Freitag, 27. August 2010

Maskenball im Rinderoffenstall

Früher, als Thilo Sarrazin noch im Bundesfinanzministerium saß und die deutsche Einheit plante, war alles einfacher. Das Neue Deutschland druckte, die Aktuelle Kamera las vor, der Rest der Zeitungen im Lande schrieb aufmerksam mit, was zu den Vorteilen von Rinderoffenstall und den praktischen Fortschritten der sozialistischen Landwirtschaft durch die Methoden des Lyssenkoismus zu sagen war. So kam die frohe Botschaft von der Fortsetzung der erfolgreichen Kultur- und Sotialpolitik zum Wohle aller Werktätigen jeden Tag bei jedem Bürger an, niemand musste Angst haben, eine wichtige Mitteilung zu verpassen, nur weil er am Kiosk keine "Junge Welt" mehr abbekommen hatte.

Entsetzlich dann die zwei dunklen Jahrzehnte seitdem. Alle Welt schrieb und kommentierte, wie sie wollte, hier war Hü und dort war Hott, mancher war dafür, andere dagegen dagegen, es wurde gleichzeitig in den Himmel gehoben und in die tiefste Hölle verdammt. Je nachdem, ob der Leser sich für Focus, Spiegel, FAZ, SZ oder Welt entschieden hatte.

Sehr, sehr lange war es einsam um die staatliche Nachrichtenagentur dpa, die mit oft sehr einfallsreich umgeschriebenen Pressemitteilungen von Zeitungsverlagen und Veranstaltungsagenturen versuchte, eine Einheitlichkeit in der Berichterstattung deutscher Medien zu erreichen, wie sie die Macher des Neuen Deutschland einst vorgelebt hatten. Gleichheit könne nicht nur Gleichheit vor dem Gesetz, im Geschlecht und bei den Lebenschancen heißen, hieß es unter der Hand. Gleichheit müsse auch bedeuten, dass jeder alles wisse und wenn nicht, dann wenigstens niemand nichts.

Der Fortschritt ist unbarmherzig, auch medial führt eine Autobahn aus den Zeiten der Manufakturschreiberei in den hochintellektuellen und vollindustrielle Copy&Paste-Journalismus. Um sein neues Buch zu promoten, musste Thilo Sarrazin, früher Referatsleiter im Bundesfinanzministerium, nicht mehr tun, als Özlem Topcu und Bernd Ulrich zu einem "Streitgespräch" einzuladen. Das Protokoll einer Hinrichtung, bei der Verhöroffizier und zu Verhörender ihre Rollen tauschten, erschien anschließend nicht nur in der "Zeit", die die beiden journalistischen Opfer gestellt hatte, sondern gleichlautend auch im "Tagesspiegel" und dem "Handelsblatt". Nicht überall ist es dabei gelungen, aufwendig eine neue Überschrift herzustellen oder den Vorspann umzuschreibe. Es muss auch so gehen, in Zeiten, in denen Qualitätsjournalismus es nicht leicht hat, seine altbackene ware an den Mann und die Frau zu bringen.

Das hier aber ist zur Freude von Sarrazins Verlag gelebte Meinungsvielfalt, wie sie die DDR nicht kannte. Thilo Sarrazin, nach Ansicht von Beobachtern ein "bekennder Rassist", eine künftiger NPD-Vorsitzender und ein Moslemhasser, begegnet Topcu und Ulrich wie ein Berg zwei Mäusen. Er weiß, er soll festgenagelt werden, die beiden Schreibhandwerker haben auch ein paar Hand voll eingebildeter Nägel und ausgedachter Hämmer mitgebracht, jedoch bekommen sie ihn nicht zu fassen.

Thilo Sarrazin, soviel steht nach der Lektüre fest, ist nicht dümmer. Als wer, diese Frage muss hier nicht beantwortet werden, denn diese Frage - hier aufgeworfen als "Sind Muslime dümmer?" - beantwortet auch das Zeitungstriumvirat aus dem Holtzbrinck-Verlag sich nicht. Hier geht es vielmehr um knallharte Vorwürfe wie "Sie sagen, dass Intelligenz vererbbar ist", die der Bundesbanker galant ins Leere laufen lässt. Er sagt das nicht, es ist so, und es ist eben nicht wie Ulrich und Topcu glauben machen wollen: Dass schmale Augen eine asiatische Angewohnheit sind, großgewachsene Eltern in der Regel kleingewachsene Kinder bekommen und afrikanisch-stämmige Leichtathleten durch intensives Üben die 100 Meter im Schnitt schneller laufen als Dänen, Koreaner und Sachsen.

