Mittwoch, 13. Januar 2021

Deutschland: Der Risikopatient

Mit einem Zwanzigstel der Neuinfektionen in den USA schafft Deutschland derzeit ein Drittel der Opferzahlen.

Es sieht inzwischen aus wie ein multiples Organversagen. Deutschland ist ein knappes Jahr nach dem Beginn der großen Corona-Krise beschädigt an Kopf und allen Gliedern. Was anfangs harmlos begann, als sich den staunenden Bürgern offenbarte, dass ihre Regierung in den endlosen fetten Jahren des besten Deutschlands aller Zeiten kein Quäntchen Krisenvorsorge betrieben hatte, entpuppte sich mit dem weiteren Verlauf als systemisches Versagen.  

Systemisches  Versagen

Nie ging es darum, die Krise gut zu managen. Immer nur darum, in der Krise gut auszusehen. Nach dem Komplettaussetzer bei der Maskenfrage, notdürftig geheilt mit sinn- und zwecklosen Großeinkäufen für die staatlichen Lager, folgte die Fehleinschätzung, mit offenen Grenzen durch den Sommer zu feiern. Und als die vielbeschworene zweite Welle schließlich kam, war die Zahl der Intensivbetten radikal zurückgebaut, weil die Regierungsschamanen geschworen hatten, dass ein "Wellenbrecher-Lockdown" alles zu Guten richten würde. 

Hört auf die Wissenschaft, hatten sie gesagt. Und schaut nach Amerika, Brasilien, Italien, Spanien. Wollt ihr das? Keiner hat Ja gesagt, aber alle haben es bekommen. Zuletzt meldete das Robert-Koch-Institut, eine Institution, die in Friedenszeiten großes Renommee erwarb, täglich Infektionszahlen von weit über 10.000 und die Zahl der täglichen Todesfälle lag beständig über 1.000. Deutschland, das Land, das nach der festen Überzeugung und dem lauthalsen Bekunden seiner Führer "bisher sehr gut" durch die Pandemie gekommen ist, liegt damit gleichauf mit dem - viel bevölkerungsreicheren - Brasilien und dem als Epizentrum der Mutation B117 geltenden Großbritannien. Und weit vor solchen Krisengebieten wie Russland, Spanien, Italien und Frankreich

Spitze in der Todeshitparade

Deutschland hat jetzt mehr Tote als die USA.

Auffällig dabei ist, dass Deutschland, der Risikopatient unter den Nationen, es ohne übertrieben hohe Ansteckungszahlen bis an die Weltspitze der Corona-Todeshitparade geschafft hat. Eine Leistung, die medial bisher vollkommen untergegangen ist: Verzeichnen die USA derzeit zwischen 250.000 und 300.000 Neuansteckungen und um die 3.500 Corona-Tote am Tag, wird in Deutschland ungleich emsiger und häufiger gestorben. Ein  Zwanzigstel der aktuellen Neuinfektioneszahlen der USA reichen hierzulande für ein Drittel der Todesopfer, die die Vereinigten Staaten verzeichnen.  Oder anders gesagt: Würden sich in Deutschland ähnlich viele Menschen wie in den USA anstecken, stürben hierzulande nicht 3.500 Menschen täglich, sondern um die 10.000.

Elftausend Neuansteckungen stehen hierzulande etwa tausend Tote gegenüber. Selbst statistische Verzerrungen eingerechnet, weil viel Faxgeräte der deutschen Gesundheitsämter über die Feiertage ausgestöpselt worden waren, sind das tödliche Differenzen, die sich selbst durch "Tagesschau"-Faktenfinder nur noch schwerlich zu herausragenden Erfolgen der klugen Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik der größten Koalition aller Zeiten verklären lassen würden.

