Freitag, 18. September 2020

Nachrichtenagentur DPA: Wenig regulierter Ort für wilde Theorien

Platz für Notizen: Je nach Bedarf und geltender Tageswahrheit können hier Forderungen der Demonstranten eingetragen werden.

Halb Wahrheitsagentur, halb Nachrichtenfabrik, halb Monopolist: Die im August 1949 gegründete Nachrichtenagentur DPA versorgt Deutschland zuverlässig mit täglich Tausenden von Nachrichten, die von ebenso vielen kleinen und großen Medienhäusern ungeprüft als reine unverfälschte Wahrheit weiterverbreitet werden.

Bei etwa 80 Prozent der von der Hamburger Firma verbreiteten Meldungen fungiert DPA nur als Transmissionsriemen, über den wörtlich übernommene  und zu Werbezwecken erstellte Pressemeldungen von Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendern weiterverbreitet werden. Die wiederum können aufgrund des sogenannten Agenturprivilegs, einer besonderen Nichthaftungsregel im deutschen Presserecht, die es Journalisten erlaubt, Agenturmeldungen in der Presseberichterstattung zu übernehmen, ohne dass der Inhalt auf Richtigkeit überprüft werden muss, als "Nachrichten" übernommen werden.

Der Medienforscher Hans Achtelbuscher untersucht beim An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung seit Jahren, wie sich die Vereinheitlichung von Medienmeldungen auf die allgemeine Informationslage auswirkt. Als Experte für Phänomene für das Themensterben in  deutschen Medien und strengen Sprachregelungsmechanismen auf die berichterstattete Realität hat Achtelbuscher  eine "Einheit für einheitliche Empörung" (Emp) entwickelt, mit der die Haltbarkeit von Schwerpunktthemen gemessen werden kann.

Im PPQ-Interview erklärt der Entropologe und profunde Fakenews-Spezialist, was hinter der beinahe unregulierten Plattform steckt.

PPQ: Jede Menge Verschwörungsmythen zirkulieren gerade in der Welt, fast wie ein eigenes Virus. Was eben noch heftig als Fake News bekämpft wurde, kann morgen schon als neue Tageswahrheit ausgereicht werden, so dass Zweifel daran kaum noch möglich sind. Einer der Orte, an denen viele dieser wilden Theorien entstehen, ist das sogenannte Zentralbüro der Nachrichtenagentur DPA, das, so die Eigenbeschreibung, „unparteiisch und unabhängig von Einwirkungen und Einflüssen durch Parteien, Weltanschauungsgruppen, Wirtschafts- und Finanzgruppen und Regierungen“, mitteilenswerte Neuigkeiten in alle angeschlossenen Funk- und Druckhäuser verteilt. Herr Achtelbuscher, wie schätzen Sie Rolle und Bedeutung von DPA für das Informationsgefühl der Bürger ein?

Achtelbuscher: Gefühlt handelt es sich bei DPA um den Ursprung von fast allem, was wir wissen. Hier werden Nachrichten für alle produziert, umgeschrieben oder einfach weiterverteilt,  die sich selbst eine umfassende Nachrichtenproduktion und eigene Recherchen nicht mehr leisten wollen und das Angebot anderer Agenturen, die zumeist im Ausland sitzen, nicht umfassend genug finden.  DPA ist beliebt bei öffentlich-rechtlichen Sendern, bei privaten Radios und bei Tageszeitungen, aber auch bei Newsseiten aller Art, weil der Name für Glaubwürdigkeit steht.

PPQ: Aber für diese Plattform gelten anscheinend andere Regeln als für Medienhäuser, die noch selbst Nachrichten herstellen?

Achtelbuscher: Ja, die Deutsche Presse-Agentur GmbH ist die bei weitem größte Nachrichtenagentur der Bundesrepublik Deutschland mit Sitz in Hamburg und einer Zentralredaktion in Berlin. Sie ist in etwa 100 Ländern der Welt vertreten und unterhält in Deutschland 13 Landesdienste mit den entsprechenden Büros. DPA beschäftigt etwa 1000 Angestellte und  Beschäftigte, deren Produktion als privilegiert gilt, so dass niemand in den Ausspielstationen die gelieferten Informationen noch einmal aufwendig überprüfen und nachrecherchieren muss.

DPA-Meldungen dürfen grundsätzlich ohne weitere Nachprüfung übernommen werden. DPA beliefert nahezu alle deutschen Medien, die bei der Übernahme beliebiger Meldungen stets von der Haftung für die Verbreitung von unwahren Tatsachenbehauptungen freigestellt sind. Das spart einerseits Arbeit, andererseits Ärger, denn wenn falsche Darstellungen einer übernommenen Agenturmeldung enthalten sind, haftet nicht der Endverbreiter, sondern der Lieferant. damit gehört DPA natürlich gerade in der Corona-Krise zu den großen Gewinnern.

