Montag, 10. November 2014

Mauerfall: Mehr Erinnerung war nie

Der Tag danach ist das genaue Gegenteil des Tages danach, wie er damals war. Fing die Geschichte des Mauerfalls vor 25 Jahren für die meisten Deutschen erst mit den Frühstücksnachrichten des 10. November an, bringt derselbe Tag ein Vierteljahrhundert danach den Katzenjammer einer Überdosis Erinnerung. Auf allen Kanälen spreizten sich die, in allen Genres, ausgebreitet von Prominenten und Unbekannten. Deutschland ist ganz nah bei sich, wenn es zurückschauen kann, die Kanzlerin, der Präsident, der wütende Liedermacher - in Höchstform, wenn es um Vergangenes geht, über das Einigkeit zumindest darüber besteht, dass es es gut ist, dass es vergangen ist.

Die Zeitungen voller Hymnen darauf, wie prima sich das Land entwickelt, wie weltoffen seine Menschen, wie friedlich sein Wesen ist. Nicht viel anders hätte sich der 65. Republikgeburtstag angefühlt, wäre es zu dem noch gekommen. Blumen, feierlich niedergelegt im Gedenken an die Opfer. Reden, mit bedeutungsschwangerer Stimme geschwungen. Das Volk, flächendeckend beschickt mit kostenlosen Erklärblättern und Gebührenfilmen.

Dank ihrer ist das Erinnern selbst denen möglich, die die Ereignisse nicht selbst erlebt haben. Ein zellulares Gedächtnis breitet seinen Einheitsinhalt über ein ganzes Land: Der Mauerfall wird zum einem weiteren Bestandteil einer Gedenkkultur, in der das Wissen um historische Fakten, angelesen oder in Filmen abgestaubt, gleichbedeutend ist mit der Erinnerung daran, wie es wirklich war.

Eine rosenkranzhafte Ritualisierung, die über 25 Jahre zu einem Teil des Kerns deutschen Wesens geworden ist. Der Einheitsbrei wird wieder und wieder kredenzt, wieder und wieder verschlungen. Die Geschichte, ursprünglich ein kompliziertes Gewürg aus wiederstreitenden Interessen, wird allmaählich zu einem dünnen Band der Fanatsie, leicht fassbar, übersichtlich und mit einer einfachen Botschaft.

Alles muss dazu Regeln folgen, eingehegt als Stolperstein oder wiederaufgebauter Grenzwachturm. Was war, muss immer bleiben, erzählt in einem Katechismus, der keine Zweifel kennt, was die wahre Wahrheit gewesen sein muss.

Als solcher gesamtgesellschaftlicher Erinnerungshöhepunkt steht auch der Mauerfall längst unter ganz besonderem rechtlichem Schutz: Vergehen gegen Mauerluftballons sind Staatsschutzangelegenheit, Übergriffe auf eine virtuelle "Lichtmauer", die zur Silberhochzeit des Mauerfalls errichtet wurde, um Touristen anzulocken, werden strenger bestraft als seinerzeit die Beschädigung des Originalbauwerks.

Was für ein Fortschritt. Marx wusste noch, dass sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen zweimal ereignen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Doch er irrte: Ein drittes Mal geschieht alles als großer ZDF-Zweiteiler, ein viertes Mal als feierlicher Staatsakt und als fünftes Mal als lange Nacht im RBB.

3 Kommentare:

  1. Der Mauerfall ist wahrhaftig keine Tragödie, die sich wiederholt. Die Komödie allerdings wiederholt sich beständig, nämlich der Eiertanz der politischen Linken rund um dieses Ereignis.

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  2. Nicht nur der Mauerfall. Vor ungefähr 3 Wochen hat sich der Bias generell verschoben. War MDR-Info bis dahin das Sprachrohr der LINKEn, höre ich nunmehr jeden Morgen sehr kritische Kommentare zu dieser Partei und ihrer DDR-Vergangenheit.

    Kennt jemand den Grund?
    Die Frage ist ernst gemeint, ich verstehe es wirklich nicht.

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  3. @Volker
    Der Reiter ist tot. Seine letzten Protegès fielen internen Säuberungen zum Opfer.
    Das ist vielleicht keine Kausalität aber eine schöne Korrelation.

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