Montag, 3. Oktober 2016

3. Oktober: Das riesengroße Einheitsinterview

Zum 26. Jahrestag der Wiedervereinigung der Reste des ehemaligen Deutschen Reiches ist das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik vergiftet. Die einen nennen die anderen Pack, die anderen keilen mit "Merkel muss weg" zurück". Europa fühlt sich von Berlin gegängelt, Russland sieht sich wieder angegriffen. Die AfD marschiert, Hetzer und Hasser vergiften das Internet.

Im großen Einheitsinterview mit PPQ hat Unionswahlkampfkoordinator Werner Sauber hat nun ein Machtwort gesprochen. Wie sein grüner Kollege Jens Malte Lehmann, die SPD-Kampa-Chefin Wilfriede Brückner und der designierte linke Wahlkampfleiter Sören Grabusch will Sauber vereinen, nicht spalten; versöhnen, nicht verhöhnen. Die vier leitenden Strategen der fünf demokratischen Parteien sprechen zum Tag der deutschen Einheit erstmals Klartext, verwahren sich gegen "Anfeindungen gegen die Demokratie" und entdecken frische Gemeinsamkeiten in der gemeinsamen Mahnung zur Einigkeit bei der Bundestagswahl.

Attacken auf Flüchtlinge, Übergriffe gegen Politiker und Journalisten, die Sprengstoffanschläge von Dresden - die Atmosphäre in Deutschland ist angespannt wie lange nicht. "Wir erleben ein erschreckendes Maß von Anfeindungen gegen unsere Demokratie", sagen die führenden Wahlkampfstrategen mit Blick auf Scharfmacher wie Petry und Seehofer. "Die Wortwahl wird immer radikaler und schlägt auch in Gewalt um. Das bereitet mir große Sorgen."

CDU-Mann Sauber, der zuletzt Merkels Wahlkampf auf Rügen managte, plädiert vor diesem Hintergrund dafür, einen Nachfolger für Angela Merkel zu finden, der "eine breite Zustimmung aller Demokraten erhält". Was die anderen täten oder dächten, sei dann egal. Die Bundestagswahl im kommenden Jahr habe eine besondere Bedeutung. "Barfuß oder Lackschuh, das ist diesmal wieder die Frage." Es gehe wie immer darum, "unserem Land und unserer Demokratie einen Dienst zu erweisen - und die richtige Parteienkonstellation zu wählen", warnt Kauder.

Lesen Sie hier das gesamte Interview in der Realtime-Übersetzung:

PPQ: Herr Sauber, die Sicherheitsbehörden haben in diesem Jahr schon mehr als 800 Übergriffe auf Politiker registriert. Bei über der Hälfte kommen die Täter nicht einmal aus dem rechten Spektrum. Was ist los in diesem Land?

Sauber: Das beantworte ich jetzt nicht. Ich sage nur: Die hohe Zahl von Übergriffen auf Politiker ist ein Warnsignal. Erst am Dienstag kamen noch die Sprengstoffanschläge von Dresden hinzu, die damit jetzt gar nichts zu tun haben, aber das hat der Krankenhausbrand in Bochum auch nicht. Ganz offenbar ist das eine Terrorwelle im Zusammenhang mit den Feiern zur Deutschen Einheit.

PPQ: Frau Brückner, wie unerwartet kommt das für die SPD?

Brückner: Wir erleben ein erschreckendes Maß von Anfeindungen gegen unsere Demokratie. Mal sind Politiker die Zielscheibe, mal die Medien, mal Demonstranten, mal Gegendemonstranten. Aber eben auch zunehmend unser Staat insgesamt. Die Polizei habe ich jetzt ganz vergessen. Aber die Wortwahl wird immer radikaler und schlägt auch in Gewalt um. Steinwürfe von der Autobahn! Das gab es doch früher nicht. Das bereitet mir große Sorgen.

PPQ: Haben wir eine Situation wie in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts? Ist Hitler bald wieder da? Wie sehen das die Grünen, Herr Lehmann?