Wo die Probleme nicht wegzudiskutieren sind und die Ursachen für jeden sichtbar auf dem Tisch herumliegen, müssen Beispiele her, um das große Bild wenigstens im Kleinen zurechtzurücken. "Mein Vater ist Gärtner, ich bin Akademiker", hält "Die Zeit" Sarrazin vor, obwohl man bisher immer glaubte, ihr Vater Gerd Bucerius sei Rechtsanwalt gewesen, habe unter Hitler promoviert und später tatkrätig beim Bau von Unterkünften für KZ-Häftlinge geholfen. Aber gut, Gärtner also: "Ich denke aber", setzt die Frage fort, "der Unterschied zwischen meinem Vater und mir liegt nicht darin, dass ich intelligenter bin als er, sondern dass ich durch die Bildungsreform der siebziger Jahre mehr Möglichkeiten hatte."

Eigentlich wäre das Gespräch hier nun auch zu Ende. Seit bekannt ist, dass es in Hohenwulsch einen Mann gibt, der hundert Jahre alt wurde, obwohl er immer geraucht hat, ist ja auch die Diskussion um die Krebsgefahr durch Zigaretten beendet. Aber nein, Sarrazin lächelt noch: "Das glaube ich Ihnen ja. Nur ist das so, als wenn ich sage: Im Januar ist es kälter als im August, und Sie daraufhin sagen: Nein, ich kenne einen Tag im Januar 1983, da waren es bei mir auf der Terrasse 15 Grad, und im letzten Jahr war es im August sehr kühl."


Der Mann will offenbar nicht wahrhaben, dass die Probleme, die er noch kaum richtig in die deutsche Medienarena geworfen hat, die dort aber schon geifernd zerfetzt und beinhart bebrüllt werden, gar keine sind. Alle Menschen sind gleich geboren, gleich schnell, gleich groß und gleich intelligent, halten Ulrich und Topcu dem Sozialdemokraten entgegen, zumindest, wenn man sie entsprechend fördert. Eine Neuigkeit ist das nicht, denn schon der sowjetische Agrarwissenschaftler Trofim Denissowitsch Lyssenko hatte in den 30er Jahren herausgefunden, dass die Eigenschaften von Organismen gar nicht durch Gene, sondern durch Umweltbedingungen bestimmt werden. Während die bis heute von Sarrazin vertretene faschistische und bourgeoise Genetik vorgibt, eine Art Vererbungslehre zu sein, wissen fortschrittliche Biologen bei Tagesspiegel, Zeit und Handelsblatt längst, dass aufgrund der von Lyssenko erstmals beschriebenen Artumwandlung unter bestimmten Kulturbedingungen nicht nur aus Weizenkörnern Roggenpflanzen hervorgehen können, sondern sich Japaner andere Augenformen angewöhnen, gebürtige Sorben dunkle Haut bekommen und anatolische Bauern durch Vererbung ihrer Intelligenz dafür sorgen, dass die Intelligenz der Grundgesamtheit der Deutschen steigt.

Das Autorenduo holt der Hetzer dabei dort ab, wo er steht. "Wir sind ja einig: Es gibt Defizite hinsichtlich der Bildung der türkischen Minderheit in Deutschland", spricht "Die Zeit", "wir sind aber nicht der Meinung, dass das irgendetwas mit Genen zu tun hat". Es komme eher aus der Dings. Habe mit dem nunja zu tun. Hänge sicher auch mit dem Genauweißmansnicht zusammen, steht dann zwischen den Zeilen, ehe das Intellektuellenblatt Darwin selbst bemüht. Der habe "sich nie über die Entwicklung des Menschen geäußert", offenbar, weil die Abstammungslehre des Survival of the fittest beim Menschen nicht gilt. Sagt die "Zeit". Thilo Sarrazin muss bei der nächsten Antwort innerlich vor Lachen zusammengebrochen sein. Dass es so einfach sein würde, hat ihm vorher niemand gesagt. Er muss nicht einmal mehr aus Büchern zitieren. Es reicht hier sogar schon, den Buchtitel zu nennen. Das macht er dann auch: In seinem Werk "Die Abstammung des Menschen" habe sich Darwin "ausführlich über die menschliche Entwicklung geäußert und Besorgnis gezeigt, dass die moderne Lebenswelt dazu führen kann, dass der Mensch geistig verkümmert".

