Donnerstag, 24. Februar 2022

Endspiel um das Endspiel: Europas Streit um das Finale

Im Kampf um Europa spielt die Champions League ein bedeutsame Rolle.

Es ging schnell und Berlin wie Brüssel ließen keine Zweifel daran, wie sehr all die schwierigen und schmerzhaften Entscheidungen mit großer Einigkeit gefällt wurden. Der Stopp von Nord Stream 2, die Sanktionen gegen russische Banken und Oligarchen, Einreiseverbote, das Verbot des Handels mit russischen Staatsanleihen, aber auch der Beschluss, einen ganzen Tag lang kein einziges Wort über Corona zu verlieren  - nach Jahren des kleinteiligen Streits um offen oder geschlossene Grenzen, eine Impfpflicht oder nicht und nicht zuletzt auch die Auseinandersetzungen um die Notwendigkeit der Atomkraft als Mittel zur Loslösung von russischem Gas und Öl gelang den EU- und Nato-Partnern in der Stunde der Invasion des Kreml über die roten Linien des Minsker Vertrages ein Befreiungsschlag.  

Rückkehr zu klaren Verhältnissen

Man war einig, einen Moment lang, vereint im Schock, vereint in der Erschütterung, in Angst, aber auch in klammheimlicher Vorfreude auf die Rückkehr der Welt zu den klaren Verhältnissen einer längst untergegangen geglaubten Vergangenheit. Nun aber wackelt die Union schon wieder, wie PPQ.li-Kolumnistin Svenja Prantl diagnostiziert. Ausgelöst hat den neuen Dissens der britische Premier Boris Johnson mit seiner Forderung, den Russen das Champions-League-Finale im Mai wegzunehmen, um Wladimir Putin damit zu einem Rückzug seiner Truppen von der Nähe der Grenze zur Ukraine zu zwingen. Sport muss wieder Waffe werden im Kampf der Systeme, meint der innenpolitisch selbst unter Druck stehende Vorkämpfer des Brexit und damit der Entzweiuung Europas. Sport müsse eine Brücke bleiben, die Völker auch in politisch schwierigen Situation vereint wie ein Lagerfeuer, glauben andere.

Svenja Prantl über die letzte Waffe im Köcher der Bellezisten.

Endlich! In ganz Europa war das Aufatmen zu hören, als Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin das Aus von Nord Stream 2 verkündete. Keinen Tag zu früh gestand die Bundesregierung damit ein, dass sie selbst mit ihrem Festhalten an der erpresserischen Leitung eine russische Eskalation heraufbeschworen und begünstigt hatte. Der Befreiungsschlag zeigte dann deutlich, wie sich Dinge fügen, werden sie erst angepackt: Kaum war Nord Stream 2 vom Tisch, konnte Bundesklimaminister Robert Habeck endlich einen Verantwortlichen für die explodierenden Energiepreise präsentieren: Wladimir Putin war auch das, der Führer eines Landes, das schon mehrfach gegen die alten europäischen Staaten in den Krieg gezogen ist, maßt sich ein weiteres Mal an, an seinem Schreibtisch über Dinge zu entscheiden, die ihn gar nichts angehen.

Nord Stream ist kein K.O.

Der Stopp von Nord Stream 2 wird den Russen hart getroffen haben, doch ein Niederschlag war es nicht, geschweige denn ein K.O. für die russischen Weltmachtpläne. Dazu müssten die Europäer nachlegen, nicht zögern, sondern mehr stoppen als nur die Zertifizierung einer Gas-Pipeline, die Zulassung eines russischen Corona-Impfstoffes oder die Sendungen eines staatlich finanzierten Kreml-Senders. Aber was geht da noch? Welche Schrauben kann die Wertegemeinschaft drehen? 

Boris Johnson liegt richtig, wenn er vorschlägt, den Sport bedenkenlos zu instrumentalisieren. Die Androhung einer Absage der Austragung des Champion-League-Finales in St. Petersburg, immerhin Putins Heimatstadt, würde dem Ansehen Russland weltweit unwiederbringlichen Schaden zufügen. Das Kalkül dahinter ist, dass Moskau sich von dieser Maßnahme überzeugen lässt, seine Truppen zurück in die Garnisonen zu rufen.