Lehmann: Wir sind noch längst nicht so weit wie in der Weimarer Republik. Aber auch damals haben sich Worte und Taten immer mehr hochgeschaukelt. Kneipenschlägereien, rechts gegen links, links gegen rechts. Wenn sie sich umschauen, erinnert manchmal schon manches daran. Aber am Ende ist die Weimarer Republik nicht an zu vielen Nationalsozialisten zugrunde gegangen, sondern weil es zu wenig aufrechte Demokraten gab und zu viele Kommunisten. Das hat sich glücklicherweise geändert.

PPQ: Sören Grabusch, bei ihnen gibt es die Kommunisten ja noch. Was kann linke Politik tun, damit sich das Klima trotzdem wieder entspannt?

Grabusch: Wir Demokraten müssen zusammenstehen. Wir dürfen keine Zweifel daran nähren, dass unser Weg richtig ist, weil er wahr ist. Wir müssen noch besser erklären, dass es keine Alternative gibt, dass die Renten stabil bleiben, dass die Armut weiter bekämpft wird, dass wir Europa neu denken und neu handeln müssen, wo es um die Sicherheit geht. Natürlich werden in der Politik auch Fehler gemacht. Aber selten. Letztlich leben wir alle in einem guten Staat und in einer wirklich funktionierenden Demokratie in einem guten Europa mit einer funktionierenden Völkerfamilie. Das müssen wir selbstbewusster sagen und uns gegen die Feinde der Demokratie wehren, die anderer Ansicht sein zu müssen glauben. Und das kann nicht die Politik allein, sondern muss die Gesellschaft insgesamt tun, einschließlich der Medien: Hartnäckig widersprechen, wo Kritik kommt, Nörgler und Zweifler in die Schranken weisen. Dann wird es.

PPQ: Das ist leicht gesagt, aber die Republik polarisiert sich immer mehr. Die AfD eilt von Erfolg zu Erfolg, weil sich die, die an die Alternativlosigkeit nicht glauben wollen, hinter den Fahnen dieser Hetzer versammeln. Was will die Union dagegen tun?

Sauber: Alle Parteien im Bundestag verlieren an die AfD. Das ist nicht gut, aber besser, als wenn es nur uns treffen würde. Die Entwicklung bietet uns so sicher Gelegenheit, zu mehr Gemeinsamkeit zu finden. Ich rate dazu, weniger über die AfD zu reden, sondern vielmehr darüber, wie gut es Deutschland geht. Seien wird doch selbstbewusst! Sagen wir ruhig, dass wir 70 Jahre nach einem verlorenen Weltkrieg die sind, die Europa beherrschen, die im Wohlstand schwimmen, die Geld und Kraft genug haben, wieder Weltmacht zu sein! Wir haben Wachstum, Renten und Reallöhne steigen, all das haben viele andere nicht Das müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern nur immer wieder sagen. Bis sie es kapieren.

PPQ: Aber viele Menschen glauben, Deutschland verändere sich zu ihrem Nachteil. Ein Argument, das einst auch die Grünen großgemacht hat.

Lehmann: Unsere Angst war damals die um das Klima. Das war legitim. Heute müssen wir noch besser erklären, was wir alles schon erreicht haben: Das Waldsterben ist beendet. Das Ozonloch zu. Der Energieausstieg auf einem guten Weg. Auch die Zahl der Flüchtlinge ist ganz leicht zurückgegangen, und wir wollen sie möglichst weiter reduzieren oder zumindest auf dem gegenwärtigen Niveau halten. Wir kontrollieren auch unsere Grenzen. Ist das nichts? Wir arbeiten mit anderen Ländern an Vereinbarungen wie mit der Türkei und schauen dabei nicht, ob es sich um eine Diktatur handelt, die gegen die Menschenrechte verstößt. Die Welt ist eben komplizierter geworden, die Antworten müssen einfacher werden. Die Union aller demokratischen Parteien und die Kanzlerin arbeiten hart, sie zu finden. Und wir haben Erfolg.

