Mittwoch, 12. März 2014

Edathy: Ein misslicher Prozess der Isolation

"Es muss für Einbürgerung geworben werden" - Ein Gespräch von Sebastian Edathy mit Sebastian Edathy, SPD-Politiker, entdeckt von Eulenfurz. Ein satirischer Beitrag, dem Clowns und Kabarettisten nichts hinzuzufügen haben.

Als Sohn eines indischen Vaters und einer deutschen Mutter wurde Sebastian Edathy 1969 in Hannover geboren, dort studierte er Soziologie und Deutsche Sprachwissenschaft. Von 1990 bis 1993 war er Mitarbeiter der niedersächsischen SPD-Landtagsabgeordneten Bärbel Tewes und von 1993 bis 1998 persönlicher Referent des Bundestagsabgeordneten Ernst Kastning (SPD). Edathy ist seit 1998 ist Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Nienburg II/Schaumburg und seit November 2005 Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Der 37-Jährige ist ledig.

Wenn ich meinen Namen sage, höre ich oft als Reaktion „Oh, das klingt aber nicht deutsch, wo kommen Sie denn her?“. Herr Edathy, passiert Ihnen das auch, wenn Sie sich mit ihrem Nachnamen vorstellen?

Ja. Diese Frage ist mir nicht unbekannt. Ich habe übrigens meinen Nachnamen ändern lassen, der war ursprünglich länger. In meiner Familie wurde, so lange ich mich erinnern kann, aus praktischen Gründen die Kurzversion verwendet, in meinen Dokumenten stand aber Edathiparambil. Vor meiner ersten Bundestagskandidatur habe ich den Namen so ändern lassen, dass seither die Gebrauchsform mit der gesetzlichen Form übereinstimmt. Von Teilen der Presse meines Wahlkreises wurde ich deswegen kritisiert, es wurde mir vorgeworfen, dass ich mich von der indischen Herkunft des Familiennamens distanzieren wolle. Das ist völliger Unsinn. Edathy klingt nach wie vor nicht wie Müller und Schmidt, es ist aber einprägsamer und eben auch die Form, die in meiner Familie verwendet wurde.

Verwunderlich ist es schon, dass mit fremd klingendem Namen sogleich assoziiert wird, dass der Namensträger kein Deutscher ist...

Es ist leider so, dass dieses Land im Prozess der Anerkennung seiner Vielseitigkeit noch nicht soweit vorangeschritten ist, wie ich es mir wünsche. Ich denke, dass es zwar Fortschritte gibt, aber durch das lange Festhalten an einem Nationalstaatskonzept, das überwiegend biologistisch geprägt gewesen war, ist eine Scheuklappenwahrnehmung vorhanden. Menschen, die nicht weiß sind, die nicht einen klassisch-deutschen Nachnamen haben, werden zunächst einmal als nicht-dazugehörig betrachtet. Es ist hoffentlich eine Frage der Zeit, dass sich diese Haltung ändert. Über polnischstämmige Nachnamen macht sich heute kaum jemand Gedanken, das wird nicht mehr thematisiert. Einer der reaktionärsten Politiker im Bundestag war jahrelang Erwin Marschewski. Er hat familiäre Wurzeln in Osteuropa, war aber ein scharfer Kritiker der Zuwanderungspolitiker und der Ansicht, dass wir kein Zuwanderungsland sind. Ich fand das stets skurril. Deutschland ist vielseitiger als Teile seiner Bevölkerung sich einzugestehen bereit sind.

Wie wirkte und wirkt sich das beschriebene gesellschaftliche Klima für Sie persönlich aus?

Natürlich war das für mich mit Folgen verbunden; ich befand mich schon im relativ jungen Lebensalter in einer Position, in der ich sozusagen mein Hier- und Deutschsein begründen musste. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich aus einer privilegierten Familie stamme und recht behütet aufgewachsen bin. Mein Vater ist Akademiker und war evangelischer Gemeindepfarrer. Ich bin überzeugt, dass das Ausmaß der Diskriminierung in einem sehr direkten Zusammenhang steht mit der sozialen Situation. Ich glaube, daß man mit dem Kind eines türkischen Arbeiters anders umgeht als mit dem Kind des örtlichen Pastors – auch wenn der in Indien geboren wurde.

Hat das nicht auch damit zutun, dass ein Kind aus einer akademischen Familie ein anderes Selbstbewusstsein hat und die Diskriminierung an ihm abprallt?

