Freitag, 30. November 2018

Doku Deutschland: Der vierte Mann

Ronny Neihleine würde gern die CDU führen.
Um die Nachfolge von Angela Merkel als CDU-Chefin bewerben sich allem Anschein nach drei Personen: Jens Spahn, der Gesundheitsminister, Annegret Kramp-Karrenbauer, die Kandidatin der Kanzlerin, und Friedrich Merz, ein ehedem bereits emeritierter früherer Politiker, der sich im privaten Berufsleben vom Wirtschaftsliberalen zum Konservativen gewandelt hat. Doch das ist nur ein Viertel der Wahrheit, denn die drei Kandidaten, die auf ihrer Bewerberunde durchs Land jeden Abend Gelegenheit bekommen, bei öffentlich-rechtlichen Spartensendern oder notleidenden privaten Nachrichtenkonkurrenten lange und eher wenig euphorisierende Reden zu halten, sind längst nicht alle Kandidaten, die ins Rennen um die nächste Kanzlerschaft gegangen sind.

Insgesamt wollen sich auf dem Parteitag der CDU in einer Woche mindestens zwölf Frauen und Männer bewerben. Doch die meisten von ihnen werden vom Establishment der Partei ausgebremst, die Basis erfährt meist nicht einmal, dass die Betreffenden kandidieren werden. Der CDU-Vorstand blockt ab, mauert, zieht sich auf die Regel zurück, dass Kandidaten formell nur von Parteigliederungen vor oder von Delegierten auf dem Parteitag vorgeschlagen werden können.

Das sei der Grund, warum auf den zehn Regionalkonferenzen, bei denen sich die Partei transparent und basisnah inszeniert, nur die drei prominenten Kandidaten des Vorstandes auftreten dürfen, denen um Mitarbeit gebetene Medien „reelle Chancen“ (DPA) einräumen. Gerade mal noch zur Nennung der Namen von weiteren Bewerbern war die CDU im Fall des Staatsrechtlers Matthias Herdegen (61), des hessischen Unternehmers Andreas Ritzenhoff (61) und des 26-jährigen Berliner Jura-Studenten Jan-Philipp Knoop bereits. Weitere sechs andere Bewerber werden seit Wochen totgeschwiegen, wie Aussätzige behandelt und nirgendwo genannt.



Aber Ronny Neihleine will dennoch nicht aufgeben. „Ich stehe zu meinem Versprechen, die Union in eine neue Ära zu führen“, sagt der 32-jährige Gartenbauingenieur aus dem sächsischen Friedeburg. Er stehe für das Abschneiden alter Zöpfe, für eine CDU des Aufbruchs, der neuen Chancen und des Bessermachens. „Es reicht, etwas nur zu schaffen“, wendet Neihleine sich gegen das Credo seiner Vorgängerin Angela Merkel, „man muss es auch wollen.“

Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten, die der großgewachsene gebürtige Duderstädter „alte Kader“ nennt, wolle er die CDU nicht nur Wahlergebnissen von 40 Prozent zurückführen, sondern zu „50 plus“, wie er sagt. Deutschland solle zudem in vier Jahren nicht nur Weltmarktführer bei KI, sondern auch bei veganer Wurst, nachhaltiger Verkehrsvermeidung und im Pro- Kopf-Verbrauch von Recyclingbechern sein. Neihleines Thesen* im Einzelnen:


"Verantwortung, Veränderung, Vertrauen - so hätte ich meine Aufgaben auf unseren Regionalkonferenzen beschrieben. Nur auf der Basis von Wahrheit und Klarheit kann wieder neues Vertrauen wachsen. Für die CDU kann es keine Diskussion um die Einhaltung von Recht und Gesetz geben. Wir, die CDU Deutschlands, sind die Partei, die wie keine andere für den Rechtsstaat steht, und das gilt für jeden von uns. Doch diesem Geist ist die Parteiführung in den letzten Wochen vom Kurs abgegangen. Und gerade weil wir die Aufklärung der möglichen Verstöße gegen das Grundgesetz vorantreiben müssen, wird jetzt jeder Versuch scheitern, uns mundtot zu machen. Gerade weil wir berechtigte Kritik angenommen und die Konsequenzen gezogen haben, können wir selbstbewusst auftreten."

Neihleine zu Merkel

"Mit das Bedauerlichste in den letzten Wochen war für mich, dass wir die Kanzlerin im Amt des Vorsitzenden verlieren. Lieber Angela Merkel, ich hätte sehr gerne mit Ihnen und für Sie gearbeitet. Doch die Zeit wird es uns nicht gestatten, an einem Strang zu ziehen, weil es meine Aufgabe sein muss, den Augiasstall auszumisten, den 18 Jahre Parteiherrschaft zweifellos hinterlassen haben müssen. Das wird politisch, aber auch menschlich eine außerordentliche Prüfung, das weiß ich. Ich denke, dass kaum ein Satz wie der auf unserem Wahlplakat, das Sie damals selbst ausgesucht haben, den Stil unserer Zusammenarbeit bestimmt hat: Gut und gerne leben. In diesem Geist will ich versuchen, auch in Zukunft meine Arbeit fortzusetzen."...

Neihleine zu Rot-Grün

"Es ist ja klar, dass Rot-Grün weiter mit allen Mitteln versuchen wird, der Auseinandersetzung um Sachthemen zu entgehen. Denn trotz der dramatische Niederlage im letzten Jahr hat die Linksfront nicht dazu gelernt: eine Europapolitik, die keine ist, Aufbau Ost, der nicht stattfindet, geschröpfte Energiekunden, vertröstete Rentner. Das alles ist unausgegoren. Das alles ist nicht mehrheitsfähig. Das alles ist unser Glück. Denn damit ist jetzt Schluss. Wir sind wieder da."

