Mittwoch, 8. Mai 2019

Fake News: Kramp-Karrenbauer und das Flugverbot

In China essen sie Hunde und sie dürfen nicht fliegen, wenn den Blutdruck bei Reden des Großen Vorsitzenden Xi nicht vorschriftsmäßig vor Begeisterung steigt. AKK glaubt das alles.

Was ist wahr, was ist falsch, wer streut gegebenenfalls absichtlich Falschinformationen und zu welchem Zweck? Dazu ist auch vor der EU-Wahl wieder ein PPQ-Team im Einsatz, das möglichen Strategien der Desinformation mit intensivierter journalistischer Qualitätssicherung entgegenwirkt. Der KI-gesteuerte Faktencheck PPQEU19 überprüft Aussagen von Medien und Politikern auf ihre Richtigkeit,, ordnet ein und stellt klar. 

In der vierten Folge: Wie die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer auf plumpe Fake News aus China hereinfiel und sie unüberprüft weiterverbreitete.

Wenn Spiegel, Welt, Süddeutsche, Handelsblatt, Tagesschau und all die anderen Leitmedien das Gleiche melden, kann eine künftige Kanzlerin und mächtigste Frau der Welt mit Fug und Recht davon ausgehen, dass das ja dann wohl stimmen muss. Es klingt auch so, wie man es erwartet, als Deutscher, wenn man traurig durch die Welt schaut und feststellen muss, dass nicht alle Regierungen so klug und weitsichtig, liberal und umweltfreundlich handeln wie die unsere.

Annegret Kramp-Karrenbauer hat also bei einem Wahlkampfauftritt im dunkeldeutschen Nordosten in ihre Seele blicken lassen. Eine  Meldung aus China habe sie wirklich beschäftigt, sagte sie. Nämlich die, dass im Zuge der neuen sozialen Kontrollen 23 Millionen Chinesen kein Flugticket für eine eigentlich geplante Reise bekommen hätten. 23 Millionen Chinesen. 23 Millionen Opfer. "Ich dachte, wir hätten so etwas hinter uns", schimpfte die CDU-Chefin in der Hoffnung, die Ostdeutschen im Saal würden sich reflexhaft an die fehlende Reisefreiheit zu DDR-Zeiten erinnern. Und der kleinen Dame auf der Bühne gleich auch noch zutrauen, dass sie den Chinesenmann mit seiner Sozialkontrolle draußen hält, was Mecklenburg betrifft.

Schöne Sache, echte Wahlkampfsondermunition. Das Bemerkenswerte allerdings ist, dass Kramp-Karrenbauer den armen Menschen in Demmin ein Art Koalabären aufgebunden hat, der in der Relotius-Abteilung der staatlichen "Tagesschau" entstand, wo ein ehrgeiziger Praktikant bei der  frei assoziierenden Nacherzählung einer Meldung der chinesischen Nachrichtenagentur Yuan auf eine eigene empörende Geschichte stieß, die seitdem begeistert weitergetragen wird.

Die Schwierigkeit dabei war, möglichst alles falsch zu verstehen, was im Original stand. Dort war von 20,47 Millionen Flügen und 5,71 Millionen Hochgeschwindigkeitsbahnfahrten die Rede, die Fahrgäste nicht hatten antreten dürfen, weil sie "dishonest", also "nicht vertrauenswürdig", und "Defaulters", also "säumige Zahler" seien.

Auf die Schwarze Liste kamen die Betreffenden auch nicht, weil sie bürgerliche Freiheiten gefordert oder eine China-CDU gegründet hatten. Sondern weil sie es versäumten, Urteile zur Rückzahlung von Schulden ("verdicts to repay their debts") zu befolgen, weswegen das höchste chinesische Gericht ihre Namen auf seiner Webseite veröffentlichte und ihnen nicht nur verbot, zu fliegen oder Schnellzüge zu benutzen, sondern auch, ihre Kinder auf teure Privatschulen zu schicken.

Es geht also einerseits keineswegs um 23 Millionen Chinesen, die kein Flugticket kaufen dürfen, weil China böse ist. Sondern um 20 Millionen Flüge, die an eine unbekannte Zahl von Chinesen nicht verkauft werden durften, von der fortune.com annimmt, sie könne bei 17,5 Millionen liegen. Dazu kommen knapp sechs Millionen Schnellbahnfahrten, für die das Gleiche gilt, ohne dass hier bekannt ist, wie viele Einzelpersonen wie viele Fahrten nicht antreten durften.

Ganz grob zusammengerechnet sind das tatsächlich um die 23 Millionen. Es sind aber nicht wie Kramp-Karrenbauer behauptet Fliegende, sondern Flüge plus Bahnfahrten. Und es handelt sich bei den Betroffenen nicht um "Millionen Aussätzige", wie der "Stern" schreibt. Sondern um Steuerschuldner, wie businessinsider.com bereits vor Jahren erläuterte.

