Freitag, 26. September 2014

Cover des "Spiegel": Erlesene Scheußlichkeit

Der „Spiegel“, oder was von dem Magazin noch übrig ist, legt ein neues Heft vor, aus Artikeln, die noch vom letzten übrig waren. Bisher ist den meisten deutschen, die das ehemalige Nachrichtenmagazin nicht lesen, wenig mehr als das Cover von "Ebola - Die entfesselte Seuche" bekannt - es lässt Schlimmes befürchten.

Es ist, als würde sich plötzlich die große Liebe unseres Lebens wieder melden. Um einen letzten Besuch bei uns anzukündigen. Wird sie noch einmal jene sinnlichen oder intellektuellen Reize entfalten, mit denen sie uns einst den Kopf verdreht hat? Oder wird sie noch immer so öde und aufgeschwemmt sein wie bei unserer letzten echten Begegnung vor 20 Jahren? Wir sind gespannt. Und weil unsere große Liebe das weiß, schickt sie freundlicherweise eine Postkarte voraus. Damit wir uns einen Eindruck machen und vorfreuen können. Mit zitternden Händen öffnen wir also den Briefkasten - und können es nicht fassen. Wir sehen eine Collage aus den Gesichtern Toter mit dem Spruch „Stoppt Putin“. Oder in die Frage „Wie schädlich ist Pornografie?“. Eine springende Frau, die für funktionierende Gelenke wirbt. Etwas über einen neuen Staat in Europa, der angeblich „Erdogan“ heißt.

All diese Motive zusammen erzeugen nicht annähernd eine so brechreizende Bestürzung wie das Cover der letzten Ausgabe des „Spiegel“. "Ebola“ erschien am 22. September. Sofort prangte das Cover an allen Bahnhofsbuchhandlungen und Zeitungskiosken. Als U2 kürzlich für geschätzte 100 Millionen Dollar ihr neues Album an Apple verkauften, damit der Konzern seine Kundschaft damit zwangsbeglücken konnte, war das eine soziale Zudringlichkeit, mehr nicht. Das Cover von "Ebola" aber ist eine ästhetische Katastrophe.

Alle Welt Ü40 schaut hin. Und dann das, dieser Tritt in die Magengrube. Ein traurig schauender, augenscheinlich schwarzer Mann mit Maske prangt über einer baktierologisch offenbar verseuchten Ebola-Schrift. Die wiederum wächst aus einer Art Atom-Lichtblitz, der sich von einer in Ausschnitten gezeigten Erdkugel nach oben ausbreitet. Der halbvermummte Mann könnte Arzt sein, oder, darauf deuten seine toten Augen, ein Ebola-Opfer. Es könnte aber auch der Typ vom Cover der Pink-Floyd-CD "Momentary Lapse of Reason" sein. Oder ein Taucher, das lässt seien Tauchermaske vermuten. Wer sich niemals mit dem Gedanken trug, einmal eine Boden-Luft-Rakete abzufeuern - der wünscht es sich spätestens beim Anblick der „Spiegel“-Homepage. Man klicke sie auf eigene Gefahr an, denn dort ist das Grauen auf die Spitze getrieben: "Ebola - Gefahr für den Weltfrieden“ steht da. Als gäbe es Weltfrieden.

Wie kann etwas bedroht sein, das nicht existiert? Der „Spiegel“ krümmt sich um eine Antwort. Auch ästhetisch erinnert seine Aufmachung an die frommen Illustrationen im "Wachturm", an die Plakate einer Pferderevue wie "Apassionata" ("Zeit für Träume"), an Szenen aus "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" - und leider auch an besonders missratenes Artwork von Pink Floyd, man denke nur an die kommende CD " "The Endless River". Zuständig für die meisten und meistens bahnbrechenden Cover dieses Magazins sind unbekannte Designer, die immer wieder Erstaunliches produzieren. Eine Oma als Mutter. Ein Bundestrainer mit Kriegsbemalung. Hitler. Hitler. Oder Hiler. Ein vermummter Scharfschütze über brutalistischem Gewehr. Ein paar Dutzend echte Tote auf dem Cover. Keine Spezialeffekte, kein Photoshop, keine optischen Tricks - echtes, großes, ikonisches Theater.

Was aber hat den „Spiegel“ - also Chefredakteur Büchner und seine Ehefrau - geritten, dermaßen tief ins Klo zu greifen? Instinktlosigkeit? Müdigkeit? Die Erkenntnis, dass ein langweiliges Produkt ein esoterisches Design braucht, wie sich auch moderne Modelle von Jaguar oder BMW am Geschmack chinesischer Parteibonzen, russischer Oligarchen oder afrikanischer Despoten orientieren?

Vielleicht war es ja britischer Humor. Gewiss, es lässt sich der Anblick des "Spiegel"-Titels in seiner erlesenen Scheußlichkeit schwerer von der zerebralen Festplatte löschen als das kostenlose U2-Album aus der Mediathek. Ohnehin könnten die Erwartungen an Nachrichten niedriger kaum sein, die weitgehend auf Skizzen verworfenen früherer Weltuntergangsnachrichten (Ebola 2011, „Das Weltvirus“, 2009 , „Der Irre und die Bombe“, 2005 beruhen.

Vielleicht ist eben deswegen noch Hoffnung, dass uns die große Liebe nur einen Streich gespielt hat. Dass es irgendwann einmal wieder echte Nachrichten geben wird, Kommentare, die gegen den seichten Konsens wettern, und einen Puls, der hochgeht, während man liest, wie es sich wirklich verhalten hat, als Obama zu den Waffen rief und die deutschen Offensivkräfte in der Türkei hängenblieben wie einst Rommel vor El Alamain. High Hopes, gewiss.

Diesmal aber ist schlechterdings keine Nachricht denkbar, die das erzählt, wonach dieses Cover aussieht.

10 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Oh my God - Meine Verehrung und Verneigung. Für so viel Wut um Bauch hatte es bei mir nicht gereicht.

    Wieso darf man bei Google nur ein Plus drücken statt derer 10?

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  3. "Der „Spiegel“, oder was von dem Magazin noch übrig ist ..."

    Ich verwende seit geraumer zeit den Begriff *Illustrierte*.

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  4. Diese spiegelfeindliche Hetze gefährdet den ohnehin schon brüchigen Weltfrienden.

    Herzlich
    Ihr Günter (Nobelpreis!!! und ihr nicht!)

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  5. wir sind alle weltfriends!

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  6. herold: das patent auf "illustrierte spiegel" haben wir!

    illustrierte spiegel 2007

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  7. Da denkt ihr wohl, ihr habt mich erwischt! Den großen Nobelspreisträger!
    Nach eurer Rechnung hab ich nämlich zwei!! Und ihr könnt mir nicht vorwerfen, dass mein Lektor nicht nochmal drübergelesen hat, die Stinkesocke, immer wenn man ihn brauch!

    Immer
    Euer Nobelgünter

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  8. Illustrierte

    Ist das eine wertneutrale Ansage?

    Oder inkludiert die Nutzung des Wortes bequemerweise gleich das deutsche Schimpfwörterlexikon?

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  9. Vielleicht wird´s wieder besser, wenn aus dem Cover wieder ein Titelbild oder eine Titelseite wird.

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  10. Die Hoffnung auf Titelblätter stirbt zuletzt.

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