Einigkeit in ganz Europa

Was es dazu braucht, ist allerdings Einigkeit in ganz Europa. Seit dem Brexit gilt die Champions League als eine der letzten gemeinsamen Institutionen in Europa, gerade Großbritannien mit seinen häufig von russischen Oligarchen und arabischen Scheichs finanzierten Investorenklubs legt großen Wert auf ansprechende Platzierungen in dem alteingesessenen Wettbewerb, der im Kalten Krieg als "Landesmeisterpokal" ausgetragen worden war. 

Das Endspiel fand dabei stets im Westen statt, wie es sich gehört. Einmal nur durfte das später auseinandergebrochene Jugoslawien Ausrichter spielen. Das zwang den kommunistischen Ostblock schließlich zum Einlenken. Als Belohnung wurde der finale 6:5-Krimi zwischen Manchester United und Chelsea London 2008 in Moskau ausgetragen.

Einverleibt von Russland

Seitdem ist der Ostblock wieder außen vor, aber man könnte man heute fragen: Warum erst jetzt? Wo es schon so viele Möglichkeiten gegeben hätte, die Russland hart zu treffen, beispielsweise bei den gemeinsamen Raumfahrtmissionen, beim Hofieren der Russen auf der Buchmesse oder beim halbherzigen Boykott ihrer durchsichtigen Olympia-Inszenierung in Sotschi, einem ehemals von späteren EU-Bürger*innen bewohnten Ort, den Georgien widerrechtlich annektierte, ehe ihn sich die  Sowjetunion einverleibte, ehe sie sich ins alte Russland zurückverwandelte.

Wenn Zusammenarbeit und das Hinwegsehen selbst über solche eklatanten Verletzungen des Völkerrechts nicht helfen, sondern der außen- und energiepolitische Schaden immer offensichtlicher wird, was bleibt dann an Haltungs- und Handlungsalternativen? Natürlich muss man heute fragen, warum die Kritiker des britischen Vorschlages auf der absurd wirkenden Haltung beharren, dass Sport unpolitisch sein müsse, auch wenn er von Diktatoren wie Putin und dem Chinesen Xi als zentrales Instrument der Außendarstellung begriffen wird. Aber eine Antwort ist klar: Sie sind Putinversteher, Russlandfreunde, im Zweifel gedungene Fünfte Kolonne.

Eskalation erfordert Eskalation

Die Champions League ist pro forma ein privatwirtschaftliches Projekt, mit dem die Regierungen in Europa, Großbritannien und Moskau nichts zu tun haben. Doch als Reaktion auf Russlands Anerkennung der ukrainischen Separatistengebiete ist ein Stopp für die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 eben nicht genug. Es braucht nun zweifellos weitere scharfe Sanktionen, um den Kreml zu einem Umdenken zu bewegen, vor allem aber müssen die Europäer ihre Reihen schnell und fest schließen, um nicht den fatalen Eindruck aufkommen zu lassen, sie könnten sich nach dem eklatanten Bruch grundlegender Prinzipien der internationalen Staatenordnung durch Russland und einem dadurch näher rückenden Krieg in der direkten Nachbarschaft nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

4 Kommentare:

  1. https://archive.org/details/der.Russe.kommt

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  2. Also hatten die US-Geheimdienste recht? Kann passieren, zu 100% lügen ist schwierig, selbst für Profis. Diesen Leuten nicht zu glauben ist weiter ein sinnvoller Impuls.
    Unseren Politmedialen steht die Gülle grad bis zum Hals. Vielleicht werden sie mal eingestehen, dass sie nicht weiter wissen, null Optionen haben, gescheitert sind, von A bis Z.
    Nun ist sie halt weg, die Ukraine, zurück zum Klima im Jahr 2100 und zu den Maßnahmenkritikern, damit kann man so schön Politik simulieren.

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  3. https://sezession.de/65529/zur-lage-in-der-ukraine

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  4. @ 2. Anonym: Unsere (Selbstzensur) sind mitnichten "gescheitert". Es läuft alles blendend - für die, nicht für unsereinen natürlich.

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