Eine Sorge, die nicht unberechtigt scheint, wie die Diskussion im streng überwachten Netzauftrit der "Zeit" ahnen lässt. "Verzichten Sie auf persönliche Kritik am Autor. Danke. Die Redaktion", heißt es dort, knapp gefolgt von "Entfernt. Verzichten Sie auf beleidigende und pauschalisierende Bemerkungen. Die Redaktion" und "Äußern Sie sich bitte sachlich zu den Inhalten des Interviews. Danke. Die Redaktion". Zustände müssen das sein, dass sich eine tapfer kämpfende Redaktion bedroht sieht von Massen nichttürkischer Unintellektueller, die nicht diskutieren wollen, wie sie sollen. Zum Glück ist ist schnell gelöscht, was nicht den inhaltlichen Vorgaben entspricht und die Demokratie geht gestärkt aus dem Gefecht: "Dagegen war die Leserbriefspalte des Neuen Deutschland zu DDR-Zeiten ein Hort der Meinungsfreiheit", freut sich ein Diskutant.

Backlink: Jetzt auch bei Eigentümlich Frei.

11 Kommentare:

  1. Ich wollte in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß der Diskutant, der sich über die zu DDR-Zeiten gelebte Meinungsfreiheit in der Leserbreifspalte des ND gefreut hat, meine Wenigkeit war und ist. Es war mein Zwischenresümee der ersten Kommentarseite, denn alle 90, wie der dümmste Zeit-Leser, habe ich mir nicht zugemutet.

    Ich sollte wohl bei meinen posts die Schriften abändern oder optische Hervorhebungen einführen, damit Zitat und meine Schriftleistung besser unterscheidbar sind.

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  2. Wer weniger an reißerischen, denn tatsächlichen Fakten aus der tatsächlichen Lebenswelt von Muslimen interessiert ist, dem sei ganz herzlich das neue Buch "Integrationsunwillige Muslime?" von Prof. Dr. Ahmet Toprak von der FH Dortmung ans Herz gelegt. Erschienen im Lambertus-Verlag und zu erhalten im Buchhandel, bei amazon usw.
    Im Gegensatz zu zu Sarrazin macht Toprak Hoffnung, dass Integration immer mehr zweigleisig (und zwar aufeinander zugehend) erfolgen wird. Das Buch macht neugierig auf andere Menschen und Kulturen und sollte von jedem politisch und gesellschaftlich aktiven Menschen gelesen werden. Ein Milieubericht, der wirklich aufweckt, aufklärt und aufmuntert: eine kultursensible Pflichtlektüre.

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  3. es sind also doch immer dieselben, die rummeckern, während andere hilfreiche hinweise geben, wie wir besser aufeinander zugehen können.

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  4. Feiner Text! Der lebensfremde Mainstream und seine okkulten Weltanschauungen taugen nur noch zum Ablachen.

    Das Bild ist auch prima:
    http://netzwerkrecherche.files.wordpress.com/2009/10/sarrazin_integration.jpg

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  5. Das waren die Mondnazis!
    http://netzwerkrecherche.wordpress.com/2009/11/19/2012-oder-2018/

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  6. letzte post - falscher pfad, sollte zu den faschistischen kornkreisen.

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  7. ich werde die nächsten monate mit dem lesen von toprak-büchern verbringen! da steckt offenbar so viel drin, was mir beim verstehen der anderen kultur helfen kann.

    der autor macht nicht nur hoffnung, das intergration in zwei richtungen funktioniert und ich mein türkisch durchaus noch verbessern kann, sondern er weist auch auf viele andere probleme hin, die ich bisher gar nicht kannte, die mich aber total was angehen müssen, wenn wir alle zusammen alt werden wollen.

    ich empfehle deshalb dringend auch das vorgängerbuch, klappentext hier:

    "Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer"

    Ist Zwangsheirat nur ein Thema der türkischmuslimischen Frauen oder betrifft es auch die Männer? Im Kontext der Zwangsehe ist das öffentliche und politische Augenmerk auf die Frauen gerichtet und die Männer werden kaum thematisiert. Was aber denken sie über Zwangsehen, Familiengründung, innerfamiliäre Kommunikation, Sexualität, Gewalt in der Ehe sowie sexuelle Gewalt in Form von Vergewaltigung? Diese Themen sind aus Sicht der Männer nie beleuchtet worden, weil sie die türkisch-muslimische Community tabuisiert. Der Autor rollt das Thema Zwangsheirat aus Sicht türkischer Männer der zweiten und dritten Generation auf. Er befragt Männer, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind, aber ihre Ehefrauen bewusst in der Türkei aussuchen

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  8. Klar Assis,

    ist so, als ob ein Räuber darauf verzichtet mich auszurauben und stattdessen mir - in seiner unendliche Güte - den Vorschlag unterbreitet, dass wir uns mein Eigentum teilen.

