Mittwoch, 27. September 2017

Mitten in Europa: Kampf gegen Katalonien


In Brüssel und Paris sind sie dabei, die großen Räder zu drehen. Erst Juncker, der den Euro weltweit einführen will. Dann Macron, dem nichts mehr am Herzen liegt, als eine "Neugründung" Europas, als wäre der Kontinent irgendwann abhanden gekommen. In Berlin dagegen sind sie mit Hauen und Stechen beschäftigt, eine Kanzlerin und ein Kanzlerkandidat kämpfen ums Überleben, während die Kameras immerfort Alexander Gauland und Frauke Petry zeigen, Repräsentanten einer Splitterpartei, ohne die längst schon keine "Tagesschau" mehr ihre 15 Minuten füllen könnte.

Weiter im Süden, woher seit der letzten Spanienrettung kaum noch Nachrichten kommen, spielt sich derweil Weltgeschichte ab. Katalonien will über seine Unabhängigkeit abstimmen. Und darf es nicht. um die für Sonntag angesetzte Abstimmung zu verhindern, lässt die Regierung in Madrid Bürgermeister festsetzen, Konten sperren, Behördengebäude durchsuchen und das Internet filtern. Die spanische Guardia Civil hat inzwischen mehr als 140 Webseiten gesperrt, jede Seite, die im Verdacht steht, für die Volksabstimmung zu werben, läuft Gefahr, per IP-Sperre für Spanier nicht mehr auffindbar gemacht zu werden.

Rechtsstaat? Gewaltenteilung? Fehlanzeige. Mitten in Europa ein Ausnahmezustand, um das fast 500 Jahre alte Unabhängigkeitsbestreben einer Region, die eine eigene Sprache spricht, eine eigene Geschichte hat und sich als Nation begreift, zunichte zu machen.

Und die EU, deren Mitglied Spanien noch immer ist, schweigt. Kein Juncker, der sich mahnend äußert. Keine EU-Parlamentsfraktion, die um Mäßigung bittet. Spaniens Probleme sind auf einmal eine der "inneren Angelegenheiten", die der selbsternannte Friedenskontinent eigentlich nicht mehr kennt. Ist man doch eine "Wertegemeinschaft". Aber eben nur bis dahin, wo spanische Gerichtsurteile zu akzeptieren sind. Demokratisch wäre es, nicht Wahllokale zu besetzen und Wahlhelfer festzunehmen, sondern in zivilisierter Weise festzustellen, wie groß und wie verbreitet derWunsch nach Unabhängigkeit in welchem Freiheitsgrad ist. Dann müsste verhandelt werden.

Anschließend müsste - je nach Abstimmungsergebnis - geredet werden. Oder auch nicht. Autonomie erweitert. Oder der status quo beibehalten, wenn der Freiheitswunsch vielleicht doch nicht so groß ist.

Doch Madrid wird eher schießen lassen, als das Wagnis einzugehen, herauszufinden, was die Katalanen wollen. Und die EU wird Madrid schießen lassen lassen. Zustände wie in China, ohne dass jemand wie sonst üblich eine gemeinsame europäische Lösung fordert. Die EU, die sich hier wirklich als Vermittler und Schlichter nützlich machen könnte, tritt öffentlich nicht auf. Angela Merkel, die "mächtigste Frau der Welt", hat mit der CSU zu tun. Emmanuel Macron, zu dessen Frankreich Katalonien früher einmal komplett und bis heute in Teilen gehört, pflegt die Marotte aller Hilflosen: Statt über naheliegende, dringend zu lösende Probleme entwirft er detaillierte Konstruktionspläne für ein Wolkenkuckucksheim.

Der fünftgrößte EU-Staat "schlittert in einen Staatskrise" (Spiegel). Und die von den Großkopferten der Gemeinschaft stets beschworene europäische Öffentlichkeit findet nicht statt, weil die katalonische Frage nicht mit Ja oder Nein zu beantworten ist und sich auch keines der traditionellen Verschiebemanöver anbietet.

Raus- und Schnauzehalten, weil Katalonien nicht Kosovo und Spanien nicht Serbien ist. Weil Europa die Unabhängigkeit Montenegros nützlich fand, die der Kurden und Katalanen und Schotten dagegen nicht.

Weil europäische Werte im Ernstfall eben Werte sind, die sich je nach Opportunität und Brauchbarkeit wandeln.


4 Kommentare:

  1. Würden dort Moslems wohnen, gäbe es ein DEUTLICH lauteres Geschrei...

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  2. PS1: Dort leben Moslems, ziemlich viele sogar!

    PS2: Der Drahtzieher der katalonischen Separatisten ist/war ein Journalist! In schwachen Momenten beschleicht mich immer das Angstgefühl, dass Jacob Augstein oder Georg Diez eines schönen Tages auf die Idee kommen, eine (linksradikale und/oder anarchistische) Partei zu gründen.

    PS3: Wenn sich die Katalanen dann tatsächlich abspalten sollten, dann können dann entdlich auch wieder die Internationalen Brigaden losmarschieren (insbesondere des Putins seine).

    PS4: Die katalanischen Separatisten haben den gleichen Dachschaden, wie alle übrigen separatistischen Bewegungen in Europa.

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  3. Deutschland sollte sich auch spalten, in Habsburger und Hohenzollern. Natürlich mit der jeweiligen Forderung auf alte Gebietsansprüche. Oder besser noch ein bisschen früher. Nehmen wir einfach einen Kaiser des röhmisch-deutschen Reiches, Barbarossa, der hatte Mailand im Sack. Ein wenig Süd Tirol ist noch übrig. Oder doch lieber berufen auf Karl der Große, dann wäre das Frankenreich wieder "uns".

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  4. Staatsgrenzen sollten Volksgrenzen sein, zumindest bei Abstammungsnationen. Für Beschlussnationen trifft das natürlich nicht zu. Jede Kleinmacht aber verhält sich imperialistisch - und dabei dumm:
    Man denke nur mal daran, welches Maß an Freundschaft ein Kurdistan dem Staat entgegen brächte, der seine Kurden in die staatliche Unabhängigkeit entließe. Statt dessen unterdrückt man lieber und halst sich nicht zu bewältigende Probleme bis hin zum Terrorismus auf.

    Die juristische Argumentation - der Austritt aus dem Staat sei verboten - ist ein als indirektes Eingeständnis fehlender Argumente ein Armutszeugnis.

    Auch unser Staat unterscheidet sich da nicht groß vom kritisierten. Es gab da mal ein Urteil (oder eine Einschätzung?) des Bundesverfassungsgericht zum Vorstoß der Bayernpartei zur staatlichen Unabhängigkeit.
    Es wurde aufs Grundgesetz verwiesen, das die Länder binde!
    Dabei darf andererseits nicht vergessen werden, dass Bayern, Franken und Schwaben deutsche Stämme sind.

    Interessieren würde es mich, ob auch die Katalonen ihre Unabhängigkeit wie die Schotten (nicht) wollen, weil ihnen der Volksumtausch nicht schnell genug geht.

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