Sonntag, 10. November 2019

Rein ins DDR-Vergnügen: Mauerpark mit Schießbefehl


Er hat die erfolgreiche Fastfood-Gourmet-Kette Hot Bird gegründet, sich für ein Tempo-30-Verbot auf deutschen Autobahnen eingesetzt und beinahe ein Vorzeigeheim für Hilfesuchende im Harz gegründet, das selbst Til Schweigers große Pläne in den Schatten stellte. Pünktlich zum 30. Jahrestag der Feiern zum Jubiläum des Mauerfalls hat sich Reinhold Herger, geboren als Sohn eines Grenztruppenoffiziers der DDR und in der Nachwendezeit als Geschäftsmann überaus erfolgreich, mit neuen aufsehenerregenden Plänen zurückgemeldet: Herger, aufgewachsen im abgelegenen ostdeutschen Örtchen Hüttenrode, ist dabei, ein Stück der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze in seiner Heimatregion wiederaufzubauen, um dort künftig "authentisches DDR-Lebensgefühl" wiederaufleben zu lassen.

Das rührt an ein Tabu, denn die DDR gilt im wiedervereinigten Deutschland als abgeschlossenes Sammelgebiet, dem in runden Jubiläumsjahren ein - inzwischen weitgehend ritualisierter - Streit um Rolle und Bedeutung sowie eine staatsamtliche Festwoche mit Rede von Bundespräsident und Bundeskanzlerin zu widmen ist. "Dazwischen aber", klagt Herger, einer jener jungen, quicken Innovatoren aus dem Osten, die so gar nicht dem Klischeebild vom tumben Toren aus dem Erzgebirge entsprechen, "geht die Erinnerung immer mehr verloren."

Erst recht bei denen, die nicht das Glück hatten, Teile der DDR-Geschichte in echt zu erleben. "Es bilden sich mehr und mehr Mythen, die kaum etwas mit den Tatsachen zu tun haben", klagt Herger, der die DDR als 17-Jähriger verließ. Es war ihm damals nicht in die Geburtsurkunde gestempelt, dass er einst ausziehen würde, die Welt zu erobern. Geboren als Sohn eines Grenztruppenoffiziers der DDR und einer heute wohl als „Consultant“ annähernd exakt zu bezeichnenden Sachbearbeiterin, wuchs der der kleine Reinhold im ostdeutschen Örtchen Hüttenrode auf. „Eine glückliche Kindheit“, beschreibt er heute, und er denkt dabei an lange Spielnachmittage in dunklen Wäldern, Wanderungen durchs Sperrgebiet und das Sammeln von Kaugummibildern. Als die Mauer fällt, platzen Hergers Träume von einer Karriere wie der des Vaters, den er verehrt und liebt. Enttäuscht von der politischen Entwicklung wendet sich der Teenager konzentriert dem Alkohol zu. Seine schulischen Leistungen lassen nach, er hört viel Rockmusik und bricht eine Ausbildung zum Hexentanzplatzführer ebenso ab wie später ein Studium als Glasblaskultur-Katalogisierer.

Reinhold Herger zieht hinaus in die Welt. Ziellos bereist er alle fünf oder sechs Kontinente, je nachdem, wie gezählt wird. In Asien hängt er mit heterosexuellen Dragqueens ab, in Neuseeland arbeitet er auf einer Schaffarm, in Südamerika lebt er inmitten eines unentdeckten Indianerstammes, der noch auf die althergebrachte Art mit Vogelbeeren jagt.



Dem überzeugten Ost-Patrioten, wie er sich selbst nennt, war nicht in die Geburtsurkunde gestempelt, dass er einst ausziehen würde, die Welt zu erobern. Als die Mauer fiel, platzten seine Träume von einer Karriere wie der des Vaters, den er verehrt und liebt. Enttäuscht von der politischen Entwicklung wendete sich der Teenager für Jahre konzentriert dem Alkohol zu. Seine schulischen Leistungen ließen nach, er hörte viel Rockmusik und brach eine Ausbildung zum Hexentanzplatzführer ebenso ab wie später ein Studium als Glasblaskultur-Katalogisierer. Mit "Hot Bird", der umstrittenen Restaurantkette, die ganz auf geschützte Vogelarten setzt ("Rote Liste-Wochen") gelang ihm dann aber der Durchbruch: Herger machte sein finanzielles Glück - und nun, sagt er, wolle er der Gesellschaft etwas zurückgeben.


