Donnerstag, 23. Mai 2019

Grundgesetz: Wunder der Verklärung


Das Grundgesetz hat Geburtstag - es wird 70 Jahre alt. Überall im Land starten sogenannte GG-Partys, Menschen, einander oft wildfremd, liegen sich in den Armen, sie freuen sich und feiern das "Dokument der Freiheit", das nach einer Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland eigentlich von einer gesamtdeutschen Verfassung abgelöst werden sollte, wie sein Art 146 bestimmte.

"Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist", hieß es da. Bis diese provisorische Bstimmung gestrichen und das Grundgesetz auch ohne jene freie Entscheidung des deutschen Volkes zur Verfassung erklärt wurde.

Einfach, unkompliziert und ohne großen Aufwand, so ging das. Der Rest ist reine Imagination. Heute noch zeigt der Bundestag im Internet ein Bild des Grundgesetzes mit der Seite, die am 23. Mai 1949 von den vielbeschworenen Vätern des Grundgesetzes unterschrieben wurde. Allerdings ist das, was sie damals unterzeichneten, nur noch zum Teil identisch mit dem, was unterdessen daraus wurde.

Der Artikel 146 etwa, der mehr als 40 Jahre lang forderte, eine neue Verfassung zu verfassen, ist nicht der einzige Artikel, der sich in heutigen Fassung nicht mehr findet, weil Einheit und Freiheit vollendet sind und man sich über eine Verfassung nicht einigen konnte. Artikel 23, der den Beitritt der auf dem Gebiet der DDR gegründeten Länder möglich machte, fiel auch weg, um die Nachbarn zu beruhigen, die Sorge hatten, als nächstes könnte doch wieder der Ruf kommen, Böhmen und Schlesien müssten beitreten.

Das eigentliche Wunder des Grundgesetzes aber ist, dass es trotz dieser und anderer Streichungen nicht kürzer, sondern länger geworden ist. Hatte das Original noch 146 Artikel auf 47 Seiten, die aus 12.216 Wörtern bestanden, die wiederum aus 73.368 Zeichen zusammengesetzt waren, ist die Version ein Regelwerk, das um fast die Hälfte dicker ist als ehemals. 86 Seiten zählt das GG heute, denn aus knapp über 12.000 Wörtern mit 73.000 Zeichen sind 23.231 mit satten 153.092 Zeichen geworden.

Unverändert geblieben ist Art. 1, Absatz 1, der schlanke Satz "Die Würde des Menschen ist unantastbar", der gleich zum Auftakt verrät, das die "neue Bibel des Deutschen" (Cicero) nicht viel realitätsnäher als die alte ist: Wäre die menschliche Würde tatsächlich unantastbar, wie das Grundgesetz trotz aller Kriege, Morde, Folterungen, Verfolgung und Gewalt in der Welt unwidersprochen behauptet, bräuchte es den zweiten Teil von Satz 2 nicht, der bestimmt, dass sie "zu schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" ist.

5 Kommentare:

  1. VerklärwerkerMai 23, 2019

    In Ermangelung einer Verfassung, wie sie andere Staaten wie selbstverständlich haben, muss der Doidschmichel sich aufgrund seiner speziellen Weltrettungs-Geschichte mit seinem Grundgesetz zufrieden geben, das - wie die stacheligen Rosen das Schloss von Schneewittchen umranken und für jeden Normalo unerreichbar machen - von tausenden Gesetzen, Erlassen, Vorschriften und Verfügungen z.T. noch aus der Kaiserzeit gitterartig umgeben und dadurch auch mehr ein Symbol der Hoffnung als ein reales das Tagesgeschehen beeinflussende Regelwerk ist.

    Solche Symbole werden von den herrschenden Eliten immer gerne erhaben gefeiert, weil sie den Plebs damit in gefühlsduselige Zufriedenheit lullen können, die in der dann rauhen Wirklichkeit nur Makulatur bzw. Mogelpackung bleibt.

    Wie verderblich diese widerlich perverse Schmierenkomödie ist, beweist der tägliche Paragrafenbüttelterror, dem heutige Bürger so komplett hilflos ausgeliefert sind wie ihre Vorfahren den berüchtigten Raubrittern oder typischen Regenten. Nur, dass damals eben nur der Zehnte gefordert wurde, während man heute oft mehr als die Hälfte seines Lohnes für das Luxusdasein des regierenden Parasitentums "spenden" darf. Was soll's, es klappt ja prima, denn der Jochochsenpöbel wählt sein Untertanenschicksal zu fast 90% ja immer wieder freiwillig. Dieses Sklaventum muss ihm wohl sehr gefallen.