Das spielt sicherlich auch eine Rolle. Stigmatisierung ist ein sehr vielschichtiger Sachverhalt und die Ausgrenzung von Menschen, die in mehrerer Hinsicht Minderheitenmerkmale aufweisen, findet viel häufiger statt. Das ist auch sozialwissenschaftlich nachweisbar. Aber auch „Diskriminierung light“ ist verletzend.

Daran möchte ich mit einer Frage zu Kindern aus Einwandererfamilien anknüpfen. Eine Vielzahl der Jugendlichen fühlt sich diskriminiert, entwickelt daher eine Abneigung zu diesem Land und hat Probleme, sich mit diesem Land zu identifizieren. Welche Politik ist notwendig, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Ein erster Schritt wäre, mit klaren Signalen deutlich zu machen, dass diese Jugendlichen Teil der Gesellschaft sind. Deutschland ist auch ihr Land. Wenn Jugendliche wegen der Herkunft ihrer Eltern oder Großeltern den Eindruck haben, dass sie nicht auf Augenhöhe behandelt werden und Misstrauen gegen sie besteht, dann kann es zu einem sehr misslichen Prozess der Isolation kommen... etwa, dass sich diese junge Menschen auf Dinge berufen und zur eigenen Identität erklären, die möglicherweise gar nichts mit der eigenen Person zutun haben, sondern eher mit der Fremdzuschreibung durch Außenstehende. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Untersuchung hinweisen, die unter der Federführung von Norbert Elias in Großbritannien stattfand und 1965 dort erstmals veröffentlicht wurde; Quintessenz der empirischen Studie unter dem Titel „Etablierte und Außenseiter“ ist, dass dort, wo machtschwächere Gruppen durch machtstärkere Gruppierungen ausgegrenzt und zur Minderheit erklärt werden, die Wahrscheinlichkeit wächst, dass diese Gruppen sich selber auf die ihnen zugeschriebenen Attribute zurückziehen. Für eine Demokratie ist das eine unzuträgliche Entwicklung.

Was wäre denn eine positive Entwicklung?

Ein erster Schritt gegen diese Ausgrenzung wäre das Ausweiten des kommunalen Wahlrechts auch auf die Bewohner, die nicht EU-Bürger sind. Die politische Beteiligung vor Ort ist das mindeste, was sichergestellt werden muss.

Die Einbürgerung ist doch der Weg zur politischen Partizipation...

Natürlich. Es ist für die Demokratie auf Dauer nicht gut, wenn es Bürger erster und zweiter Klasse gibt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft nicht ein Gnadenakt ist zugunsten derer, die eingebürgert werden, sondern es ist im Interesse der Gesellschaft insgesamt. Gleichstellung ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für Integration. Auch das ist in der Sozialwissenschaft unbestritten. Die Identifizierung mit der Gesellschaft setzt erst dann voll ein, wenn auch die formale Gleichstellung gegeben ist.

Dazu gibt es in Deutschland eine ganz andere Meinung dazu. Für die Union kommt die Einbürgerung erst nach der gelungenen Integration...

Ich teile diese Einschätzung nicht, ich teile aber auch nicht die Einschätzung, dass die Einbürgerung ohne jegliche Integrationsvoraussetzung erfolgen sollte. Auf dem Integrationsweg sollte aber die Einbürgerung ein wesentlicher Meilenstein sein. Dieser Schritt sollte nicht am Anfang und auch nicht am Ende des Prozesses stehen, sondern sich vernünftig einfügen. Deswegen kommt es auch ganz entscheidend darauf an, die Voraussetzungen für die Einbürgerung so zu gestalten, dass die Betroffenen nicht den Eindruck bekommen, dass es darum geht, Einbürgerungen möglichst zu vermeiden.
Es muss zudem ein zentrales Anliegen sein, hier geborene Menschen, die formal als Ausländer gelten, formal Deutsche werden zu lassen. Faktisch sind sie es ja längst. Es muss ein faires Verfahren für Einbürgerungen gelten, und es muss auch für Einbürgerungen geworben werden.

Wie könnte dieses Werben aussehen?

Die Bundeskanzlerin hat im Sommer 2006 zu einem Integrationsgipfel eingeladen, meiner Ansicht nach müssen die aus diesem Gipfel hervorgegangenen Arbeitsgruppen konkrete Ergebnisse liefern. Und ein solches Ergebnis könnte ein öffentlicher Aufruf zur Einbürgerung sein, in der sich die Bundeskanzlerin persönlich einbringt und auf die Vorteile hinweist – nämlich gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein, in der man lebt. Ich wünsche mir dabei mehr als das Drucken von Plakaten.
Die Bundesregierung könnte eine Einbürgerungskampagne initiieren. In den örtlichen Behörden sind die dafür notwendigen Daten vorhanden. Die entsprechenden Informationen darüber, welche Ausländer wie lange in Deutschland leben und wer mutmaßlich einen Anspruch auf eine Einbürgerung hat. Diese Personen könnten angeschrieben und darauf hingewiesen werden, dass sie sich einbürgern lassen könnten und dass man sich darüber freuen würde, wenn sie es täten. Die öffentliche Debatte wird oftmals mit einem anderen Unterton geführt; ich bin überzeugt davon, dass wir nicht zu viele, sondern viel zu wenige Einbürgerungen haben.

