Donnerstag, 11. Juli 2013

Fremde Federn: Das System Spiegel

"Die Frage nach ihren persönlichen Leitmedien und denen ihrer Redaktionen beantworteten die Herren, wenn auch mit Argwohn, fast einhellig", notiert Stefan Gärtner in einem fundamentalen Erklärstück zu Rolle und Bedeutung des ehemaligen Nachrichtenmagazins für den Journalismus im Netz. "Spiegel online" sei "bei den meisten unserer Redakteure noch Startseite, gibt der Chef von Sueddeutsche.de zu. "Für viele Leute ist diese Website das Maß aller Dinge", sagt der Redaktionsleiter von Tagesschau.de.

Die Verengung des Blicks auf die Welt hat in der Tat einen Namen, denn die Netzausgabe des "Spiegel" ist es, die im Deutschland dieser Tage Richtung und Temperatur aller Berichterstattung vorgibt. Sarrazins - "krude Thesen" - eine Spiegel-Formulierung. NSU - Dönermorde? Eine Beschreibung, die der "Spiegel" erst popularisierte, um sich anschließend angewidert von allen abzuwenden, die sie benutzten. Jakob Augstein schreib bei Spiegel online die Kolumnen, die ihm das Simon-Wiesenthal-Center anschließend als antisemitisch um die Ohren schlug. Der "Spiegel", der sie veröffentlichte, entging dem Verdacht, als Mitstörer des Weltfriedens zu haften.

Wie machen die das nur? Woher kommt diese Meinungsmacht? Stefan Gärtner glaubt, es ermittelt zu haben. "Chaotische Verwaltung: Griechenland überweist toten Rentnern Geld", "Nato-Einsatz in Afghanistan: Die Stimmung kippt", "Merkel bei Obama: Außen Ehre, innen Leere", "Exklusiver Kochtip: Spiegelei für reiche Söhne und Töchter" lauteten einige der streng dem Sensations-, Exklusivitäts- und Nannenschen Wundertütenprinzip verpflichteten Schlagzeilen. "So altmodisch kann keiner sein, derlei hybride Infosträuße in unseren kommunikationsbewegten Zeiten nicht als vorbildlich zu erkennen."

Denn Netzjournalismus, sofern er aus wirtschaftlichen Gründen und mit Blick auf Breitestwirkung betrieben wird, sei nicht irgendein Abfallprodukt für die Generation Smartphone, für das ihn der Qualitätszeitungsleser immer noch halten mag. "Er ist, ganz im Gegenteil, Destillat, die Essenz von Journalismus als Geschäft". Dessen Prinzip habe Hermann L. Gremliza vor dreißig Jahren so beschrieben: »Der Wettbewerb um die Gunst der Konsumenten zwingt die privatwirtschaftlichen Medien, alles zu unterlassen, was die Instinkte und Vorurteile der Leser, Hörer und Seher stören könnte. Ja, um gar kein Risiko zu laufen, müssen sie immer noch ein Stück tiefer ansetzen. Axel Springer sieht das schon ganz richtig: Wer in diesem Business Erfolg haben will, darf nicht belehren, aufklären, fragen – er muß unterhalten, bestätigen, verdummen."

Inzwischen könne Springers Bild mit der SEO-optimierten Virulenz von "Spon" schon nicht mehr mithalten: Nicht nur sind die Zeiten, als Bild über die Grenzen ihrer Kernleserschaft hinaus als cool und zeitgeistig galt, vorbei; auch war Bild nie Vorbild. Das Neue, im Grunde Perfidere am Netz-Spiegel ist seine Rolle als Nachrichtensender, die als Draperie fürs kundenbindende Remmidemmi dient ("Logbuch al-Qaida: Showdown im Apfelgarten") und Imageprobleme kleinhält.

Anders als Springers Kettenhund nicht im Schmuddeleck angepflockt, hat "Spon" mit demselben Crossover aus Sex, Crime und Politik ("Türkischer Wahlkampf: Sexvideos und Größenwahn") paradigmatisch werden können: Nichts hat der allgemeinen Sensationitis und Boulevardisierung im Preßbereich so den Boden bereitet wie die Kopplung des Nimbus vom ewigen Nachrichtenmagazin ans sexy Atemlose des Netzmediums.

