Freitag, 14. September 2007

Schein und Sein

Sozialwissenschaftler der Humboldt-Universität in Berlin haben 1019 repräsentativ ausgewählte Bürger zu ihrem Gerechtigkeitsempfinden befragt und herausgefunden, was ihnen jede Kneipenrude hätte auch sagen können: Die Verteilung von Einkommen und Chancen in Deutschland empfinden die meisten als ungerecht, das eigene Einkommen hingegen wird dann doch meist als gerecht eingeschätzt. Wie beides zusammengeht, erklärt die Studie nicht.

Weitgehend Einigkeit herrscht darüber, dass die Verhältnisse in Deutschland ungerechter geworden sind. Nur knapp die Hälfte der Bürger glaubt heute noch, dass Begabung und Intelligenz belohnt werden. Solange es gleiche Chancen für alle gibt, ist es gerecht, wenn einige mehr Geld und Vermögen haben als andere - diesem Satz stimmen 78 Prozent der West- und 73 Prozent der Ostdeutschen zu. Dass ein Anreiz für Leistung nur dann bestehe, wenn die Unterschiede im Einkommen groß genug sind - dieser Aussage befürworten immerhin 59 Prozent der West- und 55 Prozent der Ostdeutschen zu. Gleichzeitig aber sind große Teile der Bevölkerung überzeugt davon, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht. Das empfinden sie als ungerecht. Ihrer Ansicht nach sollten Manager weniger, ungelernte Arbeiter hingegen mehr verdienen. Ein Hilfsarbeiter verdient rund 1.130 Euro monatlich - für gerecht hielten die Befragten 1.431 Euro. Das von den Befragten geschätzte monatliche Durchschnittseinkommen von führenden Managern beträgt 125.000 Euro - als gerecht empfänden die Befragten rund 48.000 Euro.

Das tatsächliche Durchschnittseinkommen von deutschen Managern beträgt (2005) übrigens rund 24.000 Euro im Monat.

Schein und Sein klaffen auseinander, den Schein findet der Befragte dann ungerecht. So kommt es dann, dass sich die Deutschen einen Staat wünschen, der "mehr soziale Verantwortung übernimmt" - und gerade die Ostdeutschen, deren Bundesländer sich breitaufgestellte Kindergarten- und Krippensysteme leisten, höhere Ansprüche an den Sozialstaat stellen als Westdeutsche.

Erstaunlich auch, dass eine große Mehrheit (West: 75 Prozent; Ost: 88 Prozent) dafür plädiert, dass "der Staat für alle, die arbeiten wollen, einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen" sollte. Wahrscheinlich hätte die Frage, ob der Staat für gutes Wetter sorgen müsse, ebenfalls eine überwältigende Zustimmung gefunden. Fast ebenso viele Menschen sind der Ansicht, die Regierung müsse "für alle Menschen einen Mindestlebensstandard garantieren" - was der derzeitige Staat ja mit der Zurverfügungsstellung einer Grundversorgung für Bedürftige faktisch tut. Das wissen die Befragten nur leider nicht, oder sie sind der Ansicht, dass eine Grundversorgung nicht reicht, sondern eine Versorgung auf höherem Niveau angemessen wäre. Welches das sein müsste wurde nicht gefragt.

Der Aussage "Der Staat sollte eine Obergrenze für die Einkommenshöhe festsetzen" stimmen im Westen 41 Prozent, im Osten immerhin 57 Prozent der Befragten zu. Passend wäre wohl, diese Einkommensgrenze in der Nähe der auf Mittelstandsniveau angehobenen Grundversorgung anzusiedeln. Dann hätten alle gleich viel und über mangelnde Gerechtigkeit könnte sich nur noch der Gleisbauer beschweren, der für seinen Anteil acht Stunden Stahl durch den Regen tragen muss.

1 Kommentar:

  1. dasselbe denken macht aus der meldung, der ökolandbau sei am markt sehr erfolgreich, die forderung, er müsse weiter staatlich gefördert werden.
    http://www.polixea-portal.de/index.php
    /Meldungen/Detail/id/178098/n1/Meldungen
    /n2/MeldungenDeta

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