Neihleine über die Kanzlerin

"Wir alle wissen, dass es ihr nicht leicht fällt, das erste Mal seit 1990 nicht an einem Parteitag teilzunehmen. Wir wissen, dass auch ihr die letzten Wochen und Monate zugesetzt haben, auch wenn genauso klar ist, dass es um der Glaubwürdigkeit der Partei willen keine Alternative zu unserem Kurs der Aufklärung gibt. Gerade deshalb aber lassen wir es nicht zu, dass die Linken in der Partei sich die Deutungshoheit über die Bilanz ihrer Leistungen anmaßen. Das machen immer noch wir. Wir schließen uns einem Satz von Lord George Weidenfeld an: Merkels Werk bleibt historisch überragend, aber wo etwas weit hinausragt, bilden sich auch schattige Stellen."

Neihleine über seine kommenden Aufgaben

"Unser Anspruch ist klar: Wohlstand und Teilhabe für alle, eine führende Rolle Deutschlands in einem fairen Wettbewerb um Marktführerschaft bei KI, künstlichem Fahren und veganer Ernährung, dazu eine menschliche Gesellschaft mit anderen Ländern der Welt, denen wir unsere Moral nahebringen wollen, ja, müssen. Menschen, die stolz sein können auf ihr Land, aus dem sie kommen und in dem sie leben, nicht wie wir, die wir bisher vergebens versuchen, Markt und Menschlichkeit zu versöhnen. Das ist christlich-demokratische Politik."

Neihleine über Arbeitsplätze in der Spitzentechnologie

"Die Chance aus den globalisierten Märkten zu ergreifen, das heißt für uns: Wir müssen Spitze sein, total und radikal. Wo andere 1000 Professoren hinsetzen, brauche wir 5000, 10000. Wir müssen Geld in die Hand nehmen, mit dem wir Rahmenbedingungen verbessern und eine Spitzenstellung in Forschung und Technologie ermöglichen. Wir dürfen nicht einfach die Anwender von Wissen sein. Wohlstand für alle wird es nur geben, wenn wir in möglichst vielen Feldern Spitze sind: Zum Beispiel in der Biotechnik, der pharmazeutischen Industrie, bei der Chip-Herstellung und in der Software-Erstellung, bei Callcentern, der Abschaltung von Braunkohle und Kernenergie, bei Solar und Wind, Müllverbrennung oder dem Transrapid."

Neihleine übe das Asylrecht

"Da muss auch unverdrossen ein weiteres heißes Eisen angepackt werden, und zwar im europäischen Kontext: Wie gehen wir angesichts unserer alternden Gesellschaft und unseres Menschenbildes mit Zuwanderung und Asyl um? Es kann doch nicht sein, dass in einem Europa der gleichen Währung und der gleichen Wirtschaftsbedingungen Belastungen von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen völlig unterschiedlich verteilt werden. Wenn die AfD  der Meinung ist, den Menschen sagen zu müssen, dass die Grenzen der Belastbarkeit bei der Aufnahme ausländische Bürger in Deutschland überschritten ist, dann ist es meine Pflicht und Schuldigkeit, mit äußerster Intensität in Europa dafür zu kämpfen, dass eine Lastenverteilung erreicht wird, damit die nächste Million Schutzsuchender eben mal nach Frankreich geht oder nach Polen oder nach Luxemburg. Wenn das europäische Asylrecht harmonisiert werden muss, dann spricht nichts dagegen, in Deutschland über eine institutionelle Garantie des Asylrechts zu diskutieren."

Neihleines Ziele für die CDU

"Ich will eine CDU, die die Ethik der Sozialen Marktwirtschaft unter globalisierten Bedingungen für alle Staatend er Erde weiterentwickelt, die es schafft, auch unter diesen neuen Bedingungen Markt und Menschlichkeit miteinander zu versöhnen. Ich will eine CDU, die auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes die Menschenwürde zu ihrem Maßstab bei der Bewertung technologischer Risiken und Chancen nimmt.

Ich will eine CDU, die der Generationengerechtigkeit bei der Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme zum Durchbruch verhilft.

Ich will eine CDU, die die Kanzlerin stellt.

Ich will eine CDU, die den Anspruch hat, Europa zu führen, die dem Bürger auch mal Freiräume lässt
und die ihm dort, wo der Bürger ihn braucht, einen starken Staat zur Seite stellt.

Ich will eine CDU, die für eine konsequente Umsetzung des Subsidaritätsprinzips in kleine Einheiten steht und die Bundeskompetenzen ausweitet, wo immer das möglich ist. Ich will ein Bekenntnis zur Nation, zur Heimat, ein Bekenntnis zur eigenen Identität, aber im Rahmen eines Weltbürgerpatriotimus, denn das ist die Voraussetzung, sich in der Welt zurecht zu finden.

Ich will eine CDU, die für ein Deutschland eintritt, das ein tolerantes Land, das sich nicht aufspielt und das sein Licht nicht unter den Scheffel stellt.

Ich will eine CDU, deren Mitglieder in die Meinungsbildung einbezogen werden, die selbstbewusst sind und diskutieren können.

Ich will eine CDU, die nach den Debatten und Diskussionen klare Entscheidungen trifft , Mehrheitsentscheidungen akzeptiert und auf dem gemeinsamen Weg vorangeht."

*Nach Motiven der Essener Parteitagsrede von Angela Merkel, 2000


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