Und so gilt der erste Blick des Qualitätszeitungsredakteurs am Morgen der Spiegel-Seite, und da ein Qualitätszeitungsredakteur von dem lebt, was man ihm vorbetet, dauert es nicht lang, und alles klingt, wie es klingen muß, wenn sich eine Schule erst einmal etabliert hat. "Die Parole ersetzt das Komplexe, das Schlagwort die Analyse" (Gunnar Schubert) – die Konsequenz, mit der "Spon" aus den immergleichen Krawallvokabeln (drastisch/dramatisch/extrem/bizarr/Debakel/Desaster/Chaos/Kollaps) montiert wird, hat geradezu konstruktivistischen Charme ("Die Warnungen klangen dramatisch – doch das Benzin-Chaos zu Ostern blieb aus"), und auch hier liegt das Verhängnis in der Reichweite: Denn die Profis bei der Konkurrenz, die, wenn sie "Zicken-Zoff" schreiben, das noch als augenzwinkernden Rekurs aufs Boulevardgeblödel verstanden wissen wollen, sind i.a.R. dann ja doch zu doof, die subtileren Signale schlechten, weil manipulativen Journalismus zu erkennen und vielleicht ausnahmsweise mal nicht zu kopieren.

Also wird nach Kräften nachgeplappert und mitgehämmert, und es ist, je nach Perspektive, entweder spaßig oder niederschmetternd, wie in bspw. der Süddeutschen Zeitung, seit "Spiegel online" auf Sendung ist und den Takt vorgibt, alles zum dramatisch Drastischen drängt, ob es nun um Ehec-Gurken, Vergewaltigungsprozesse oder Internetverkehr geht: Da hat Sony seine Sicherheitssysteme "drastisch verbessert" (mit dramatisch großen Vorhängeschlössern womöglich), Zuschüsse für ungewollt kinderlose Paare sind »drastisch zusammengestrichen worden« (statt das Zusammenstreichen zur Abwechslung mal undrastisch, ja sensibel anzugehen), und wenn die Geburtenziffern sinken und statt zehn Blagen nur mehr neun geboren werden, ist das, je nun, ein "drastischer Geburteneinbruch".

Neben der semantisch-syntaktischen Verknappung ("Westen hadert mit Ägypten-Umsturz") ist die Personalisierung das zweite bewährte Boulevardinstrument, das bei "Spon" selbst dann für gute Laune sorgt, wenn die infektiöse Kacke am Dampfen ist: "Bahrs Ehec-Krisenmanagement: Verseucht, verheddert, vermurkst" – nicht nur "die alte journalistische Untugend des Überschriften-Stabreims" (Stefan Niggemeier), die "Spon", in ironischer Dialektik, als Markenzeichen versteht ("König Klose kapituliert"), zieht aller Glaubwürdigkeit sofort den Stecker, auch die Verengung eines komplexen Sachverhalts zu einer Skandalgeschichte mit einer prominenten Hauptperson ist bestes Unterhaltungshandwerk. "Der Feind im Essen", titelt der "Spiegel", die Nation fragt sich: Was können wir noch essen?

Natürlich hat Bahr darauf keine Antwort, das wäre auch zu viel verlangt von ihm. "Aber das Gefühl drängt sich schon auf, daß der FDP-Politiker – Amtszeit knapp ein Monat – in der Ehec-Krise ein bißchen überfordert ist" – da müssen sich die Redakteure schon gar keine Mühe mehr geben, die Fadenscheinigkeit des Anwurfs zu verhehlen: Es reicht, wenn sich ein Gefühl aufdrängt, daß der Herr Minister ein bißchen überfordert ist, und interessierte Kreise, die diesen Verdacht gern bestätigen. "Das Krisenmanagement von Gesundheitsminister Bahr ist wenig überzeugend", findet Thomas Oppermann, Fraktionsgeschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Im Rest des Artikels kommt der Minister dann kaum noch vor. Egal, seinen Auftritt als Türöffner und Watschenaugust hat er ja gehabt.

