Dienstag, 6. Mai 2008

Verharmloste Verharmloser

Jörg Bernig aus Radebeul ist als Schriftsteller jetzt nicht gerade eine Hausmarke, in einem Beitrag für die
"Sächsische Zeitung" hat der 44-Jährige heute aber doch ein paar bemerkenswerte Gedanken zum Streit um den Thüringer Fast-Minister Krause aufgeschrieben. Krause ist, PPQ hat es vergangene Woche gemeldet, als er das selbst noch nicht wusste, am Ende kein Minister geworden. Hätte er mal lieber Steine auf die Polizei geworfen wie der ehemalige Außenminister Josef Fischer statt die rechtsextreme Junge Freiheit nur mit Worten aufzumunitionieren. Oder wäre er wie die gelernte Friseuse Ulla Jelpke nicht vier Monate bei der Jungen Freiheit", sondern viele Jahre bei der "Jungen Welt" in Diensten gewesen. Dann könnte er wie sie heute als Mitglied der PDS-Fraktion im Bundestag sitzen und morgen vielleicht schon irgendwo Minister sein.




Der designierte thüringische Kultusminister Krause erklärte gestern seinen Verzicht auf das Ministeramt mit den Worten: „In meine Privatsphäre wird in einer üblen Art und Weise eingegriffen, die ich nicht länger bereit bin zu ertragen.“ Dem war etwas vorausgegangen, das den Titel Debatte nicht verdient. Vielmehr war, was zu hören war, Geschrei. Der Grund: Krause war 1998 für vier Monate Redakteur der Zeitung „Junge Freiheit“. Er habe dort „ein konservativ orientiertes und fundiertes, aber offenes, antiideologisches und wirklich kritisches Debattenblatt jenseits politischer Lager“ aufbauen wollen.

Seit Bekanntwerden der geplanten Ernennung waren Angriffe auf Krause vorgetragen worden, bei denen es nicht um Meinungsverschiedenheiten und Kritik ging. Begriffe wie Ultrakonservatismus, Rechtslastigkeit und Rechtsextremismus zielten für mich nicht auf eine politische Auseinandersetzung ab, sondern auf die Ruinierung einer manchen unliebsamen Person. Der thüringische SPD-Fraktionschef Matschie warf Krause gar vor, den Holocaust zu relativieren.

Bereits vor zehn Jahren warnte Martin Walser in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels davor, den Holocaust zu instrumentalisieren. Daraufhin hatte er nicht wenig Mühe, sich der Anwürfe zu erwehren, denen die gegen Krause erhobenen ähneln. Der Extremismusforscher Professor Eckhard Jesse konstatierte dieser Tage, dass doch besser echte Rechtsextremisten gebrandmarkt werden sollten. Ansonsten könnte Matschie vorgeworfen werden, Relativierer und Verharmloser des Holocaust zu verharmlosen.

Den Angriffen aber standen positive Reaktionen aus Wissenschaft und Kultur auf die Nominierung gegenüber, und vielleicht lässt sich daran ablesen, dass die Membran zwischen diesen beiden Gebieten und der Politik doch dicker ist, als wir gemeinhin annehmen und uns wünschen. Die thüringische Rektorenkonferenz begrüßte Krauses Berufung. Eine Berufung, die nicht zuletzt wegen seiner guten Kontakte zum Kulturleben erfolgt sei.

Es erhebt sich also die Frage: In welcher politischen Kultur leben wir eigentlich? Darf zu jedem Mittel gegriffen werden, wenn ein parteipolitischer Vorteil daraus gezogen werden kann? Wo bleibt da der Respekt? Der Respekt vor dem Menschen im Opponenten. Und – wenn auf den Holocaust verwiesen wird – der Respekt vor den Holocaust-Opfern?

Thüringen ist für die Kulturlosigkeit in manchen – nicht nur politischen – Auseinandersetzungen kein Einzelfall. Denken wir nur an den letzten Wahlkampf in Hessen. Denken wir an die versuchte Verleihung des Heine-Preises an Peter Handke vor zwei Jahren. Ein überragendes literarisches Werk wurde wegen Handkes Positionierung während der Balkankriege stigmatisiert. Düsseldorfer Stadträte wischten die Unabhängigkeit der Jury kurzerhand vom Tisch. Oder nehmen wir die Reaktionen auf Götz Aly, der sich in seinem jüngsten Buch mit dem totalitären Potenzial der 68er befasste. Und als im letzten Jahr der Schriftsteller Ulrich Schacht zum Dresdner Stadtschreiber gewählt wurde, gab es ebenfalls Versuche, ihn in eine rechtsextreme Ecke zu stellen. Stets wird der Auseinandersetzung der verbale Totschlag vorgezogen.

Dogmatismus und Ideologie sind die treibenden Kräfte eines Denkens, das gegen alle, die sich diesen Formen des Denkens entziehen, militant vorgeht.

Ich erkenne in den Angriffen auf Krause oder auch auf Schacht durchaus Paradigmatisches. Da ist ein Konservatismus, der oft nur in den Angriffen auf ihn wahrgenommen wird. Da ist eine Linke, deren demokratische Verortung noch nicht hinlänglich geklärt ist. Da ist eine SPD, die sich in Mitteldeutschland noch immer mit dem historischen Versagen plagt, im Mutterland der Sozialdemokratie nur eine marginale Rolle zu spielen.

Aber über diese eher regionalen Phänomene hinaus scheint mir auch noch 18 Jahre nach der Wiedervereinigung ein fundamentales west-östliches Verstehensproblem zu existieren. Althaus benannte jetzt – anders als Milbradt im letzten Jahr – Landeskinder der mittleren Generation. Und eine vorrangig westlich verankerte und geprägte mediale sowie parteipolitische Deutungshoheit lässt nun erkennen, dass ihr östliche Lebens- und Denkwege doch unbekannter sind als erwartet.

Die Freiheit wurde dem östlichen Teil des Landes nach 1945 nicht geschenkt, sondern die Menschen gaben sie sich in der Revolution von 1989 selbst. Und zu dieser Freiheit gehört es, grenzüberschreitend und lagerübergreifend denken zu wollen. Zu dieser Freiheit gehört Streitbarkeit. Das geht auch an der alten Bundesrepublik nicht spurlos vorbei. Vielleicht bemerkte man auch erst zu spät, dass die Revolution von 1989 nicht nur die DDR, sondern gleich noch die alte Bundesrepublik beseitigt hatte. Nur selten aber wird Freude ob der daraus notwendig gewordenen Innenrevision laut.

Die Reaktionen auf die Umbesetzung der thüringischen Landesregierung zeugen so einerseits von regionalen politischen Defiziten, und sie zeugen vom Zusammenprall einer altbundesrepublikanisch geprägten, ideologisierten Medien- und Parteiendemokratie mit einer ostdeutschen Aufmüpfigkeit, die sich aus der großen antitotalitären Leistung von 1989 speist.

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