Dienstag, 7. April 2020

Schwarzes Statistikloch: Wie sich Europa Corona schönschwindelt

Eine EU-Stastistik zu Corona gibt es nicht. Wer mag, kann sich aber bei US-Quellen bedienen und daheim alles selbst zusammenrechnen.

570.000 Infizierte hier, 350.000 dort. Bei 300 Millionen Einwohnern hier und 320 Millionen dort geht das Rennen um das am schwersten getroffene Gebiet in der Corona-Krise eindeutig aus: EU-Europa dominiert die Katastrophenhitparade. Vier der zehn Hauptkrisengebiete sind EU-Staaten, unter den 20 am schwersten beeinträchtigten Staaten sind acht EU-Mitglied. Allein Spanien, Italien und Deutschland zählen mehr Ansteckungsfälle als die USA. Zusammen mit Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Österreich und Portugal übertreffen sie die USA immer noch deutlich.

Nur in der Öffentlichkeit ist das Bild seltsam verschoben. Einerseits schimmert überall das Bestreben auf, europäische Gemeinsamkeit zu demonstrieren, weil die durchweg national getroffenen Entscheidungen zur Coronabekämpfung allzu deutlich den Eindruck vermitteln, dass der Nationalstaat am Ende doch die einzige Handlungsebene ist, die im Krisenfall auch handlungsfähig bleibt. Andererseits finden sich gemeinsame Zahlen zur europäischen Dimension der Seuche allenfalls im Kleingedruckten. Die EU-Kommission, die sich mit der Statistik-Behörde EUstat ein eigenes Statistikinstitut leistet, das nahezu tausend Mitarbeiter zählt, mobilisiert nach Aussagen von Kommissionschefin Ursula von der Leyen zwar mittlerweile "jeden Euro, um Menschenleben und Existenzen zu retten".

Doch eine europäische Statistik zur Betroffenheit der Wertegemeinschaft haben die tausend führenden EU-Statistiker auch in Woche zehn nach Ankunft der Seuche in Europa nicht zustandebekommen. Zwar betont auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass das "Coronavirus ist für die EU die größte Bewährungsprobe" ist. Doch die geht die Gemeinschaft entschlossen ohne gemeinsame Statistik an. Wer mag, kann sich die Zahlen ja von der Webseite der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität ziehen und sie daheim mit dem Abakus zusammenrödeln.

Das aber ist gut so, denn wenn 3Sat-Nachrichtensprecher mit zornumwölkter Stimme sagen, dass die USA nun schon mehr Corona-Fälle hätten als "Spanien, Italien und Frankreich zusammen", dann stimmt das einerseits knapp. Nähme man jedoch etwa Deutschlands 100.000 Fälle noch dazu, dann hätten die  vier europäischen Kernlande bei nur zwei Dritteln der US-Bevölkerung schon deutlich mehr Fälle aufzuweisen als das perfide Maskenraubreich des Versagerpräsidenten Trump..

Nicht gut. Umso besser, dass EUstat sich auf andere Statistiken konzentriert: Die Einzelhandelsumsätze in der EU stiegen um 0,9 Prozent,  die Arbeitslosenrate liegt bei 7,3 Prozent und die Erzeugerpreise sind um 0,6 Prozent gesunken. Dinge, die in der größten Bewährungsprobe der Gemeinschaft seit dem Zweiten Weltkrieg unbedingt wissenswert sind. Überdies stören so nicht lästige Fakten die Darstellung der USA als am schlimmsten betroffenem Land.

Die EU, in der derzeit jeder 782. Bürger infiziert ist, macht so eine ausnehmend gute statistische Figur gegenüber den Vereinigten Staaten, in denen sich erst jeder 934. Bürger angesteckt hat.

4 Kommentare:

  1. Es dringen, sicher zum Ärger der Wahrheitsverwalter, immer wieder Berichte ins Internet, laut denen in Deutschland kaum auf Corona getestet wird. Das Wort 'Dunkelziffer', mit dem bei passender Themenlage gern Horrorszenen gemalt werden, ist hier kaum zu vernehmen.
    Wer nicht getestet wird, kommt auch in keine Statistik.

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  2. Vielleicht fehlt einfach nur eine richtig starke eu-armee?

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  3. mit sicherheit, die forderung wird kommen, jede wette. kommt ja immer mal

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  4. Carl GustafApril 08, 2020

    Ich bin drauf gespannt, wann der erste Weltverbesserer, das Wort vom "Virus-Flüchtling", die Europa jetzt alle retten muss, in den Mund nimmt. Europa kann noch mehr Infizierte locker verkraften.

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