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  9. wobei ich dir da glatt einen vorschlag zur güte machen würde: gibs alles mir und ich teile dann mit dem räuber! so haben sogar drei leute was davon! was hältst du von der idee?

    gut, okay, ich frage lieber assis

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  10. "und zwar aufeinander zugehend"

    Stimmt.
    Die türkisch-arabische Minderheit verzichtet auf Minarette und dafür werden katholische Eltern ihre 12-jährigen Töchter beschneiden (lassen). ;-)

    Man muß sich einfach nur in Ruhe klarmachen, daß es Mitte der 80iger kaum sprachliche Hürden unter den deutschen und arabisch-türkischen Heranwachsenden gab ... oder daß die Ehemänner der heute bei 35 Grad im Schatten mit Kopftuch und bodenlangem Mantel aus dem Haus geschickten Frauen vor 15 Jahren noch der blonden Melanie unter den Rock gefaßt haben ...
    um sich vorzustellen, wohin die Reise geht:
    "Geschlossene Siedlungsgebiete", gated communities, Privatschulen

    ... und das auch nur, wenn man unterstellt, daß weiterhin eine spätkapitalistische Gesellschaft aufrechterhalten werden kann.

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  11. VolkerStrammAugust 28, 2010

    Falls ich doch was dazu sagen dürfte ...

    1.
    Wir wissen, dass die offiziellen Zahlen zur rechten Geheimgewalt durch ... ähem ... kreative Zählung zustande kommen.
    Aber nehmen wir einfach mal die offiziellen alljährlichen 1000 rechten Gewalttaten (unter den insgesamt 550.000 Gewaltstraftaten in Deutschland immerhin 0,18%) als gesetzt.
    Diese 1000 werden uns medial als ein über das ganze Land fegender Sturm rübergebracht, als Vorspiel zum vierten Reich – was Gegenmaßnahmen gleichsam unverzichtbar macht.
    Mit ca. 200.000.000€ wird der couragierte selbstlose antifaschistische Widerstandskampf alljährlich von Bund, Ländern und Kommunen subventioniert; ein Füllhorn, das hunderten hauptamtlichen Antifaschisten anstrengungslosen Wohlstand garantiert.

    2.
    In Deutschland leben 19.000 beschnittene Frauen. Wobei „beschnitten“ ein Euphemismus ist für diese Verbrechen gem. 226 StGB (schwere Körperverletzung).
    Angenommen, ein hellhäutiger Deutscher würde so ein Verbrechen an einer Migrantin begehen, würden Politik und Medien das auch als „Beschneidung“ abtun?

    3.
    Wir wissen nicht, wo sich diese Verbrechen ereignen. Unsere Institute haben schon keine Zeit, bei Nebensachen wir Kindermord und Tod von Kindern in staatlicher Obhut wenigstens die Totenscheine zu zählen.
    Und erst recht haben die keine Kapazitäten um wenigstens mal zu fragen, wo die 19.000 Verbrechen stattgefunden haben.
    Aber immerhin haben die Zeit um zum dreihundertausendsten Mal beweisen, dass der Faschismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

    4.
    Wir wissen auch nicht, wie viele dieser Verbrechen alljährlich begangen werden. Aber ich denke wir machen nichts falsch, wenn wir bei 19.000 Opfern von jährlich mindestens 1000 Verbrechen ausgehen.

    5.
    Habe keine Lust alle Zahlen zusammenzugoogeln. Ist auch nicht nötig. Liegt ja auf der Hand, dass die rechte Geheimgewalt alltäglich zur Superbedrohung hochgejubelt wird, die tatsächlichen Verbrechen, z.B. Genitalverstümmelung, jedoch bei Politik und Medien als randständiges Problem laufen.

    6.
    Ich habe mal in Netz nachgesehen, was Toprak zur Genitalverstümmelung zu sagen hat:
    NICHTS.
    Assis, so viel zur Frage, inwieweit Toprak die „tatsächlichen Fakten aus der tatsächlichen Lebenswelt von Muslimen“ zur Kenntnis nimmt.
    Und das, Assis, macht Dir Hoffnung?

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