Mittwoch, 15. Dezember 2010

Die Angst schneit mit

Das hat es noch nie gegeben, das war noch niemals da. Doch der Winter 2010 macht ein ganzes Volk zu Augenzeugen, wie durch Sprache eine neue, akute Gefahr entsteht: "Starkschneefälle" nennen Panikmetereologen, was das seit Tagen beharrlich vom Himmel schneit. Eine brandneue, frischerfundene Kategorie, die ihren ersten Auftritt diesseits der Alpen erst am vorletzten Tag des vergangenen Jahres hatte, als ein Wetterwarner namens Oliver Klein von der Meteomedia Unwetterzentrale das zuvor nur in Österreich und der Schweiz benutzte Wort zum ersten Mal einem deutschen Publikum präsentierte.

Geboren worden war das mörderische Sprachmonster Recherchen von Le Penseur zufolge ursprünglich am am 28.2.1999 in einem kargen, aber kuschelig zugeschneiten Büro von MeteoSchweiz. Von hier wurde es dann mit einem kurzen Irrweg über Österreich durch die reitenden Steuer-Kavalleristen des ehemaligen Arbeiterführers Peer Steinbrück in die deutsche Wetterfrontberichterstattung verschleppt wie einst die Pocken durch die Decken zu den Indianern.

Mit gigantischem Erfolg. Nach dem Vorbild des für die schneefreie Zeit des Jahres designten Begriffes "Starkregen", den weder Großvater noch Großmutter kannten, obwohl es auch damals manchmal schon heftig regnete, machten die "Starkschneefälle" mit Start der Wintersaison steile Karriere. Von den Ruhr-Nachrichten bis zur Süddeutschen Zeitung, vom Nordbayernkurier bis zum Schwarzwälder Boten - kein Medium, das auf sich hält, dass ohne die ehrfurchtgebietende Fachmetapher für den früher noch liebevoll als "leise rieselnd" bezeichneten Schnee auskommt.

Die Angst schneit mit. Die deutsche Unwetterzentrale gibt im Stundenrhythmus Starkschneefall-Warnungen aus, die staatliche Agentur dpa meldet "anhaltende Starkschneefälle", im Fachboard gute-frage.net bangen User begeistert mit: "Wie vorbereiten auf morgigen Starkschneefall und eisige Kälte?"

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12 Kommentare:

  1. Dann kommt ja wohl bald Starksonnenschein.

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  2. Genau. Deswegen habe ich aus lauter Vorfreude schon mal die Strandpantoffeln kaltgestellt.

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  3. Also, geschätzter ppq, da muß ich doch a bisserl protestieren!

    Kein Österreicher (für Schweizer wage ich nicht zu sprechen, da ich sie nicht verstehe) sprach je von "Starkschneefall" oder "Starkregen". Das sind (wenn sie im staatlichen Verblödungs-TV vorkommen) lächerliche Germanismen, die sich dann und wann auch ins Alpenland ausbreiten.

    "Starkregen" hieß in Österreich immer "Wolkenbruch" und heißt wohl noch immer so (wer vornehm tun will, kann u.U. von "wolkenbruchartigen Regenfällen" sprechen — aber das war's dann schon!).

    Starkschneefall hingegen ist mir als Terminus völlig unbekannt! Österreichisch wären "starke (oder "ergiebige") Schneefälle".

    Also, bitte, nicht jede Sprachverhunzung auf uns unschuldige Österreicher abwälzen! Wir tragen schon genug an dem Trauma der Besetzung durch Nazi-Deutschland ...

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  4. Okay, ein Nachschlag aus Wien:

    "Heftiges Schneegestöber" lasse ich mir auch noch einreden. Auch Warnungen vor Lawinen ("Schneebrettgefahr!") und Schneeverwehungen — aber "Starkschneefall": niemals!

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  5. geschätzter denker, wir arbeiten ja hier nicht mit gefühlen,. sondern mit unbestechlichen fakten vom größten tatort der welt! und die sagen eindeutig, dass - wie zuletzt damals, du weisst schon - das böse (wort, in dem fall) von euch hier herüber schwappte.
    erste urkundliche erwähnung war 2203 bei news.at, da wurde über starkschneefall in der schweiz berichtet.

    von dort aus hat sich die seuche dann ausgebreitet. ich bin darüber sowenig glücklich wie du, aber der ruhm der erstbesteigung des wortes, der gebührt einem dichter bei euch!

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  6. die tasten sind heute wieder sehr nah beieinander

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  7. Cher ppq,

    Mit bedauernder Entrüstung (bzw. entrüstetem Bedauern — wie auch immer) muß ich den Verdacht der Erstbesteigung des Starkschneefall-Gipfels von Österreich 2003 abwenden. Sie haben vermutlich nach dem Pluralwort "Starkschneefälle" gesucht, welchem Plural jedoch keinerlei genuin sprachschöpferische Bedeutung zukommt, denn das Wort wurde im Singular "Starkschneefall" bereits am 28.2.1999 (siehe hier) von MeteoSchweiz verwendet, woraus sich wohl mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein Schweizer Ursprung dieses Unwortes vermuten läßt, der über den von Ihnen zitierten News.at-Artikel bloß nach Österreich eingeschleppt wurde (ohne jedoch im Sprachgebrauch merkliche Folgen zu hinterlassen).

    Was mich angesichts des schweizerischen Idioms auch wenig verwundert. Einem Volksstamm, der von "parkieren" und "Vernehmlassung" spricht, ist auch die Kreation von "Starkschneefall" zuzutrauen. Q.e.d.

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  8. okay, dann nehmen wir das so zu den akten. urheber sind die schweizer und unsere steinbrücksche steuer-kavallerie hat es von dort eingeschleppt wie einst die pocken ins indianerland geschleppt wurden.

    news.at sollte geschichtlich keine rolle spielen, es geht ja, das weiß ich noch von "outbreak2, immer um den überträger, das ersttier oder wie das hieß. hab jetzt keine lust, das rauszusuchen

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  9. Zusammengefasst sind für winterliche Starkschneefälle zwei Faktoren unabdingbar: eine starke südliche Anströmung, die höhere θe-Werte (20◦C bis 30◦C)advehiert und somit viel Feuchte vom Mittelmeer an die Alpen staut, und starke Hebung.

    Siegfried Fink

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  10. das wäre aber vier jahre nach der ersten beurkundung durch google

    immerhin: die erste wissenschaftlich aufarbeitung

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