Mittwoch, 14. August 2019

Der Spiegel und die Hitlergrüße: Mit Schweigen lügen



Wer gut lügen will, muss möglichst viel Wahrheit sagen. Oder aber einfach schweigen, das wissen sie in der Redaktion des früheren Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" ganz genau. So lange Nachrichten passend scheinen, weil sie die eigene Erwartungshaltung an eine klar zwischen Gut und Böse unterscheidende Welt befriedigen, werden sie deshalb nicht nur gern verbreitet, sondern geradezu enthusiastisch gefeiert. So etwa vor einem Jahr, als ein 33-Jähriger nach einem auf einer rechten Demo gezeigten Hitlergruß in einem Schnellverfahren zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Acht Monaten Haft auf Bewährung reichten, um eine „Spiegel“-Schlagzeile daraus zu drehen.


Das ist angesichts von alljährlich mehr als 110.000 Urteilen zu Bewährungsstrafen, von denen 99,99 Prozentes  nicht einmal zu einer Erwähnung als Kurzmeldung in Lokalzeitungen bringen, äußerst verwunderlich. Angesichts der damals akuten Suche nach Anzeichen für Hetzjagden und einer allgemein faschistischen Einstellung aller Sachsen aber naheliegend: Das Urteil bestätigte das Vorurteil, dass bei einer gemeinsamen Kundgebung von AfD, Pegida und "Pro Chemnitz" Horden beinharter Nazis unterwegs waren, die nur durch entschlossene Warnungen der Bundespolitik und mutiger Popmusiker daran gehindert werden konnten, augenblicklich ein Viertes Reich mit Karl-Marx-Stadt als Hauptstadt zu errichten.

Der Nazi war auch kein Einzelfall, nein, zehn weitere Hitlergruß-Ermittlungsverfahren beschäftigten nicht nur die Justiz, sondern auch den „Spiegel“, dessen Leser glaubten, sich sicher darauf verlassen zu können, über jede einzelne Verurteilung informiert zu werden. Doch dann kam es ganz anders. Nach den ersten vier Urteilen gegen Hitlergrüßer schwand das Interesse schlagartig. So dass ein gerade erst gefälltes weiteres Hitlergruß-Urteil gegen einen 33-jährigen Chemnitzer bundesweit gar nicht mehr beachtet werden musste.

Glücklicherweise, denn der Täter (Foto oben) hatte seinerzeit schon nach weniger Stunden mehr Fragen aufgeworfen als eine deutlich sichtbare Antifa-Tätowierung auf seiner Hand hatte beantworten können. Ein Linker, der Hitler grüßt? Eine Provokateur aus der rechten Szene, der Verwirrung im Kampf gegen rechts stiften soll?

Alles jedenfalls viel zu kompliziert für korrekte Schuldzuschreibungen: Als der Fall des Antifa-faschisten jetzt vor dem Amtsgericht Chemnitz verhandelt wurde, nahm bis auf die lokale Freie Presse kein Medium mehr Notiz. Zu irritierend hätte wohl die Tatsache auf das Publikum gewirkt, dass der Täter sich einerseits selbst als Linken bezeichnet, der Vorsitzenden Richterin andererseits aber als langjähriger Kunde in zahlreichen Fällen von  Diebstahl, Körperverletzung und Drogendelikten bekannt ist. Kein Naziskin oder Hooligan, sondern ein Alkoholkranker, der zum Tatzeitpunkt "weit über zwei Promille" (Freie Presse) im Blut hatte und vermutlich nicht einmal mehr mitbekam, dass der Hitler gegrüßt und Polizeibeamten den Stinkefinger gezeigt hatte.

Aber Suff und Drogen sind keine Entschuldigung bei Kapitalverbrechen. Und so wurde der Karl-Marx-Städter Büchsenbier-Punk, der mittlerweile unter Betreuung steht, zu sieben Monaten Haft auf Bewährung wegen Beleidigung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt. Das milde Urteil begründete das Gericht damit, dass der Mann sich seit einem Jahr Anfeindungen ausgesetzt sieht. Dabei wird es nun auch bleiben, denn für die Medienwelt da draußen bleibt der linke Punk nun für immer ein Hitlernazi, weil niemand irgendwo auch nur eine Zeile über seine wahre und gute Gesinnung berichtet.

9 Kommentare:

  1. Florida RalfAugust 14, 2019

    > ein Viertes Reich mit Karl-Marx-Stadt als Hauptstadt zu errichten

    brillant. ansonsten hat der junge olaf schubert alles zu dem thema gesagt: "mirko! mirrr-koo! komm runner!"

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  2. "du bist ein gaaanz schlächter nazi!"

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  3. Florida RalfAugust 14, 2019

    "du bist a schleschter faschist!" "a scheiss-faschist!"

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  4. Florida RalfAugust 14, 2019

    aus: rentner und faschisten haben niemals zeit.

    er erreichte den gipfel der genialitaet als junger meister.

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  5. https://discord.gg/ArNQvSt

    Herrenclubs jetzt auch online .

    es moderiert ein bekannter Sportblogger aus der grauen Stadt .

    Thementag : "wie werde ich ein Hippster" durch die Sendung führt seine Exzellenz .

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  6. ist " rentner und faschisten haben niemals zeit" auch als Hörbuch erhältlich ( die antiquarische Ausgabe kann ich mir nicht leisten )

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  7. Der lachende MannAugust 14, 2019

    "...falls das wer...anzeigen möchte."

    Da muß ich immer an eine köstliche Stelle bei Irmgard Keun denken, "Nach Mitternacht".

    Die Erzählerin verbringt eine Nacht in einem Büroraum der Kölner Gestapo:
    "Und immer mehr Menschen strömen herbei, das Gestapo-Zimmer scheint die reinste Wallfahrtstätte. Mütter zeigen ihre Schwiegertöchter an, Töchter ihre Schwiegerväter, Brüder ihre Schwestern, Schwestern ihre Brüder, Freunde ihre Freunde, Stammtischgenossen ihre Stammtischgenossen, Nachbarn ihre Nachbarn. Und die Schreibmaschinen klappern, klappern, klappern, alles wird zu Protokoll genommen, alle Anzeigenden werden gut und freundlich behandelt. Zwischendurch kommen Mütter, deren Söhne verschwunden sind, Frauen, deren Männer verschwunden sind, Schwestern, deren Brüder verschwunden sind, Kinder, deren Eltern verschwunden sind, Freunde, deren Freunde verschwunden sind. Diese Fragenden werden nicht so gut und freundlich behandelt wie die Anzeigenden."

    Also nochmal: "Falls das wer anzeigen möchte?" Man muß eben zu den Anzeigenden gehören, nicht zu den Angezeigten.

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  8. @ Der lachende Mann:
    Irmgard Keun? Das halbseidene Mädchen? Naja ... wer's mag ...

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  9. Der lachende MannAugust 14, 2019

    @Anonym

    Ich besitze noch ein weiteres Buch.

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