PPQ: Wieso denn das?

Achtelbuscher: Die notwendig Einschränkung einer Grundrechte machte es einerseits schwerer, vor Ort eigene Nachrichten zu produzieren, andererseits steigt der Informationsbedarf in der dynamischen Pandemielage beträchtlich. DPA profitierte davon, weil die Agentur für ganz viele ihrer Nutzerinnen und Nutzer eine Art Heiligenstatus hat. Obwohl ein Großteil der übermittelten Nachrichten seinerseits aus Nachrichten besteht, die von kleineren Medienhäusern, Talkshow-Redaktionen oder Unternehmen als Pressemitteilungen eingereicht und von DPA ungeprüft weiterverbreitet werden, nehmen die Redaktionen draußen im Land dem Marktführer alles voller Vertrauen ab.

Agentur heißt, es wird schon stimmen, denn eine Alternative gibt es nicht. Man kann das nicht alles selbst machen, andere Agenturen wie Reuters oder AFP liefern nicht dasselbe. Und stärker regulierte Wettbewerber, die nicht einfach eine "Spiegel"-Vorabmeldung als Eigenrecherche aussenden, gibt es nicht.

PPQ: Wer steckt hinter dieser vielen Menschen ja weitgehend unbekannten Macht?

Achtelbuscher: Das ist interessant. Die 179 Gesellschafter von DPA sind ausschließlich Medienunternehmen wie Verlage und Rundfunkanstalten, also die Häuser, die auch Kunden bei DPA sind. Anteilseigner und Kunden der Agentur sind also größtenteils identisch. Es gibt damit niemanden, der direkt hinter dem Unternehmen steckt oder besser gesagt, es sind alle. Wenn DPA also zum Beispiel ein Gerichtsverfahren in eigener Sache verliert, dann muss der "unabhängige Dienstleister für multimediale Inhalte" (DPA-Eigenwerbung) nicht fürchten, dass eine Meldung darüber überall breitgetreten wird.

PPQ: Und wer sind die Leute, die für die Plattform arbeiten und mit welcher Zielrichtung tun sie das?

Achterbuscher: Alles richtet sich nach dem sogenannten DPA-Statut, das aber selbst auf der Internetseite der Firma nur schwer oder gar nicht zu finden ist. Wer genau aus welchen Beweggründen dort was verbreitet, ist ebenso schwer nachvollziehbar. Im "DPA-ID- Partnerprogramm" können beispielsweise externe Anbieter ihre Dienste auf dem Marktplatz der DPA anbieten. Automatisiert werden diese Angebote dann weiterverbreitet, ebenso automatisiert wie seinerzeit die exklusive Nachrichte, dass wohl viele Ehec-Tote nicht mehr gesund werden.

Der Vorteil ist, dass Meldungen in der Regel in einem gleichförmigen Textdesign  durch Land ziehen, andererseits, dass eine DPA-Meldung immer den Grundton der Berichterstattung festlegt. Kritisch oder tolerant-solidarisch, hier entscheidet sich bei den meisten Themen, was gelesen und geglaubt werden wird.

PPQ: Die Plattform sage von sich selber, dass sie unabhängig von Weltanschauungen, Wirtschaftsunternehmen oder Regierungen ist und nicht das Ziel habe, Profit zu erwirtschaften. Ist das nicht ideal?

Achtelbuscher: Es ist ein Ideal. Wir haben allerdings über Jahre hinweg DPA-Medlungen analysiert und festgestellt, dass etwa bei den DPA verbreiteten Fotos viele Fragen offen bleiben. Man sieht das oft, bemerkt es aber nicht: Doch geht es nach dem, was DPA als Quelle von Fotos angibt, saß beispielsweise ein Agenturfotograf bei den Terroristen der NSU auf dem Rücksitz im Auto, ein anderer war beim Skandalauftritt der russischen "Band" Pussy Riot in der Erlöser-Kathedrale dabei und ein dritter fotografierte den damaligen Terrorfürsten Bin Laden in seiner Felshöhle im afghanischen Bergland. Muss man da nicht vermuten, dass es eine besondere Nähe gibt?


PPQ: Ein weiterer Punkt, der zuweilen diskutiert wird, ist, dass DPA zahlreiche Fake News liefert, zugleich aber ein großer Player im Faktenchecker-Business ist. Wie geht das zusammen?

