Freitag, 4. Mai 2012

Menschenrechte, ein Sommermärchen

Woher kommt es nur, das fingerspitze Entsetzen, mit dem die politische Nationalelf ein ganzes Land in Beugehaft für die eigene Suche nach politischem Debattenstoff nimmt? An der Ukraine kann es nicht liegen, denn die war Sigmar Gabriel, Dirk Niebel und Angela Merkel jahrelang so herzlich egal wie früher Syrien, Ägypten, Tunesien oder Libyen. Geht es also um Julia Timoschenko, die ehemalige Energiekonzernmanagerin und ukrainische Präsidentin? Die nach dem Drehbuch des Sommermärchens 2012 als eine Art Robert Havemann der Ex-Sowjetrepublik in Haft sitzt, weil sie Schluss machen wollte mit Diktatur, Terror und Korruption?

Oder ist es gar der Fußball selbst, dessen Wirkmächtigkeit die Politschranzen magisch anzieht, weil sie wissen, dass auf den das Licht am hellsten fällt, der sich hier am frühesten tummelt? Und nicht dort, wo ein Wort gegen die Eishockey-WM im diktatorischen Weißrussland möglich wäre?

Unübersehbar – die Mischung aus Fußball, schwammigem Menschenrechtsbegriff und ferner Außenpolitik ist unwiderstehlich für jeden charakterschwachen Selbstdarsteller. Der neue Bundespräsident Joachim Gauck, ohnehin kein ausgewiesener Freund des Fußballsports, preschte voran, um eine politische Duftmarke zu setzen. Da Sigmar Gabriel ohnehin noch keine Karte für ein EM-Spiel hatte – woher auch, denn irgendeine Funktion, die ihn zum pflichtgeladenen Gast hätte machen können, bekleidet der nach wie vor amtierende SPD-Pop-Beauftragte nicht – fiel es ihm leicht, sofort im Anschluss an Gauck eine Einladung abzusagen, die ihn nie erreicht hatte. Seiner wohlfeilen Absage folgte eine wahre Welle an Boykotterklärungen, die die Vermutung nahelegt, dass ohne Boykott sämtliche Stadien in der Ukraine ausschließlich mit deutschen Politikern gefüllt gewesen wären.

Ein Sommermärchen 2012, ein Sommermärchen als Geschichte von Lug und Betrug, Ranwanzerei und ekligem Verantwortungsposen. 1964 regierte Franco in Spanien, die deutsche Nationalmannschaft aber fuhr fröhlich zur EM, die der Faschist organisiert hatte. 1976 fand die dann in Jugoslawien statt, dank Tito eine Diktatur reinsten Wassers. Man nutzte die Gelegenheit, um Brücken zu bauen über die Gräben des Kalten Krieges.

Dazu diente der Sport, egal, ob eine deutsche Fußballnationalmannschaft gegen die Vertretung der Militärdiktaturen in Griechenland oder der Türkei antrat oder gegen die Mannschaft einer Sowjetunion spielte, die die Familien der deutschen Kicker in jeder Spielminute mit dem Atomtod bedrohte. Nicht mehr so heute. Heute ist der Sport gerade gut genug, politischen Leichtgewichten die Aura von Weltpolitikern zu verleihen. Sie fechten gegen selbstausgedachte Feinde, gegen Phantome, denn die wehren sich nicht. Sie lösen Probleme, die selbst erst schaffen, denn die Gefahr, dabei zu versagen, ist gering.

Siehe, Volk, ich fahre nicht nach Kiew, also wird Kiew auch nicht sein, sagt Sigmar Gabriel, der stets weiß, wie sich gähnend leere Aufgeblasenheit als Größe verkaufen lässt. Eine Herrenmenschengeste, die umso mehr auffällt, wenn sie sich gegen einen Staat richtet, den Deutsche traditionell uneingeladen und ohne Visum bereisten. Die Gedankenwelt dahinter ist dieselbe geblieben: Kommen wir, ist das das Beste für die Ukraine. Kommen wir nicht, wollen wir auch nur das Beste. Kinder müssen erzogen werden. Andere Länder müssen sich nach dem deutschen Bilde wandeln. Aus der Lichtfolter, die Julia Timoschenko ertragen muss, wird eine Lichttherapie, wie sie Beate Zschäpe in ihrer Zelle ohne Aufpreis geboten bekommt.

