia"-Theater stand kurz vor der Ablösung.

Sie durfte bleiben. Nun hat Laucke, der in Halle aufgewachsen ist, den mit 10.000 Euro dotierten Dramatikerpreis vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft erhalten, verliehen von einer Jury aus lauter Intendanten, darunter vom Deutschen Theater Berlin, vom Schauspiel Frankfurt und vom Staatsschauspiel Dresden. Die Jury entschied sich einstimmig für den Jungautor, heißt es, denn Laucke habe "eine eigene Sprache gefunden, die Wirklichkeit auf die Bühne zu bringen". Mehr noch - sein Bühnenstück hat es sogar in die Wirklichkeit geschafft: Der Gebührensender MDR erfand ihm zu Ehren seinerzeit ultraaufgeregt und turboempört das neue Wort "antisemitistisch" (Video).

6 Kommentare:

  1. Alleine dieser Betroffenheitsblick treibt mir den Schweiß meines mangelnden Schuldbewußtseins auf die Stirn, daß ich gelobe, doch noch ein besserer Mensch werden zu wollen.

    Wer will schon den ganzen Tag dermaßen strafend aus der Glotze angeglotzt werden.

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  2. sie weiß ja nicht mal, was sie sagt. da muss sie halt so guckn

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  3. Muß man das als Fernsehansagerin draufhaben, so zu kucken, daß die da draußen den ganzen Tag schuldbeladen durch's Leben buckeln?

    Dann ist es doch eigentlich wurscht, was man erzählt.

    Mit diesem Blick könnte die einem doch das sommerliche Grillfest verübeln, weil man schlechten Gewissens die Bratwurst verdrückt.

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  4. ich glaube, das ist das ziel

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  5. VolkerStrammMärz 26, 2010

    Aber das ist doch korrekt.
    Wir unterscheiden zwischen Muslimen und Muslimisten (die zweiten begehen Verbrechen auf Allhas Befehl, die ersteren einfach so, ohne Gottesbezug). Warum nicht unterscheiden zwischen Piraten und Piratisten, Faschisten und Faschististen, Antisemiten und Antisemitisten?

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