Einen Tag drauf »rechnet Europa mit deutschem Krisenmanagement ab«: "EU-Politiker beschweren sich massiv über den Umgang der deutschen Behörden mit Ehec, vor allem das Hickhack zwischen Bund und Ländern empört die Volksvertreter." Und tatsächlich, es war ein Strafgericht: »Was in Deutschland fehlt, ist aus Sicht vieler EU-Parlamentarier eine klare Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern. In den USA gebe es eine zentrale Seuchenbekämpfungsbehörde in Atlanta, sagte die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms…

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt prangerte im Europaparlament ein "Kommunikationschaos" in Deutschland an. Ihr Fraktionskollege Jo Leinen fand es "inakzeptabel, daß man drei Wochen nach Ausbruch der Krise immer noch nicht weiß, woher der Erreger kommt".

Dies also die massive Abrechnung eines empörten Europas nach dem System "Spiegel": Namenlose Parlamentarier und eine halbe Handvoll deutsche Hinterbänkler, die Opposition markieren – besser weiß auch Bild nicht, wie man aus einer dürren Agenturmeldung einen Knaller macht.

Aber zum postmodernen Leitmedium gehört eben jene Bereitschaft zum Spektakel, das Aufklärung ans tautologische, im engen Sinne bedeutungslose Gelärme verrät; der Verdacht liegt nahe, daß dieses simulatorische Sperrfeuer der eigentliche Zweck der sog. Informationsgesellschaft als Endlosquatschschleife ist – kein Zufall, daß die adjuvanten Will, Maischberger und Plasberg von "Spon" stets mit ausführlichen Fernsehkritiken bedacht werden.

Der alte Print-Spiegel glaubte immerhin noch daran, "Sturmgeschütz der Demokratie" zu sein; unmöglich zu sagen, was sein virtueller Ableger als "postdemokratische" (Enzensberger) Hirnwaschmaschine noch wollen können sollte, als die gängigsten Axiome der Kulturkritik von Kraus über Adorno/Horkheimer bis Guy Debord stündlich frisch zu illustrieren: »Die durch das Spektakel prinzipiell geforderte Haltung ist diese passive Hinnahme, die es schon durch seine Art, unwiderlegbar zu erscheinen, durch sein Monopol des Scheins faktisch erwirkt hat. Im Spektakel ist das Endziel nichts, die Entwicklung alles. Das Spektakel will es zu nichts anderem bringen als zu sich selbst, und es unterliegt keinem Zweifel, daß kein Medium in Deutschland in diesem Sinne spektakulärer ist als "Spiegel online".

8 Kommentare:

  1. Spiegel Online: Journalismus leidet unter drastischem Qualitätseinbruch

    Achje, Qualitätseinbruch hat zuviele Silben, da muss ich nochmal drübergehen

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  2. "Für viele Leute ist diese Website das Maß aller Dinge" Zitat aus Text.
    Mittlerweile lügen selbst die Medien-Huren, und reden sich tatsächlich ein, dass sie ach so wichtig sind. In der Tat und Wahrheit verlieren sie Leser noch und noch, und können nur überleben weil hinter der Zeitung die NWO-Elite steht die diese Zeitungen finanziert. Aber die Menschen haben das Verhalten der Zeitungen schon durchschaut.

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  3. Jaja, der Speichel, diese Monstranz der bundesdeutschen Möchtegern-Intellektuellen, wie ostentativ sie herumgetragen, auffällig unauffällig heraushängen gelassen wurde. –
    Um den Ewiggestrigen, den Ver-BLÖD-eten, Verführten, der dummen Plebs eben, zu zeigen, dass man zu den Überlegenen, den Durchblicker_Innen , den Geläuterten, den Faschismusresistenten, den Progressiven gehört.
    Durch die finale Post-WK-II-Antinazi-Dekontamination war man ja für alle Zukunft gegen Irrtum und Rattenfängerei immunisiert. – Speichel und seine „progressiven Mitkämpfer“ avancierten daher zu Organen allesdurchschauender Erkenntnis, zu Sprachrohren unbestechlicher Wahrheiten.