Der "Park der Ostalgie", den der Unternehmer selbst scherzhaft auch den "Mauerpark" nennt, "weil das erst so richtig provoziert", wie er schmunzelt, soll eine Mini-DDR wiedererstehen lassen, die unter dem Motto "Auferstanden aus Ruinen - Rein ins Vergnügen" eine Welt nachbildet, die für Jüngere und im Westen Sozialisierte "exotischer sein wird als ein Urlaub in Arabien". Von der Unterdrückung individuelle Wünsche, Sehnsüchte und Meinungen über brutale Unterdrückungsmethoden bis hin zur allgegenwärtigen Mangelversorgung soll das mit Nachbauten historischer Grenzanlagen umzäunte 80-Hektar-Gelände alles haben, was die Original-DDR von vielen anderen Staaten unterschied.

Herger weiß, wovon er spricht.  Bei seinen Reisen durch alle fünf oder sechs Kontinente, je nachdem, wie gezählt wird, war er vor Jahren auf seine erste ungewöhnliche Geschäftsidee gekommen, als er bei einem unentdeckten Indianerstamm lebte, der noch auf die althergebrachte Art mit Vogelbeeren jagt. Hier erfand Herger seine Fastfood-Kette "Hot Bird", eine Genehmigung der Provinzregierung von St. Augustin vor der Küste Kolumbiens, für die Herger seiner Erinnerung nach 300 US-Dollar zahlen musste, gestattete ihm nicht-geschützte Vögel, aber auch sogenannten „unerwünschten Beifang“ - also Exemplare geschützter Arten, die irrtümlich in eigens aufgestellte Netze gegangen waren - in seinem kleinen Restaurant an der Flaniermeile der bei Touristen beliebten Stadt anzubieten.

„Hot Bird nannte, brummte dank exotische Gerichte wie Spatz am Spieß, geröstetem Ibis oder gesottenem Papagei im eigenen Federmantel. Von Touristen bis zu Fernfahrern, über Familien bis zu Geschäftspartnern gönnten sich unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen ein paar gegrillte Kolibris zwischendurch oder einen sauer eingelegten Graureiher. Das Motto "No Frying, No Fat. No Oil" sprach sich herum, Leckerbissen wie saurer Sittich oder Drossel-Döner fanden immer mehr Freunde. Schnell öffnete der Harzer ein zweites Restaurant, ein drittes folgte. Mit der Eröffnung von zwei Filialen im Nachbarland Venezuela ließ Herger auch öffentlich erkennen, dass er einem Kampf mit den Platzhirschen McDonalds, Starbucks und Wendys nicht aus dem Weg gehen wollte.

Der Erfolg gab ihm recht. Mit 33 feierte Reynolds die Eröffnung des 333. Hot Bird-Restaurants. Auf der Party in Sarasota im US-Bundessaat Delaware, wohin er den Firmensitz auf Anraten der Kreditanstalt für Wiederaufbau verlegt hatte, ließ er das Dresdner Gewandhausorchester die „Vogelhochzeit“ spielen, ehe die für diesen einen Tag reformierten „Byrds“ bekennende Singvogel-Fans wie Angelina Jolie, Walter Momper, Billy Joel und Sasha Grey mit ihren größten Hits zum Tanz baten.

Seinen Namen hatte er da schon geändert: Aus Reinhold Herger war „Bird Reynolds“ geworden, so hatten ihn die indianischen Freunde stets genannt. Nun träumt der Bird wieder ganz große Träume von Ostalgie und Reminiszenz in einem ungewöhnlichen Erlebnispark. Trabis werden herumfahren, Spreewaldgurken gegessen werden können und Volkspolizisten werden nach den Grundsätzen des klassenwachsamen Профилирование врагов anlasslos Personalausweise kontrollieren. "Wir stellen uns keinen DDR-Freizeitpark vor". beschreibt Herger, "sondern einen echten Erlebnispark DDR-Diktatur". Der Berliner Mauerbauer, der mit Investoren aus Dubai und Katar im Gespräch ist, will mit Hilfe seiner Geldgebern mehrere Millionen Euro investieren. "Es ist Zeit, dass wir die Wahrheit nacherlebbar machen und zeigen, wie überzeugend der Sozialismus sein konnte."

Eine Urlaubswoche im Unrechtsstaat wird ablaufen wie die Planerfüllung in der DDR. Vom Zwangsumtausch als Eintritt bis hin zur Einkaufstour durch den Konsum mit Ostprodukten, in dem es vieles nicht geben wird, sind alle Abenteuer in Echtzeit zu erleben. Für den wohligen Schauer über den Rücken sorgen die omnipräsenten Stasi-Spitzel und für ein leichtes Gruseln geschmackssicherer Bayern, Hamburger und Württemberger der Anblick ostdeutscher Piefigkeit in den original eingerichteten DDR-Wohnungen, die als Unterbringungsgelegenheiten dienen.