Macht ja nichts, merkt ja keiner. Schließlich ist es schlimm genug, dass die Zahl der von der China-Schufa Gebannten von 11,4 Millionen im vorletzten Jahr auf Kramp-Karrenbauers Tagesschau-Zahl von gefühlten 23 Millionen gestiegen ist. Schneller stieg nur das Bedürfnis deutscher Medienarbeiter und Politiker, aus den Originalnachrichten über Chinas Liste für säumige Schuldner, Steuersünder und betrügerische Pleite-Unternehmer ein "allumfassendes digitales Überwachungssystem" (Deutschlandfunk) zu machen, das in seinen abenteuerlichsten Momenten sogar mit "Mimikauswertung" abfällige Reaktionen von Bürgern auf Reden des Vorsitzenden Xi erkennen und mit Flugentzug bestrafen kann.

Eine Orwell-Fantasie, hinter der selbst die aktuellen Bemühungen der EU zur Einführung allumfassender Überwachungsinstrumente beruhigend hilflos wirken. Der Chinese könne mit der Smartphone-Kamera sogar den Blutdruck von Bürgern ermitteln, trompetet der Deutschlandfunk, der ja auch eisern jede wirre Windung der angeblichen Russland-Affäre Trumps geglaubt hat. Das System in China nun funktioniere einfach "über eine Auswertung der Hautäderchen auf dem Gesichtsbild", so dass es tapferen Dissidenten (was macht eigentlich Ai Weiwei?) gar nichts nütze, begeistert von Xi in die Kamera zu lächeln und Begeisterung vorzutäuschen.

Wenn der "Blutdruck auf Normalniveau bleibt, erkennt die Software, dass diese Begeisterung gespielt ist" (DLF). Dann droht Gefahr, auf die Schwarze Liste zu kommen, so legen Berichte dieser Art nahe. Denn Ziel der chinesischen Regierung sei es doch, die Menschen zu "staatspolitisch einwandfreien und positiv denkenden Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen".

Das alles geschieht natürlich "in Echtzeit", so der Deutschlandfunk, und es ist barer Unsinn. Aber Annegret Kramp-Karrenbauer hat nicht nur jedes Wort geglaubt, sondern irgendwann auch beschlossen, die Märchenstory von den Millionen von ihrem Blutdruck verratenen chinesischen Dissidenten, die nun alle nicht mehr reisen dürfen, in ihre Wahlkampfreden einzubauen.

Dabei ist die Leichtgläubige doch Vorsitzende der Partei, die es vor drei Jahren gemeinsam mit der koalierenden SPD für angebracht hielt, ein Gesetz zu beschließen, nach dem hierzulande jede Straftat mit Führerscheinentzug bestraft werden kann. Zahlt jemand den Unterhalt für sein Kind nicht oder schwänzt das die Schule, geht ihm die CDU an die Mobilität: Die in der Gesellschaft so wichtige Bewegungsfreiheit einzuschränken, so die Union, sei "auch eine Art Freiheitsentzug".


2 Kommentare:

Bauer mit Karren hat gesagt…

Gut, dass wir Piefke-Schlauberger der obersten moralischen Erdinstanz chinesische Konsequenzen bei Ordnungswidrigkeiten und diesbezügliche deutsche Begriffsverwirrungen so ausführlich in fast epischer Breite behandelt haben, als gäbe es in diesem unseren Schland keine dringender zu behandelnden Problemzonen.

Wir besserwisserischen Globalüberflieger scheinen ein großes Talent zu haben, banalste Kleinigkeiten künstlich aufzublasen, oder wie man früher sagte, aus Mücken Elefanten zu machen.

Was soll's, in einem Land, in dem die geistige Sonne sinkt, werfen auch mentale Zwerge riesige Schatten.

Geblatene Wau Wau und Miau Miau auch ohne Leis sehl leckel.

Anonym hat gesagt…

"banalste Kleinigkeiten künstlich aufzublasen"

Eben, wie schon mehrfach hier abgelassen:

„………..Denn was anderes soll denn dabei herauskommen, agieren Insassen eines Paranoia-Parallel-Universums, einer Lügen-Matrix, worin alle Grössen, Masstäbe, Normen und Werte-Kanons in(per)vertiert sind……“

Impliziert auch genau das angesprochene Phänomen, Nichtigkeiten, Petitessen, Banalitäten und Lächerlichkeiten zu Hyper-Popanzen aufzublähen, dagegen die massivsten, akutesten, ja fürwahr letalen Bedrohungen einfach in luschtige, kleine Nebensächlichkeiten umzulügen, oder schlichtweg dröhnend totzuschweigen. -