Mittwoch, 24. Juni 2015

Espionnage Élysée: Merkel ohne Macht

Die Kanzlerin wurde abgehört, bis der Generalbundesanwalt verzweifelt die Hände hob und alle Ermittlungen einstellte, um Schaden vom deutsch-amerikanischen Verhältnis abzuwenden. Nun auch noch die französischen Präsidenten, ohne dass Washington dementiert. Überraschung über die Dokumentenreihe "Espionnage Élysée" bei Wikileaks? In Deutschland ja, denn Deutschland lebt im Glauben, dass es gut ist, wenn man Gutes tut.

Doch Freundschaft zwischen Staaten, wie sie die Deutschen für möglich halten, ist offenbar ebenso eine reine Fata Morgana wie die Idee, Spionage sei dazu da, Absichten von Feinden zu ergründen und deren Pläne möglichst gut zu erkennen, ehe man zu ihnen Stellung nehmen muss.

Selbstverständlich ist das so. Jeder Staat, der ernsthaft regiert wird, braucht Regierende, die über Informationen verfügen, die ihnen das Regieren möglich machen. Beispiel Griechenland: Muss Angela Merkel wissen, wie weit Alexander Tsipras wirklich gehen würde im Poker mit der EU? Natürlich müsste sie es: Wüsste sie, dass Tsipras bereit ist, den Euro preiszugeben, wenn ihm zu harte Bedingungen präsentiert werden, könnte sie ihre Bedingungen exakt so gestalten, dass beide Seiten ihr Gesicht wahren und - vor allem - an der Macht bleiben können.

Hat sie diese Informationen nicht, stochert Merkel im Nebel. Sie weiß, dass sie nicht weiß, wo die rote Linie ist, die Tsipras nicht überschreiten wird. Tsipras geht es genauso: Wo Merkel und die von ihr dominierte EU einen Schlussstein in den Rettungsverhandlungen setzt, ahnt er. Doch er weiß es nicht, denn ihm fehlt wie Merkel die Fähigkeit, die wahren Absichten seines Gegenübers zu ergründen.

Der Mangel an Spionage wird zum Problem. Die Vorstellung, andere Staaten könnten ähnlich blauäugig vorgehen und ihr Schicksal dem Zufall anvertrauen, die Vorhaben verbündeter oder befreundeter Staaten korrekt zu erraten, scheint eine exklusiv deutsche zu sein. Die USA sind dieser Auffassung erklärtermaßen nicht, auch Frankreich - nach eigener Wahrnehmung eine Grande Nation - hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass es vor allem dem deutschen Partner genauso weit traut wie es Geheimdienstinformationen darüber hat, was Deutschland genau will und beabsichtigt.

Merkel tanzt durch diesen Reigen der Profis, in dem sich die Geheimagenten des alten und des neuen Europa, des alten und des neuen Kontinent gegenseitig abhören, mit Nachrichten versorgen und mit Nachrichten versorgt werden, wie die dralle Nichte vom Dorf, die auf der Kirmes vergewaltigt wird, und meint,  das sei jetzt aber noch nicht bewiesen und im übrigen eigentlich auch gar nicht schlimm gewesen. "Geht gar nicht", hört man sie sagen, finde sie "nicht gut" sagt sie auch.

Aufregung und Empörung klingen anders. Die mächtigste Frau der Welt, die geschworen hat, ihre "Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden und das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen", zeigt sich in ihrer wahren Gestalt: Ein hilfloses Opfer ungünstiger Umstände, die es ihr nicht einmal mehr erlauben, den Anschein von Souveränität zu erwecken. Sondern sie zwingen, so zu tun, als wisse ausgerechnet sie nicht, was jeder weiß: Politik hat nie ohne Spionage funktioniert. Außer natürlich in Deutschland.

7 Kommentare:

  1. Ich gedachte hier eigentlich gerade den allfälligen Artikel zum Verbot der Woche zu lesen.

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  2. man kommt da nicht mehr hinterher. müsste schon längst verbot des tages heißen

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  3. Offtopic

    Ich bin ja nun weltoffen, tolerant und liberal. Abgesehen vom kryptomarxistischen @ppq_blog frequentiere ich folglich im englischsprachigen Online-Raum u.a. Salon, New Statesman, TheAtlantic oder New Republic.

    Mein Lieblingskommentar zum Thema Dylann Ichweißnichtwieerheißt war in *Salon*:
    "The racist white trash working class would like to see him on a coin someday."

    ... nur um es der Nachwelt zu dokumentieren.

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  4. Meines geht so:

    I have trouble translating word "Sauseschritt".
    Google Translate doesn't help, maybe someone speaking German could?

    Ich hätte dem Julius Bernotas geantwortet, er möge Blitzkrieg nehmen.

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  5. Höhöhöhöhö.

    Dereinst, jung und knackig, war ich in einer Kaserne. Ein dort stationierter Major - der später zu einer kleinen Bundeswehrberühmtheit werden sollte - hatte seinerzeit einen Spitznamen: Codo. Codo, ich bin der Haß.

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  6. kryptomarxistisch finde ich unpassend. wir stehen für den marxismus des herzens

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  7. https://firstlook.org/theintercept/document/2015/06/22/behavioural-science-support-jtrig/

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