Vermutlich aus genau diesem Grund spielen Zahlen und Vergleiche bei der Corona-Berichterstattung in Deutschland je weniger eine Rolle, desto fürchterlicher sie ausfallen. Und die Zahlen bei den Seuchenopfern sind apokalyptisch: Stirbt in den USA, die unter einem irren Präsidenten und einem vollkommen maroden Gesundheitssystem leiden, etwa jeder 66. Corona-Infizierte, ist es in Deutschland derzeit jeder Zehnte. Dass die Bundesregierung einen eigenen Gedenktag für die Opfer ihres Versagens plant, um für die Zeit nach den täglichen Tagesschau-Reportagen aus den Impfzentren gerüstet zu sein, liegt nahe. Jeder Monat, den das Impfen länger dauert, kostet nicht ein Flugzeug, sondern eine fränkische oder sächsische Kleinstadt das Leben. 

Zahlen aus der Pandemiehölle

Zahlen aus der Hölle, zu denen der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet noch  Mitte Dezember eine Melodie gepfiffen hatte, die nach Kaisergeburtstagsmarsch klang. "In Europa und außerhalb Europas wird Deutschland beneidet, gerade auch in der Pandemie", schwor der Mann, der Kanzler werden will. Olaf Scholz, ein Sozialdemokrat aus der anderen Regierungspartei, ordnete für die ganz Ungeduldigen ein, dass "wir nicht in drei Wochen alle Probleme lösen können". Der Kanzlerkandidat der SPD meinte damit Probleme, die in elf Monaten meist nicht einmal erkannt wurden, weil man vergessen hatte, Daten darüber zu erheben, wer jetzt eigentlich wen ansteckt, wo das passiert und warum es fast ausschließlich die Älteren und die ganz Alten sind, die sterben, ehe sie noch einem Reporter vor das Mikrophon laufen und sich gegen "jede Form von Impfstoffnationalismus" aussprechen können.

In der deutschen Logik schwerer Schuld für alles reicht es ohnehin nicht "wenn wir Deutschen alle geimpft sind". Es braucht "berührende Momente der Einheit", ein wahres Herdengefühl aller Europäer. Denn es reiche ja nicht, erklärt das politische Berlin sein gemütliches Vorgehen, wenn alle Deutschen geimpft wären. Seien es die Bürgerinnen und Bürger der EU-Partnerstaaten nicht, könne man ja niemanden reinlassen.

Weshalb Geimpfte fürchten müssten, von Ungeimpfen angesteckt zu werden, muss freilich noch geklärt werden, auch in den Alten- und Pflegeheimen, in denen Pflegerinnen und Pfleger eine so "zögerliche Impfbereitschaft" (DPA) zeigen als wollten sie das Gesamtvorgehen der Großen Koalition in Jahr eins der Corona-Krise nachstellen. Wären alle Heiminsassen geimpft, was täten ihnen ungespritzte Pfleger dann wohl an?


5 Kommentare:

Hase, Du bleibst hier ... hat gesagt…

Eine blockierte Seitenstraße aus Tübingen ist jetzt die große Hoffnung. Dem Virus wird einfach die Einreise in den Zellkern und somit die Vermehrung verwehrt. Am deutschen Forschungswesen wird die Welt genesen.

Eine Seitenstraße ohne Kamele und eine geschlossene Grenze, wer hätte das gedacht.

ppq hat gesagt…

ich las, dass jetzt richtig dolle kontrollen für einreisende kommen sollen. nach elf monaten. sie sind schon ganz speziell, die leute am ruder.

Anonym hat gesagt…

Lockdown im Frühjahr: Zahlen runter
Lockdown im Winter: Zahlen hoch
ergo
Lockdown: Plazebo

Interessiert keinen, welche Faktoren die Zahlen ansteigen lassen? Die Balance der Inkompetenz zwischen TV-Experten, Journos und Politclowns soll wohl nicht gestört werden.

Anonym hat gesagt…

Die Maßnahmen helfen. Gegen die Grippe, aber nicht gegen Corona!

Unknown hat gesagt…

Ist ja auch kein Wunder, wenn jeder der auch nur ansatzweise in die Nähe des Virus gekommen ist als Coronatoter gemeldet wird, egal an was er gestorben ist, selbst wenn es ein Verkehrsunfall war!