Sonntag, 30. Juni 2019

Der Anbräuner: Die kalte Rache des Neo Rauch

Siebeneinhalb Jahrzehnte nach Hitlers Tod gehört es zum politischen Alltagsgeschäft, politische Konkurrenten oder Vertreter abweichender Ansichten möglichst umgehend zu "Nazis" zu erklären und sie aufzufordern, zu bereuen und sich zu entschuldigen. Wer sich weigert, verfällt der medialen Feme wie der Maler Axel Krause, der Schriftsteller Uwe Tellkamp , der Humorist Uwe Steimle oder der Musiker Morrisey. Normalerweise verliert der Getroffene damit sofort auch das Recht, sich gegen Unterstellungen zu verteidigen: Wer beschuldigt worden ist, sich in Nazinähe zu bewegen, ist raus aus dem Dialog der Demokraten. Er kann vielleicht weitersingen. Aber kein anständiger Mensch wird ihm mehr zuhören, seine Bilder anschauen, über seine Witze lachen oder seine Bücher lesen.

Der Leipziger Maler Neo Rauch hat den Tugendwächtern der politischen Moral der Merkel-Republik nun schon vor längerer Zeit Grund zum Verdacht gegeben, er könne in Gedanken einer sein, den gelegentlich Zweifel daran befallen, ob hierzulande noch alles Maß und Mitte hat, was alternativlos ist und geschafft werden wird.

"Wir haben 1989 die Bagage der Blockwarte, Gesinnungsschnüffler und der Politkommissare zum Teufel gejagt und uns gesagt ,So etwas lassen wir uns nie wieder bieten. Wir lassen uns nie wieder auf Linie bringen‘", hat der Begründer der Leipziger Schule etwa gesagt, "und jetzt sind die Blockwarte wieder da in Gestalt ihrer Enkelkinder." Von "Verhaltensmustern" sprach er, "die uns Ostgeborenen so urvertraut sind" und meinte damit die Devotheit der Westdemokraten allem gegenüber, was ihnen von oben zu kommen scheint. Der gelernte Ostler weiß, diese Typen wären hervorragende FDJ-Sekretäre geworden, überzeugt von ihrer Überzeugung, nie von einem Zweifel angegangen.

Aus solchem Material waren SED-Funktionäre gemacht, das war genau die Art Kämpfer, die die Unmenschlichkeit der vermassten Gesellschaft des Sozialismus als wissenschaftliche Notwendigkeit verteidigten. Wie sie es bis heute tun.

Ohne es zu bemerken freilich, wie das Beispiel des aus München stammenden Kunstkritikers Wolfgang Ullrich zeigt. Der hatte Rauch Anfang des Jahres in seinem raunenden Essay "Auf dunkler Scholle" derselben rechten politischen und weltanschaulichen Einstellungen überführt, die auch Tellkamp vorgeworfen wurden. Ulrich beschuldigte Rauch, ein "rechts gesinnter Künstler" zu sein, er rückte ihn in eine Reihe mit Pegida-Aktivisten und AfD-Sympathisanten. Rauch sei quasi ein malender Nazi, eigentlich, der gegen "political Correctness" wettere und gegen eine "Bagage der Blockwarte, der Gesinnungsschnüffler und Politkommissare" polemisiere. Was aus Ullrichs Sicht offenbar verboten ist oder nicht erlaubt oder nicht gewünscht.

Ein gesellschaftliches Todesurteil, wenn es jemanden trifft, der noch von gesellschaftlichen Beurteilungen abhängig ist. Nur ist Neo Rauch das eben nicht. Selbst der Bannstrahl der altbundesdeutschen "Zeit", einem medialen Vehikel von Bionadeadel, Elektroautokirche und Andeutschemwesensolldieweltgenesen, trifft den Weltstar der Malerei nicht. Oder doch nur insoweit, dass Rauch sich jetzt den Scherz gestattete, zurückzumalen: Im Bild "Der Anbräuner“ (oben) porträtiert der gebürtige Ascherslebener seinen Ankläger, Richter und Henker als einen Mann, der auf dem Lokus sitzt und mit seinen eigenen Fäkalien Hitlerfantasien malt.

Eine Hinrichtung mit den Mitteln der Karikatur, die sich hier als Kunst verkleidet. Der Hexenjäger Ullrich sieht sich entblösst auf einem Nachttopf platziert, die Initialen „U.W.“ verweisen auch die noch auf seinen Namen, die nie von ihm und seiner Suada gegen Rauch gehört haben. Um die 40.000 Euro kostet ein gewöhnliches Gemälde des Wahlleipzigers Rauch. Dieses hier aber ist unbezahlbar schon allein deshalb, weil der Kunstblockwart der "Zeit" sich beharrlich weigert, sich selbst als Gegenstand des Gemäldes zu erkennen, obwohl ein Bildvergleich jedem Blinden zeigt, dass Neo Rauch genau das malen kann, was er malen will.

