Montag, 30. August 2010

Mensch, sei kein Frosch

In Berlin vertrat Thilo Sarrazin "seine kruden Juden-Thesen" (Spiegel), in Frankfurt aber widerlegte ihn FAZ-Experte Joachim Müller-Jung schneller als der beinahe schon ehemalige Bundesbanker gucken konnte. "Dieselben Genvarianten sind keinesfalls exklusiv, sondern allenfalls gehäuft bei einzelnen Ethnien zu finden", verkündete der Heureka-Preisträger. Für ein spezielles „Juden-Gen“ treffe dasselbe zu wie auf ein „Intelligenz-Gen“: Es existiere nur in der "Prosa biologistischer Fälscher".

Sarrazin hatte zuvor im Fachmagazin Tagesspiegel zu lesen geglaubt, dass „alle Juden ein bestimmtes Gen“ teilen. Nicht mal ganz falsch, stellt Müller-Jung nun glasklar. "Allein in den vergangenen Wochen sind drei wegweisende Studien in „Nature“, dem „American Journal of Human Genetics“ und den „Proceedings“ der amerikanischen Nationalakademie über die genetischen Wurzeln und Merkmale von Juden veröffentlicht worden", weiß er, was der normale FAZ-Leser nicht wissen kann, weil es die FAZ aus Gründen der Übersichtlichkeit nie geschrieben hat. Sarrazin sei aber wohl kein FAZ-Leser, er habe "diese wissenschaftlichen Erkenntnisse deshalb offenbar zur Kenntnis bekommen", kritisiert der Kritiker.

Aber "verstanden hat er sie nicht", ist sich der Gentechniker aus Frankfurt sicher. Denn man müsse nun ja genau unterscheiden, was die "New York Times" meinte, als sie in ihrem Bericht schrieb „die genetische Ähnlichkeit von Juden ist belegt“. Und was Sarrazin vermutlich habe sagen wollen, als er wissen ließ, dass alle Juden ein bestimmtes Gen teilen. "Zwischen beiden Aussagen - genetisch enge Verwandtschaft auf der einen Seite und ein Gen für alle Juden auf der anderen - liegt nicht weniger als die Kluft zwischen Wahrheit und Dichtung", dichtet Müller-Jung jetzt nach der alten Lehre, dass es nie darauf ankommt, was jemand gesagt oder gemeint hat. Sondern allein darauf, was man verstanden zu haben behauptet.

Hier kommt jetzt die Wahrheit, aus sorgsam gespaltenen Haaren extrahiert und in Sätze verdrillt, gegen die die Doppel-Helix eines Cottbusser Telekom-Mitarbeiters ein freihängendes Kupferkabel ist: Die Populationsgenetik finde "seit Jahrzehnten in bestimmten religiös oder kulturell bedingt isolierten Bevölkerungsgruppen häufig vorkommende Genvarianten", erläutert Müller-Jung zum Erstaunen des Publikums. Aber "dieselben Genvarianten sind keinesfalls exklusiv", sondern eben "allenfalls gehäuft bei einzelnen Ethnien zu finden". Und nicht nur unter Menschen. Die teilen ihre Gene zum Beispiel zu 98,5 Prozent mit dem Affen, genauso aber auch mit Fröschen, wie Forscher um Uffe Hellsten von der University of California in Berkeley die Süddeutsche Zeitung erst im April hatten wissen lassen. Nach der erstmaligen vollständigen Entschlüsselung des Erbguts einer Amphibie stand fest: "Das Genom des Krallenfrosches Xenopus tropicalis entspricht in großen Teilen dem des Menschen".

Dass der Frosch trotzdem kein Mensch ist, liegt an dem, was ihm trotz der großen Teile identischer Gene fehlt. In der aktuellen Debatte ergebe sich daraus ein wichtiger Unterschied in der Betonung, so Müller-Jung, ehe er zu einem Trommelfeuer von Drechselsätzen ausholt, das endlich mal gequirlten Klartext spricht in der Gen-Debatte, die kurzzeitig in Stellvertretung der Islam-Debatte toben muss, weil deren Erregungspotential nach fünf bewusstlosen Tagen in der Geschwätz-Zentrifuge erschöpft zu sein scheint: "Der Befund, dass bei Juden viel häufiger als üblich gewisse Erbkrankheiten wie Morbus Gaucher oder Tay-Sachs auftreten, ist ein Ergebnis dieser starken genetischen Ähnlichkeit. Viele Gentests sind daraufhin entwickelt worden. Ebenso wie mittlerweile Herzmittel verkauft werden, die wegen der Häufung bestimmter Genvarianten bei Afro-Amerikanern als „maßgeschneidert“ für diese Menschen gelten, wohl wissend, dass dieselben Genvarianten keinesfalls exklusiv bei einzelnen Ethnien, sondern allenfalls gehäuft - jedoch nicht ausschließlich - zu finden sind."