Achtelbuscher: Das eine bleibt vom anderen unberührt. Dadurch kann einerseits verbreitet werden, dass das eine richtig ist, andererseits besteht die Möglichkeit, auch das Gegenteil als gecheckten Fakt zu verbreiten. Die einzige Unterschiedsquelle dazwischen ist die Zeit, man wird also kaum erleben, dass zwei widersprüchliche Wahrheiten am selben Tag ausgeliefert werden. Praktiziert man das so, und DPA macht das sehr professionell, dann lässt sich dieser Effekt ganz gezielt nutzen, ohne dass Fragen gestellt werden.

PPQ: Die Tradition der DPA bei Fake News ist aber schon eine große und reiche?

Achtelbuscher: Oh ja. Die bekanntesten Beispiele waren die Nachricht vom Tod Chruschtschows am 13. April 1964 und ein frei erfundenes Zitat Kossygins zur Wiedervereinigung Deutschlands im Dezember 1966. Schon 1969 wurde der Agentur auch große Regierungsnähe und eine entsprechende Färbung der Berichterstattung vorgeworfen.

Öffentlich entschuldigen musste sich die Agentur, die wir in der Forschung auch die "Danachrichtenagentur" nennen, weil sich alle danach richten, unter anderem für Falschmeldungen über die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm (2007)[23] und über den damaligen Wirtschaftsminister zu Guttenberg (2009).[24] Im Einzelfall führte das zu neuen Regelungen über die Quellenangaben der verbreiteten Nachrichten, man stellte sich damit dann also frei von Vorwürfen, man habe Falschnachrichten verbreitet, indem man strenger darauf verwies, dass man sich diese Fake News nicht selbst ausgedacht hatte.

PPQ: Was können Medienkonsumenten tun, um der gewaltigen Marktmacht der DPA auszuweichen?

Achtelbuscher: Das ist schwierig, wenn nicht fast unmöglich, Man könnte sagen, Vorsicht, wenn das Kürzel irgendwo auftaucht, das heißt eben nicht, dass alles stimmt, was dort steht.  Aber das Kürzel taucht nicht einmal überall dort auf, wo DPA drin steckt, denn gelegentlich fantasieren Medienhäuser auf der Basis von DPA-Meldungen auch einfach eigene Nachrichten zusammen.

Medienkonsumenten müssen sich diese Entwicklung eben stets bewusst sein und lieber einmal weniger etwas glauben. Man muss diese Plattform kennen und verstehen, aber wer diese Probleme wirklich ursächlich angehen will, der hat, fürchte ich, noch viel mehr zu tun, als sich nur mit dieser Verbreitungstechnik auseinanderzusetzen. Da geht es dann um Präventions- und Bildungsarbeit. Und gerade wenn wir über Verschwörungstheorien reden, auch ganz stark darum, dass die Gesellschaft wissen muss, dass DPA eben auch bei Facebook als Gatekeeper arbeitet, sondern die Falschmeldungen, die in dieser Funktion enttarnt werden, zuweilen aus dem eigenen Haus stammen.

5 Kommentare:

  1. Unsere vermeintliche individuelle Freiheit und unser Leben in einem luxuriösen Wohlstand, welcher bis dato unbekannt war in der Geschichte, erkaufen wir mit einer tatsächlichen totalen Abhängigkeit von Abläufen, die wir nicht im Griff haben. Energie-, (Ab)Wasser-, Lebensmittelversorgung usw. Damit einher geht eine globale Gleichschaltung von Informationsflüssen. Was wir zu denken, zu wissen und zu glauben haben, ist/wird vorgegeben.

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  2. Derweil in der dpa die Gebrüder Grimm das Sagen haben, erledigt Merkel in der Krautzone die Drecksarbeit.

    https://www.kraut-zone.de/einzelausgaben/ausgabe-16-sezession-lxypg

    https://images.squarespace-cdn.com/content/v1/5c8777179d41492f15b859d1/1598426112763-L644J0F64MJVUS6SWXLD/ke17ZwdGBToddI8pDm48kA0zy-UCJQOVQLxeSqoapOp7gQa3H78H3Y0txjaiv_0fDoOvxcdMmMKkDsyUqMSsMWxHk725yiiHCCLfrh8O1z5QHyNOqBUUEtDDsRWrJLTmNqmVVHjMmILJtUE82U7zlPuj6G1wKpQutCmr6LO3OUQXMgRRNw2EapCUkKge-cb6/produktbildheft17.png

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  3. Die Konsequenz der Konferenz: Glaube der DPA nicht.
    Da wohl 99% der Lesenden hier die Presseleute für sabbernde, korrupte Hohlköpfe hält, ist das 'preaching to the choir' wie der Anglophonende sagt. Aber trotzdem kann man das mal gesagt haben.

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  4. So einen geballten Unsinn, dazu noch mit wissenschaftlichem Anspruch, habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Echter, authentischer Quatsch, sehr überzeugend.

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  5. So einen geballten Unsinn ...

    Was wollte uns der Künstler damit sagen?

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