Entspannung vom anstrengenden Alltag der sozialistischen Gesellschaft verschaffen Besuche des beliebtesten Ausflugsziels der echten DDRler – der Datsche und Abstecher zum FKK-Strand, an dem die Gäste die bekannte sexuelle Unverkrampftheit der kaum zivilisierten DDR-Insassen erleben können. "Wir zielen hier auf Erlebnisse gemäß des erwarteten Vorwissens unserer Besucher, die eine genau berechnete Dosis real existierenden Sozialismus abbekommen sollen", sagt Reinhold Herger. So werde jeder Urlaubsgast direkt nach dem Grenzübertritt einer Arbeitsbrigade zugeteilt, jeder zehnte werde automatisch Parteimiglied. Durch diese Integration in die Gesellschaft könne jeder unmittelbar und unverzüglich an Kellerpartys in der Hausgemeinschaft und an den berühmten Subbotniks – zu deutsch: Arbeitseinsatz – teilnehmen, Arbeiterliedgut mitsingen und Rotkäppchensekt schlürfen.

Angesprochen wird vor allem das deutsche Publikum. Dem Wessi wird vorgeführt, welchem eintönigen und unendlich langweiligem Grauen er durch die Gnade der richtigen Geburt entronnen ist. "Aber Ossipapa kann dem Sohnemann so auch mal zeigen, wie sehr er damals gelitten hat unter der Herrschaft von Sättigungsbeilagen der Mitropa, Plaste und Elaste aus Schkopau und des Dederon-Einkaufsbeutels". Reinhold Herger rechnet aber durchaus auch mit abenteuerlustigen ausländischen Touristen. "Gerade Amerikaner und Japaner dürften vom Erlebnispark DDR begeistert sein", glaubt er. Wie Neuschwanstein oder Berlin-Mitte liefere der Mauerpark deutsche Emotionen, die unverfälscht transportiert werden. "Freiwillige können sogar Grenzsoldat werden und auf Streife gehen", sagt Herger und er schwärmt: "That´s marvellous and so authentic!"

Ein DDR-Disneyland haben die Erlebnispark-Entwickler aber nicht im Sinn. Vielmehr gehe es darum, DDR-Alltag zu zeigen, wie ihn sich Nachgeborene vorstellen. Alles soll so authentisch wie möglich werden, aber auch glaubhaft bleiben und sich deshalb an Vorbildern aus Kino- und Fernsehfilmen orientieren. Wissenschaftliche begleitet wird das Projekt von Forschern der Uni Bonn, die die Geschehnisse in der DDR über Jahre hinweg aufmerksam beobachtet hatten. Die Rheinländer haben sich ganz der Aufarbeitung der DDR-Geschichte verschrieben.

"Grundsätzlich ist der Erlebnispark keine schlechte Sache, wenn er dazu beiträgt, dass sich die Menschen mit der DDR-Geschichte auseinander setzen", lobt Hans Achtelbuscher, der als Medienwissenschaftler auch Sprecher des "Forums Starker Staat" ist. Wenn es am Ende nur beim Aha-Erlebnis bleibe und einfach nur das nostalgische Element befördert würde, dann sei die Gefahr für eine Unterminierung der FDGO auch nicht so groß. "Damit könnte man leben als starker, freiheitlicher Staat."

6 Kommentare:

  1. www.mz-web.de/bitterfeld/protest-faellt-aus-fridays-for-future-sagt-umzug-wegen-fehlender-teilnehmer-ab-33436382

    Protest fällt aus Fridays for Future sagt Umzug wegen fehlender Teilnehmer ab

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  2. Henryk M. Broder

    Die Debatte darüber, was die DDR war, ein Kloster oder ein Puff, hält noch immer an.

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  3. immerhin war ja noch jemand da, der die absage erledigt

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  4. Henryk M. Broder ---

    Dieser linke Heinrich ist sogar unter den Pipifaxen, und das will etwas heißen, nicht unumstritten.

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  5. Ganz was anderes, OT auf neudeutsch;
    Tagesspeichel: Kubitschek behindert Pressevertreter.
    David Frankfurter Rundschau: Kubitschek greift Journalisten an ...

    Wo ist der Blitz, der Euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden müßtet?

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  6. Wer aber der Weiseste von Euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und von Gespenst ...

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