Migrantenorganisationen sehen in der bevorstehenden Gesetzesänderungen ein Signal dafür, dass Einbürgerung gar nicht erwünscht ist...

Das gesellschaftliche Klima für dieses Thema könnte besser sein; eines der großen Probleme im Bezug auf die Selbstdefinition dieser Gesellschaft ist meines Erachtens die sehr bruchreiche deutsche Geschichte. Im europäischen Vergleich ist die deutsche Nationalstaatsbildung sehr spät erfolgt, sie hat sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzogen, und man hat zur Definition einer gemeinsamen gesellschaftlichen Grundlage das Prinzip der Abstammung erhoben. Das ist ein auf ethnischer Exklusion basierendes Konzept gewesen, das sehr lange gegolten hat und vollends pervertiert worden ist in der Zeit des Nationalsozialismus, und von dem man sich nicht wirklich endgültig getrennt hat bis zur Reform des Staatsbürgerschaftsrecht unter der rot-grünen Bundesregierung. In vielen Köpfen besteht noch dieses Bild der ethnisch-homogenen Gesellschaft als nationalstaatliches Modell vorhanden. Das ist nicht nur jetzt, sondern seit mehr als 100 Jahren nicht mehr kongruent mit der Realität in diesem Land. Ein Modell, das zudem potentiell undemokratisch ist und auf einer hochproblematischen Fiktion beruht. Wenn Vielfalt in unserem Land teilweise eher als Risiko denn als Chance und Bereicherung betrachtet wird, dann hat das viel mit dieser langen Linie eines vormodenen Nationalstaats-Denken zu tun. Mit Blick auf das Thema Einbürgerung heißt das: Es darf nicht so sein, dass das Einbürgerungsverfahren zum Spießrutenlauf degeneriert. Darauf wird die SPD auch sehr stark achten. Ich habe kein Problem damit, dass der Nachweis von Deutschkenntnissen, der ja Bestandteil des geltenden Rechts ist, länderübergreifend standardisiert wird. Es ist sehr vernünftig, dass es ein gemeinsames Verfahren gibt, egal ob man sich in Schleswig-Holstein oder in Baden-Württemberg einbürgern lässt. Das schützt die Einbürgerungswilligen nicht zuletzt vor einzelstaatlicher Willkür. Die Frage ist, wie hoch werden die Anforderungen geschraubt. Die Diskussion um die Vorstrafen ist nicht abgeschlossen. Sicherlich ist es sinnvoll, dass einschlägig vorbestrafte Personen nicht eingebürgert werden. Das darf aber nicht dazuführen, dass aufgrund zurückliegender Ordnungswidrigkeiten die Möglichkeit zur gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe verneint wird. Meiner persönlichen Meinung nach ist kein Einbürgerungstest notwendig. Die bisherigen Voraussetzungen sind völlig ausreichend, die Hürden sind hoch genug. Wenn man aber der Auffassung ist, neben dem bereits jetzt obligatorischen Bekenntnis zur deutschen Verfassung, die Kenntnisse über die Grundzüge der demokratischen Struktur der Bundesrepublik prüfen zu wollen, dann wird die Frage nach der Ausgestaltung eines Tests noch zu klären sein.

Ich stelle eine große Angst davor fest, dass falsche Personen zu deutschen Bürgern werden könnten...

Meine Partei teilt diese Position nicht, wir haben in der Oppositionszeit und auch nach 1998, als wir die Möglichkeit hatten, die Gesetzgebung zu gestalten, für die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts geworben. Das Thema Integration ist seit langer Zeit ein wichtiges Thema für die Sozialdemokratie, weil wir wissen, dass Demokratie nur wirklich richtig funktioniert, wenn Ausgrenzung und Diskriminierung überwunden werden. Deswegen ist es uns ein wichtiges Anliegen, dass Menschen, die auf Dauer hier leben, nicht nur als Nachbarn, sondern auch als deutsche Staatsbürger willkommen sind. Wir brauchen keine Politik der geballten Faust, sondern eine der ausgestreckten Hand.

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