Samstag, 11. Oktober 2008

Hadern statt Handeln

Die FAZ fragt Ralf Dahrendorf, ob es nicht bedenklich ist, dass im Augenblick der Krise Politiker jeder Couleur jene Steuerungsmöglichkeiten versprechen – "Wir müssen zähmen! Wir müssen zügeln!" -, von denen sie in den vergangenen Jahren selber behauptet haben, es gebe sie gar nicht mehr? Der Lord und Autor von »Der Begriff des Gerechten im Denken von Karl Marx« antwortet natürlich Überraschendes:

Die einzigen, die mit der Krise fertig werden können, sind die Amerikaner. Sie sind viel radikaler als die Europäer. Die Europäer reden immer - und besonders gerne von Systemen: Man müsse das ganze System verändern, heißt es dann sofort. Da wird dann schnell das Ende des Kapitalismus ausgerufen oder die soziale Marktwirtschaft begraben. In Amerika wird jetzt stattdessen etwas getan. Und sie werden viel radikaler als alle Europäer sein, so wie Roosevelts "New Deal"-Antwort auf die Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren viel radikaler war als sämtliche Ideen der europäischen Sozialisten. Wahrscheinlich werden die Amerikaner zu weitgehende Maßnahmen ergreifen, die sie dann wieder rückgängig machen. Aber sie werden strategisch-punktuell handeln und dabei nicht über das System reden. In Europa hingegen wird man ausführlich debattieren und entweder Lafontainesche Systemkritik akzeptieren oder bekämpfen – ohne zu handeln. Jedenfalls werden die Europäer kaum das Richtige tun, weil hier nicht pragmatisch gedacht wird.

Könnte jetzt die Stunde der antikapitalistischen Linken schlagen?

Als Avantgarde wird sich die Linke nicht formieren können. Denn sie verteidigt den Status quo. Nehmen wir nur das kuriose hessische Beispiel in der Frage von Studiengebühren. Ein wirklicher Linker würde immer sagen: Wer studiert, wird wahrscheinlich im Laufe seines restlichen Lebens fünfzig Prozent mehr verdienen als jemand, der nicht studiert - daher gibt es keinen besonderen Grund, warum normale Steuerzahler aufkommen sollen für diese Reichen von morgen. Dennoch sind momentan in Hessen SPD, Grüne und Linke gegen Studiengebühren. Sie agieren als eine Art Bauernverband für Akademiker. Massive Status-quo-Verteidigung findet da statt: ihre Kinder sollen künftig nicht wieder durch irgendwelche Netze fallen. Ein Anwalt der Armen und Entrechteten ist solch eine Linke nicht; Zukunftsträchtiges kann man von dort nicht erwarten.

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