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  2. .. wie es der Zufall will, wurde am 23.05.1945 das letzte dt. Staatsoberhaupt Großadmiral Dönitz mit Regierungsmannschaft, auf der "Patria" - in entwürdigender Weise - verhaftet. Das dt. Reich hatte aufgehört zu bestehen. Die BRD feiert also am 23.05. jeden Jahres auch (neben der "Auftragsarbeit "GG") den Todestag des dt. Reiches. Ein von den Siegern wohl kaum unbedachtes Symbol. Ernst von Salomon schildert in seinem Buch "Der Fragebogen" die entwürdigende Körperdurchsuchungen, die Admiral von Friedeburg zum Suizid führte

    https://www.spiegel.de/fotostrecke/hitlers-nachfolger-fotostrecke-107420-17.html
    https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9184276.html
    Zitat: In seinem Roman "Der Fragebogen", einer polemischen Attacke auf die Entnazifizierung, erregte sich der Nationalrevolutionär Ernst von Salomon später über die Prozedur, "wie des Reiches Ministern und Staatssekretären, Generälen und Admirälen die Hosen heruntergerissen, die Gemächte visitiert, die Gesäße blank den Kameras dargeboten" worden seien, obwohl doch "eben noch von Gewalt zu Gewalt, von Macht zu Macht verhandelt worden war".

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  3. VerklärwerkerMai 24, 2019

    @ herbert

    Angesichts der Entwürdigungen, die diese so sehr auf ihr oft adeliges Prestige bedachten Herrenmenschen ihren Untergebenen und Feinden schenkten, ist etwas Hinternangaffen und Hodengrapschen nur eine Petitesse, die einem bei jedem Urologenbesuch passiert.

    Wenn diese einerseits skrupellosen Folterknechte und Massenmörder sich bei ihren Untersuchungen so mimosenhaft anstellten, muss man in deren eigener Sprache wohl von psychischer Entartung sprechen. Es ist sowieso eine Standesdünkelsauerei, dass ausgerechnet jene, die alle Befehle gaben, dann eine ehrenwerte Sonderbehandlung erhielten, während durch sie Millionen sogenannte Untertanen bzw. Untermenschen oft schreckliche Leiden und einen qualvollen Tod erleben mussten.

    Diese hochnäsige Schnodderigkeit gewisser Kreise widert mich bis heute an, denn ein dreckiger Charakter ist tausendmal ekelhafter als ein ungewaschener Körper.

    Von der zumindest in der neuen BRD nie vollzogenen Entnazifizierung mal ganz zu schweigen. Dasselbe Lügentheater geschah nach der Wiedervereinigung dann mit den DDR-verbrechern. Alle Befehlsgeber konnten wunderprächtig weiter Karriere mache, denn es wurden nur ein paar arme Befehlsausführer zur Rechenschaft gezogen.

    Die alte Regel: Die kleinen (Schweine) hängt man, die großen (Schweine) lässt man laufen. Was soll es da für das einfache Volk zu feiern geben? Schäbige Scheinheiligkeit und Verlogenheit - oder was?

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  4. Zwar gegen den Wind gesprochen, aber trotzdem artikuliert. Recht so.

    Der Justizbeamte, der einst Erich Honecker betreute, sagte zu mir, daß er ihm eines Tages zwecks Mäßigung mitteilte, daß nach seiner Berufserfahrung 99% aller Insassen völlig zurecht insassig sind.

    Insofern physische Analyse der Faschistenärsche ein seit Jahrhunderten in Verwahreinrichtungen gepflegter Brauch. Geschah ihn Recht.

    Disclaimer

    Justizbeamter war er. Ob er in dieser Funktion jedoch mit Honecker, Mielke und anderen zu tun hatte, das entzieht sich meiner Kenntnis. Vieleicht wollte er auch nur aufschneiden. Das ändert nichts an der von ihm verkündeten Berufserfahrung.

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  5. Interessante Betrachtungen. Zustimmung @Verklärwerker Gestern zufällig beim Warschauer Aufstand reingelesen. Allein was da passierte... grauenhaft. Stichwort "von dem Bach-Zelewski" und "Reinefarth". Es wurde Rache genommen am kleinen Deutschen und da haben die Großen nicht das Recht, sich da vornehm rauszuhalten; waren sie doch diejenigen, die das zu verantworten hatten.

    Dabei liegt der Ball eher bei den Heuchlern der Allierten. Erst tun sie gleichberechtigt bei der Kapitulation, danach Demütigung. Hätten sie doch gleich klar Schiff machen können: so, der Laden ist jetzt dicht hier und ihr habt nichts zu melden.

    Zum Thema noch ein guter Beitrag mit Sternchen

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