Gehäuft, jedoch nicht ausschließlich, enthält der Mensch auch Froschgene. In vielen Juden hingegen können, ganz unabhängig von ihrem Glauben, ein oder mehrere Gene entdeckt werden, die gehäuft, aber nicht ausschließlich bei ihnen vorkommen. Dasselbe gilt für religiös oder kulturell bedingt isolierte Bevölkerungsgruppen wie den gemeinen Ex-DDR-Bürger, norwegische Leuchtturmwärterfamilien, altmärkische Kartoffelbauerkommunen und die jahrhundertealten Wohngemeinschaften katholischer Geistlicher mit ihren Zugehfrauen.

Sie alle - das ist nun sehr fragwürdig - tragen Gene in sich, die ebenso zu großen Teilen auch in Affen und Fröschen vorkommen. Dass weder Sarrazin noch Müller-Jung noch irgendein Jude, DDR-Bürger, Mönch oder Leuchtturmwärter weltweit ein Frosch ist, verdankt sich sowohl den Genen, die er hat, als auch denen, die er nicht hat. Den Rest machen Erziehung, Bildung und das frühkindliche Zusammensein mit anderen Menschen, wie die "Zeit" mahnt. Ältere Menchen wissen das auch noch, denn ihnen war der heute längst verdrängte Satz "Mensch, sei kein Frosch" einst noch geläufig.

8 Kommentare:

  1. Schwerer Tobak.

    Man sagt ja auch, daß es keine Rassen gäbe, weil etwa Weiße und Schwarze zu 99,5 % gleiche Gene haben. Ebenso wie Mensch und Schimpanse zu 98 % gleiche Gene besitzen. Daß sogar der Esel 80 % gleiche Gene wie der im Text aufgeführte Wissenschaftler hat, ist der unwiderlegbare Beweis dafür, daß er ein Esel ist.

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  2. mahlzeit ihr otter..

    diesmal hab ich den text mal von unten nach oben gelesen, ja sie lesen, von oben nach unten betrachtet, vollkommen richtig, ich kam, las und kommentierte.. reihenfolge strikt befolgt.. ich persönlich (und darum gehts ja in meinen kommentaren grunzsätzlich) finde gene generell überbewertet.. is doch im grunde eh alles aus der selben suppe in die gott (oder darwins teufelswerk e.t.c.) irgendwann mal gespuckt hat.. oder nicht?

    auf dem planet der affen sind die haarlosesten primaten nunmal king kong of evolution.. oder wie es in diesem netten song von pearl jam heisst: "This land is mine, this land is free" tja, so läuft das manchmal.. ach und um auch noch ein wenig auf ihren kleinen beitrag einzugehen:

    keinen erkenntniszuwachs für mich, aber zwischen all dem geschwurbel ein klassisches meisterwerk der aufklärung das keiner versteht der sie benötigen würde. aber sie sind ja nicht hier angetreten um dem gemeinen pöbel die horizonte zu weiten, nehm ich mal an..

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  3. VolkerStrammAugust 30, 2010

    ich persönlich (und darum gehts ja in meinen kommentaren grunzsätzlich) finde gene generell überbewertet

    Gibt es noch mehr, was Du über- oder unterbewertet findest?

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  4. Tuttinho BullAugust 31, 2010

    Geschwätz-Zentrifuge

    Selbige hat mich gerade volle 75 Minuten bei Beckmann durchgeschleudert. Jetzt ist mir schlecht...

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  5. @Anonym Dass wir weder objektiv noch korrekt noch zitierbar noch sonstwie plausibel diskutieren, dürfte nun allseits bekannt sein. Unnu?

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  6. anonym ist immer vergnüglich zu lesen. er ist suae, weil es uns schon gibt, sonst würde er das wohl gern machen. tja, gorbatschow!

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  7. Ich bin jetzt etwas verunsichert.

    Ist es da nicht doch besser, den genetischen Judentest zu machen und das aufgehäufelte Ergebnis in den elektrischen Ausweis einspeichern zu lassen?

    Möglicherweise kommen noch Zeiten auf uns zu, wo es von Vorteil wäre, nachweisen zu können, man sei ein zu sagen wir mal 16% angehäufter Jude, nicht exklusiv, aber immerhin.

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  8. J'ai appris des choses interessantes grace a vous, et vous m'avez aide a resoudre un probleme, merci.

    - Daniel

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