Was aber ist ein Kritiker wert, der nicht sieht, was ist, sondern beurteilt, was er meint, sehen zu müssen? Der um des wie zu dunkelsten DDR-Zeiten für nötig erachteten Schutzes eines eingebildeten Meinungskorridors wegen anbräunt, anklagt, aburteilt und am vollstrecken eigentlich nur gehindert ist, weil große Teile der Gesellschaft des beständigen Nachstellens, Anklagens und Hinrichtens eingebildeter Nazis längst müde geworden sind?

Wolfgang Ullrich hat in Reaktion auf sein "Anbräuner"-Porträt selbst die Antwort gegeben, indem er mit den kurzen Beinen, die professionelle Lügner sprichwörtlich ebsitzen, versucht hat, gegen seinen Kritiker nachzutreten. „Ich habe Rauch rechte Motive unterstellt, aber ihn keineswegs zum Nazi gemacht – das macht er schon selber.“

6 Kommentare:

  1. https://www.deutschlandfunkkultur.de/neo-rauch-und-sein-protestbild-wer-ist-denn-nun-der.2156.de.html?dram:article_id=452619

    Wer ist denn nun der "Anbräuner"?

    Der Kritiker Wolfgang Ullrich rückt Neo Rauch in die Nähe rechter Künstler - der Maler quittiert das mit einem Bild. Ist mit "Der Anbräuner" der Kritiker gemeint? Ullrich dreht diese Lesart um und sagt: Der Maler könnte sich selbst meinen.
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    Vielleicht ist der Ulrich ja auch nur ein Arschloch? Warum wurde diese enorm wichtige Fragestellung in der Studiolaberei nicht behandelt?

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  2. Wolfgang:Ullrich @ideenfreiheit

    Ein sehr aufschlussreicher Aufsatz von Petra Kunzelmann über die Gewaltphantasien von Neo Rauch gegenüber Kritikern (ab S. 204). Vielen Dank für den Hinweis, lieber @The_original_GP!

    https://twitter.com/ideenfreiheit/status/1144885944941731842

    https://books.ub.uni-heidelberg.de/arthistoricum/reader/download/212/212-17-78661-3-10-20170810.pdf

    Kurt Schwitters und Neo Rauch bilden in diesem Zusammenhang mit ihrem Werk insofern signifikante Positionen, als diese beiden Künstler in ihren gemalten bzw. montierten Bildwerken nicht nur gelegentlich oder einmalig die Kritiker zum Bildgegenstand machten ...
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    Aha, Wiederholungsmaler, äh -täter. Das ideologische Schafott ist da noch die mildeste Form der Strafe.

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  3. Eigentlich wollte ich fragen, warum das Kunstwerk nicht "Der kleine Scheißer" heißt. Weil der Film schon so hieß?

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  4. Passend zum Finger schmutzig machen.
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    Jan Böhmermann @janboehm

    Die vielen Einknicker, Wegducker, Wiederhinleger, Schönreder, Kleinschreiber, die absichtlich Machtlosen, die Schweigenden und die, die mit der Unmenschlichkeit auf Parties herumfeixen, sind

    genau so schuldig
    wie die wenigen Täter.
    Es gibt keine "Mitläufer".

    faschistenbrot://twitter.com/janboehm/status/1144869037958139905
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    Warum sollte ich mir die Finger für die Errichtung einer Gesellschaft der Böhmermanns schmutzig machen?

    Harald Schmidt hat zu dieser Figur umfassend ausgesagt.

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  5. Mal eine Frage, was ich nicht versteh, warum hat er 3 Beine??

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  6. https://www.bild.de/unterhaltung/leute/leute/neo-rauchs-gemaelde-versteigert-750000-euro-fuer-ein-scheissbild-63594574.bild.html

    Bauunternehmer Christoph Gröner (51) hat Neo Rauchs „Der Anbräuner“ für 750 000 Euro erworben

    Laut MDR Kultur handelt es sich um eine Karikatur: „Sie zeigt einen Maler, der auf einem Nachttopf sitzt und zugleich mit seinen Exkrementen eine Figur auf eine Leinwand zeichnet. Diese Figur zeigt wiederum den Hitlergruß und darunter stehen die Initialen W.U.“

    AUCH INTERESSANT
    Hinter dem Kürzel W.U. soll sich Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich verbergen, der Rauch einst scharf attackiert hatte. In einem Interview mit „Die Zeit“ warf er dem Leipziger Maler vor, er würde mit „Motiven“ eines sogenannten „rechten Denkens“ arbeiten.

    Hinter dem „Scheißbild“ steckt also allerlei Inhalt. Gröner kündigte an, es im Eingangsbereich seines neuen „Verein für den gesunden Menschenverstand“ aufzuhängen. Im Esszimmer wäre es wohl auch unangebracht...

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