    Und nicht nur für beinahe unfehlbar hielten sie diese Möchtegerns mit ihrer mächtigen Zauberwaffe „Speichel“, sondern auch auf hohe moralische Rösser schwangen sie sich, alles was ihr neuer Katechismus nicht absegnete, zu diffamieren und zu verteufeln.
    Auch was zu bejubeln und zu vergöttern war, flüsterte ihnen ihr Hochglanz-Pamphlet ein. –
    Es spendete ein selbstgefälliges, elitäres Wir-Gefühl, diese Angehörigkeit einem Kreis von „Mehr/Besser-Wissenden“, „moralisch Überlegenen“.

    Und wie gefielen sich die Schreiberlinge in ihrer Süffisanz, in ihren stilistischen Masturbations-Exzessen, in ihren hochmütigen Schwurbel-Orgien, Fakten und Realität in solch narzisstischer Gefallsucht immer geringer schätzend.


    Ano-Nymus

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  4. Der vernünftige Umgang mit „Presse“ oder gar „Qualitätspresse“ geht so:

    Keine gedruckten Exemplare kaufen, und sich die Stichworte aus dem (deren) Netz holen.

    Beispiel: In der arabischen (moslemischen) Welt brodelt es und es wird demonstriert. Es gibt Tote. Dann im www. recherchieren, Blogs (egal welcher Richtung) lesen und sich so den Fakten nähern. Fakten heißt in diesem Falle, sich des Prinzips Ursache und Wirkung zu erinnern. Die dann gewonnenen Erkenntnisse mit den „Qualitätsmedien“ abgleichen. Wenn die eigenen Erkenntnisse merklich von jenen der „Qualitätspresse“ abweichen, weiß man ganz sicher, wer wen und warum belügt. Man wird erheblich resistenter.

    Das gilt auch besonders für andere religiös besetzten Themen und „Tatsachen“, wie Klima, Energie und „Integration“ .

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  5. lese seit 200 jahren keinen spiegel mär

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  6. Dagegen hilft nur eins Umverteilung er Demokratieabgabe. Danach wird dann alles Gut.

    Diese Journalisten einigt nur eins, Sie sind die "Kenner" alles andere diejenigen die man "belehren" muß. Das stößt offenbar immer mehr Leuten ganz sauer auf.

    Die Zeitungen und Zeitschriften die man heute noch lesen kann, lassen sich an einer Hand abzählen - selbst da muß man dem "Allgemeinwissen" Tribut zollen. Sie wissen schon Weltuntergang wegen Klima, Europauntergang wegen Euro usw....

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  7. Habe gerade den Artikel zur EEG –Umlage auf Spiegel-Online gelesen (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/eeg-umlage-rekordzahl-an-firmen-wollen-oekostromabgabe-umgehen-a-910720.html)
    Unter 304 Leserbriefen taucht nicht ein einziges mal der Begriff „Steuerinzidenz“ auf, der diesen Artikel mit einem Wort erledigt. Dass die Redakteure des SPONSTÜRMER arme junge sozialismusgläubige Deppen sind, wie die Jugend in Moskau 1937 oder in Deutschland 1937 kann ich ja noch verstehen... Aber vor den debilen Lesern des SPON kann einem Angst und Bange werden...

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  8. "Hermann L. Gremliza ... er muß unterhalten, bestätigen, verdummen."

    Was ich an Gremliza schätze ist, daß er einen Mäzen gefunden hat, der ihm seine Volksverhetzung ordentlich bezahlt.

    "Daß die Redakteure des SPON ..." korrupt sind und nur Anweisungen folgen, sollte klar sein. Daß es zum "Businessplan" gehört, ab und an Linkismen einzustreuen, weil man sonst den Einfluß auf die ins Auge gefaßten Lesergruppen verliert, sollte auch klar sein.

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