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9 Kommentare:

  1. Das alles ist doch nur Nebelkerzenweitwurf. In Wirklichkeit traut sich Gabriel nicht in ein Land, das trotz Hyper-GAU vor der Haustür noch Atomkraftwerke betreibt.

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  2. Vielleicht erklärt die kleine Nebensächlichkeit, daß die gute Timoschenko dem "Auserwählten Volk"(c) angehört, die hiesige und weltweite Sensibilität für die Causa?
    Laut Thomson war es bereits zur Zarenzeit so, daß wenn ein krimineller Jude im hintersten Sibirien belangt wurde, die "Weltpresse" ein Riesengeschrei wegen angeblicher Judenpogrome entfachte. Die Erscheinung ist scheibar nix ganz Neues.
    Böse Menschen mutmaßen sogar, daß der Mossad hinter den jüngst explodierten herrenlosen Bömbchen. Das ist aber eine doofe Vermutung, denn sowas machen die nicht - höchstens mal Hakenreuze schmieren oder deutsche Politiker beseitigen. Aber das ist ja normal.

    Doch bevor ich's vergesse: Wofür sitzt Horst Mahler 12 Jahre im Knast? Wofür saß Ernst Zündel 7 Jahre? War das nicht die Erregung des sich beleidigt Fühlens der "Auserwählten"? Das ist natürlich viel schlimmer als etwas Wirtschaftskriminalität, also menschenrechtlich im grünen Bereich ...

    Kreuzweis

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  3. Nun - Frau Timoschenko hat gedealt, äh !!!, Entschuldigung verhandelt, mit einem russischen Energieriesen. Energiesicherheit gegen den strategisch wichtigen Zugang am Schwarzen Meer. Auf den Punkt gebracht, es ging um die Schwarzmeerflotte in Sewastopol und um eine Menge Kohle, welche ggfs. auch in Form von Beraterverträgen und/oder Aufsichtsratpöstchen beim Hauptsponsor von S04 vergolten werden. Dass sowas auch ohne Stress ablaufen kann, zeigt uns auf beeindruckende Art und Weise ein ExKanzler.

    Also kein Mitleid mit dem Rücken, Frau Timoschenko konnte sich noch nie richtig gerade machen.

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  4. Die weißen Angela Davis dürfte doch einen Boykott wert sein.
    Sie kämft für das Recht, sich maßlos auf Kosten des Vaterlandes maßlos zu bereichern.

    Oder anders gesagt, sie hat doch bloß geschrödert.

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  5. Kreuzweis, Du redest Unsinn.

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  6. ausgesprochenen unsinn, denn da entscheidet ja immer noch die mütterliche linie

    und wenn einer dann noch zum katholischen glauben übergetreten ist...

    die these von kreuzweis ist wirklich grotesker blödsinn. es kann doch jeder sehen, dass es der deutschen politik darum geht, mal plakativ ein feld zu bespielen, auf dem mit gratismut jede menge punkte gesammelt werden können. timoschenko ist denen so egal wie nur irgendwer - es geht um NRW und schleswig-holstein, um den nachweis von moral und tatkraft und um die selbstvergewisserung, dass man noch in der lage ist, themen auf die agenda zu setzen und die medien einem nachhecheln

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  7. @Anonym: Mahler und Zündel sind iirc Faschonazis, was willst du denn mit den beiden hier in der Diskussion vergleichend darstellen?

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  8. Frau Künast hat jedenfalls eine große Vision: Orange Schals als Reminiszenz an eben die Revolution. Mutmachendes Echo: Ein Nachbarland wird wie ein Mann...

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  9. er will damit sagen, dass es bei uns auch leute gibt, die aus politischen gründen im knast sitzen.


    nur dass timoschenko ja aus ukrainischer sicht so wenig politische gefangene ist wie mahler aus deutscher

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