PPQ: Indem die Kanzlerin ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik korrigiert hat. Kommt nun auch noch die Obergrenze für Flüchtlinge? Erwartet die SPD vom Koalitionspartner, dass das mit Blick auf die Bundestagswahl Wähler zurückbringt?

Brückner: Das Ziel der SPD ist inzwischen auch, die Zahl der Flüchtlinge spürbar zu verringern. Dank unserer Partnerländer Ungarn, Türkei, Mazedonien und Österreich konnte das erreicht werden, ohne dass wir selbst etwas tun mussten. Wir konnten den Zaunbau in all diesen Ländern kritisieren, dabei aber von den Zäunen profitieren. Normalerweise hätte dieser kluge Schachzug die Wähler überzeugen müssen. Aber das braucht noch Zeit. Das ist unser Ziel. Die Aufgabe bleibt also vor allem, von einer europäischen Lösung zu reden, so dass auch bei der Obergrenze niemand mehr auf seine eigene Verantwortung festgenagelt werden kann.

PPQ: Dann stehen CDU und SPD vor der Wiedervereinigung?

Sauber: Es stehen ja bald unsere Parteitage an.

Brückner: Vielleicht holen wir die Grünen auch noch dazu.

PPQ: Rufen Sie dann alle zusammen Merkel zur Kanzlerkandidatin aus? Sind die Grünen auch mit im Boot? Und die Linken?

Lehmann: Es gibt Dinge, die behalte ich für mich. Das geht einfach niemanden was an.

Grabusch: Das müssen die Gremien entscheiden.

PPQ: Klingt nach einer schnellen Entscheidung. Auch die SPD tut sich ja schwer mit der Suche nach einem Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Ähnlich sieht es bei der Linken aus. Könnten die Koalitionspartner und die anderen demokratischen Parteien nicht mit einem Konsenskandidaten in den Wahlkampf gehen?

Grabusch: Wir sind so hoffnungsfroh, eine gute Nachfolgerin oder zur Not auch einen Nachfolger für Angela Merkel zu finden, die beziehungsweise der eine breite Zustimmung aller Demokraten erhält.

Sauber: Das ist gerade in diesen Zeiten wichtig. Diese Bundestagswahl hat eine besondere Bedeutung - diesmal geht es vielleicht mehr denn je darum, unserem Land und unserer Demokratie einen Dienst zu erweisen - und einer Parteienkonstellation, die wie unsere seit Jahren für Stabilität, Sicherheit und Gesundheit in ganz Europa steht.

PPQ: Welche Kriterien muss der Bewerber erfüllen?

Brückner: Es geht darum, eine Persönlichkeit zu finden, die leitend und wertbildend in die großen Debatten eingreifen kann. Talkshowerfahren, aber nicht verschlissen. Telegen, aber kein Schauspieler. In Dingen der Globalisierung ebenso zu Hause wie in der Kommunalpolitik, sympathisch, unängstlich, in den europäischen Partnerländern angesehen, in der Welt der Wissenschaft geschätzt.

Lehmann: Musikalisch wäre auch schön, Mit einer soliden wissenschaftlichen Ausbildung oder zumindest einem sauberen Doktortitel. Sie oder er muss die Gesellschaft zusammenführen können. Zugleich sollte es aber auch jemand sein, der die Rechten ausgrenzen kann. Und der mit dem harten politischen Geschäft umgehen kann.

Sauber: Das macht es nicht einfacher, aber gemeinsam mit der SPD und allen Demokraten wir werden einen guten Kandidaten finden.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die vier Damen und der Herr bringen es auf den Punkt. Gut, dass sich solche Experten um unsere Zukunft kümmern.

Gernot hat gesagt…

Na, da fällt mir doch gleich die Identifikationsfigur H. Klump ein. Zumal die doch bevölkerungspolitisch so beispielhaft gewirkt hat, dass sie auch einen Teil der Besorgten, die immer so nach Kindergebären schreien, auf sich vereinigen kann.

Borsig hat gesagt…

Die holen den F. Merz aus der Mottenkiste !