Montag, 13. Februar 2012

Auf dünnem Eis: Selbstmord auf Schlittschuhen

Grobe, menschenverachtende Fahrlässigkeit im Westen, sorgsame Betreuung der Bevölkerung im Osten. Am dritten Wochenende der durch zunehmende Klimaerwärmung verursachten Eiszeit in Deutschland hat sich das vor 21 Jahren wiedervereinigte Vaterland als weiterhin gespaltene Nation gezeigt. Kein tiefer Riss geht durchs Eis, doch eine Schlucht klafft zwischen dem verantwortungsvollen Umgang der Behörden in den neuen Bundesländern mit den nie dagewesenen Wetterunbilden und der Art, wie Beamte und Politiker in den alten Ländern mit dem eisigen Entsetzen Scherz treiben. (Foto oben links)

So trieb ein sensationshungriger Senat unter dem früheren Kurzzeit-Fastkanzlerkandidat Olaf Scholz rund eine halbe Million Hamburger auf die vereiste Außenalster. Bei "Deutschlands größter Wintersause" mussten sich Jung und Alt 15 Jahre nach dem letzten offiziellen Alstereisvergnügen als Schlittschuhläufer versuchen, Eishockey spielen oder sogar Kinder auf Schlitten über den 164 Hektar großen See mitten in der Stadt ziehen. Auch auf den Maschsee in Hannover wagten sich tausende Schlittschuhläufer und Familien mit Kinderwagen, nachdem die Stadtverwaltung den See freigegeben hatte, weil die dazu angeblich notwendige Eisdicke von 13 Zentimetern als erreicht gemeldet worden war.

Im Osten undenkbar. Hier haben Rathäuser und Ordnungsämter Übermut und Leichtsinn den Kampf angesagt. "Bei uns absolut tabu", heißt es in der Bundeshauptstadt, die für das gesamte Gebiet der früheren DDR Vorbildwirkung hat. Eine Polizeisprecherin: „Das Eis ist nicht überall tragfähig und unterschiedlich dick. Das Betreten kann unter Umständen lebensgefährlich sein.“

Eine Gefahr, die auch in Halle für Beunruhigung sorgt. Die große Angst: Tausende könnten sterben, wenn die Seen in der Stadt mit dem Segen der Stadtverwaltung zum Betreten freigegeben würden. In der letzten Woche erst rückten Experten der örtlichen Feuerwehr mit drei Fahrzeugen, zehn Leuten und einer Kettensäge an, um die Eisqualität am zentralen Fontänenteich zu prüfen. Das wohnzimmergroße Gewässer mit einer Tauchtiefe von 70 Zentimetern war bis dahin illegal von lebensmüden Eisläufer und Spaziergängern benutzt worden. Nachdem die entnommenen Laborproben aufwendigen Bruchtests beim Tüv und einem Auftau-Langzeitversuch unterzogen worden, gab es grünes Licht: Jetzt darf der Mini-See jeweils von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit betreten werden, ohne dass das Ordnungsamt empfindliche Bußgelder verhängt. Andere Gewässer in der Stadt bleiben tabu, nur Enten und auswärtige Besucher, die das Risiko unterschätzen, sind hin und wieder auf den vereist scheinenden Wasserflächen zu sehen (Foto oben rechts).

Fürsorge wird großgeschrieben, auch in Aschersleben, einem von den meisten früheren Einwohnern bereits vor Jahren verlassenen Flecken im der Nähe des etwas bekannteren Magdeburg. Wie in Köthen, wo am seit Wochen zugefrorenen Hubertusteich ein "Betreten verboten"-Hinweis Unbelehrbare vor dem Selbstmord auf Schlittschuhkufen bewahrt, blieben auch in der Polizeischuh-Metropole natürliche Wasserflächen wie die neue und die alte Tonkuhle für Schlittschuhläufer geschlossen. Dafür spendierte die von der letzten Landesgartenschau übriggebliebene Ascherslebener Kulturanstalt ein paar Steuergroschen, um eine Spritzeisbahn anzulegen. Das Geld reichte sogar noch, um ein Hinweisschild mit der Aufschrift "Betreten auf eigene Gefahr" anzubringen, das Menschen daran hindern soll, überraschend einzubrechen.

3 Kommentare:

  1. ha ha, wie treffend...

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  2. Tja, da hatte einer meiner westdeutschen Kollegen wohl keine Ahnung von ostdeutschen Bürgerschutzbefindlichkeiten. Der hat auf dem Plauer See erst kürzlich eigenhändig den Kettensägentest gemacht, und befunden, dass 30 cm Eisdicke ausreichend sind, um mit dem Jeep ein bissl Spaß darauf zu haben.

    Dagegen Fontänenteich? Ich brech' zusammen. :-D

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  3. Betreutes Leben eben, so wie es die Menschen hier im Osten gern haben.

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