Dienstag, 16. Februar 2016

Jason Isbell: Ein amerikanischer Traum



Ist er nun der neue Bruce Springsteen? Der neue Tom Petty? Ode einfach nur ein hervorragender Songschreiber mit unverwechselbarer Stimme? Jason Isbell stammt aus Alabama geboren und hat Jahre hinter sich, in denen alle Wetten gegen ihn liefen. Schon im zarten Alter von 22 Jahren wurde er Mitglied bei der Countryrockband Drive-by Truckers und absolvierte mit der Truppe aus Georgia die ganze Kletterparty zum Rockruhm. Isbell nahm mit, was sich bot, Wein, Weib, Schnaps, Gesang und Kokain, er schrieb grandiose Stücke wie "Decoration Day" (Video oben) und wurde dabei immer dicker.

2008 war die gemeinsame Geschichte zu Ende. Shonna Tucker, Bassistin der Trucker und Isbells Frau, ließ sich scheiden. Patterson Hood, Chef der Band und damit auch Isbells Chef, warf das 15 Jahre jüngere Countrygenie raus. Isbell brauchte kein Jahr, um mit "Sirens of the Ditch" ein Soloalbum zu machen und mit The 400 Unit eine neue Band zu gründen. Aber die Aufmerksamkeitsbereiche, in denen er sich jetzt bewegte, waren auf Dorffeste und Auftritte als Vorgruppe begrenzt.

Während er von nun an beharrlich abnahm, lieferte Jason Isell seinem wachsenden Anhang zuverlässig aller zwei Jahre ein neues Album. Das zuverlässig besser war als der jeweilige Vorgänger. Und in der Hitparade zuverlässig höher kletterte. Nach "Southeastern" war auch die private Glück wieder zurück, Isbell heiratete die Geigerin Amanda Shires, die seit Jahren anstelle von Shonna Tucker mit ihm singt. Danach ging er daran, "Something More Than Free" zu schreiben, das Album, das den vorläufigen Höhepunkt seiner Solokarriere markiert.

Es vereint verschiedene Südstaaten-Einflüsse in Isbells Musik und verbindet Country, Blues, Folk und Rock zu elf Songs ohne Schwächen. Isbell, inzwischen ein schmaler Mittdreißiger mit scharf angeklebtem 50er Jahre-Scheitel, predigt den alten amerikanischen Traum vom "Du kannst alles schaffen" und dem "du darfst nie aufgeben". Seine zarte Stimme ist in grandiose Meodien gebettet, der Südstaatendialekt verleiht den Songs etwas von Lynyrd Skynyrd, die ruhigeren Momente dagegen sind mehr Kevin Devine als Appleseed Cast.




Im Konzert ist der 36-Jährige aus Birmingham in Alabama eher muffelig. Er spricht nicht viel, sondern singt, was er zu sagen hat. Im schwarzes Jeans-Hemd wirkt er wie aus der Zeit gefallen, die Band neben ihm - immer noch 400 Unit genannt - spielt seine meist doch irgendwie traurigen Lieder begnadet und fröhlich zugleich. Isbell ist an diesem Abend im Lido in Berlin der Mann, auf den sich alle einigen können - vom bärtigen Hipster bis zum Alt-Rocker, vom Anhänger von Jakob A. Smith alias White Buffalo bis zum Fan britischer Indiebands und zur Alt-Rockerin im Karo-Hemd.

Der "Rolling Stone" hat Jason Isbell den "neuen King der Americana-Musik" genannt, aber im Konzert ist das alles weniger Americana als ganz normale Rockmusik. Kraftvoll, transparent, vom Leben zerkratzt. Der Absturz, der Alkohol, der Entzug, die Jahre in der Nichtwahrnehmung, haben Spuren hinterlassen. Hier geht es um Trennungen, Abstürze, Sucht und Glauben, um die Mühen des Alltags und das Heldentum der Büroarbeit.

Ein Konzert zum Mitsingen, zum versunken Tanzen, zum Augenschließen und in sich horchen. es ist warm, alle sind zu Hause in dieser Musik, die es besser nirgendwo gibt zur Zeit.

Letzte Nacht hat Jason Isbell einen Grammy gewonnen. Ein amerikanischer Traum.


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