Dienstag, 21. März 2017

Auf der Flucht vor dem Wort

Alle sehen gleich aus, also treffen alle auch gleich oft ins Ziel.

Es geht, wie immer öfter, um Gleichheit. Und es muss, wie immer öfter, ein Gericht entscheiden. Muss ein Abiturient, der am Ende seiner Schulzeit nicht schreiben und lesen kann, in seinem Abschlusszeugnis einen Vermerk dulden, der erklärt, dass er wegen einer "fachärztlich festgestellten Legasthenie" keine Rechtschreibnote erhalten hatte? Oder diskriminiert das den Betreffenden, wie drei Abiturienten glauben, die vor Jahren wegen eines solchen Hinweises im Zeugnis geklagt hatten.


Ein Fall für Martin Schulz. Gleich und gleich gesellt sich gern, aber woher weiß man, dass man gleich ist? Wenn es verboten würde, gleichzusetzen? Wenn ein Arbeitgeber künftig sieht, dass ein Schulabgänger keine Rechtschreibnote hat, wird er wissen, woran das liegt. Die nächste Klage wird sich damit vermutlich gegen das diskriminierende Weglassen der Rechtsschreibnote richten, die daraufhin künftig virtuell erteilt werden wird - Maßstab etwa "wie gut könnte der Schüler schreiben, wenn er schreiben könnte".

Jede Benachteiligung fällt weg, außer die derjenigen, die schreiben können, das aber zuerst einmal lernen mussten. Ein erneuter Sieg eines Gesellschaftsbildes, das Gleichheit nicht mehr als Gleichheit in der Chance versteht, durch eine Kombination von Talenten, Mühe, Förderung und Glück gleich zu werden. Sondern die Gleichheit darin sieht, gleich zu machen, was unterschiedlich ist.

Wichtigstes Mittel dabei ist naturgemäß die Vermeidung der Benennung von Unterschieden. Wo Schwarz nicht mehr Schwarz und Weiß nicht mehr Weiß, weiblich nicht mehr weiblich und männlich nicht mehr Mann genannt werden kann, wird Klein zu Groß, Hell zu Dunkel und Dunkel zu Hell. Der Mensch bekommt die Chance, sich neu zu erfinden: Aus Mann wird Frau, auch Weiß wird Schwarz, wer winzig ist, darf sich beklagen, dass ihn kein Basketballverein einstellen mag, und der mittelalte Herr mit Glatze sucht sich einen Anwalt, um Heidi Klum zu verklagen, die ihn nicht zu Deutschlands Topmodel küren will.

Die Menschen bleiben wie sie sind, Individuen, die zu einem großen Teil aus Verschiedenheit bestehen. Doch es entsteht gleichzeitig eine Gleichheit nicht der gleichen Rechte und Chancen, sondern eine Ungleichheit, die einfach nicht mehr beschrieben werden kann. Eine allgemeine Flucht vor konkreten Begriffen für konkrete Sachverhalte folgt, aus dem Neger muss der Schwarze werden, der "Afrikaner", der "People of Color", aus dem "Mohammedaner" wird der "Moslem" und später der "Muslim".

Es ist ein ständiger Nachschub an neuen Begriffen, der benötigt wird, um die weiterhin vorhandene Grundungleichheit durch sprachliche Kosmetik zu übertünchen. Der alte "Wirtschaftsflüchtling" muss dem "Balkanflüchtling" weichen und die "Überwindung der Bedeutung von Geschlecht, Rasse und sexueller Orientierung für das soziale Leben" als "eines der großen Fortschrittsprojekte" (Tagesspiegel) wird zu einem Humbug aus Sprechverboten, Ritualhandlungen und Zirkuskasperei.

2 Kommentare:

  1. Ich hatte es schon vor Jahren vorgeschlagen: Jeder bekommt zusammen mit der Geburtsurkunde das Abitur und eine Blanko-Promotion ausgehändigt.
    Damit können die, die für einen echten Beruf zu doof sind, wenigstens in einer öffentlichen Verwaltung, einer Partei oder bei den Medien unterkommen.

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  2. >> Damit können die, die für einen echten Beruf zu doof sind, wenigstens in einer öffentlichen Verwaltung, einer Partei oder bei den Medien unterkommen.

    Das ist schon lange so. Geht einfach so. Bedingungs-, besinnungs- und gesinnungslos. Wie das Grundeinkommen.

    In welchem Land lebst du?

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