Freitag, 25. März 2022

Life's a gas: Halbwertszeiten der Gewissheit

 

Es ist ein Gebinde aus flüchtigen Gewissheiten, ein Fliehen vor der Wahrheit und Fluchen über sie, ein Kommen und Gehen von letztem Wissen und der Erkenntnis, nun sicher zu sein, warum, weswegen und wozu überhaupt. Das Leben, das Streben und die Zukunft der Menschheit, nie waren sie so sicher wie noch vor einem halben Jahr. 

Es war der 26. September 2021, als ein Bundestag gewählt wurde, indem erstmals überhaupt wieder seit vier langen Jahren eine Mehrheit saß, die besser wusste als die, die ihr hatte weichen müssen, wie das Land umzugestalten sein würde, um weiterhin ein Hort von Wohlstand, sozialer Wärme und klimatischem Neuanfang zu sein. Mehr Fortschritt würde man wagen, für "Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit", hieß es im Gründungsdokument der Ampel-Koalition, das einen Aufbruch voller Dynamik auslösen wollte.

Zeit der zartesten Ansätze

Sechs Monate danach hat die Zeit alle zarten Ansätze, irgendwann mit irgendetwas anzufangen, beendet. Ein kalter Wind aus dem Osten kam auf, gänzlich unerwartet und blasend in Segel ohne Mast auf einem Schiff ohne Kiel mit einer Brücke ohne Steuerrad, hinter dem kein Kapitän lenkt und steuert. Der hatte sich mit den Seinen mühsam darauf geeinigt, den laufenden Energieausstieg lieber doch nicht blind zu beschleunigen, bis irgendwann das Licht ausgeht, sondern neben dem "massiven Ausbau der Erneuerbare Energien" auch "die Errichtung moderner Gaskraftwerke" zu beschleunigen, "um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken". 

Ungelöste Ungleichung

Zur Lösung der Ungleichung, wie "die bis zur Versorgungssicherheit durch Erneuerbare Energien notwendigen Gaskraftwerke" in der Kürze der Zeit auch mit deutschem Planungsrecht nicht nur gebaut, sondern auch noch "so gebaut werden können, dass sie auf klimaneutrale Gase (H2-ready) umgestellt werden können" kam es nicht mehr. Erdgas, in den Tagen kurz vor der aufkommenden vierten Corona-Welle noch "für eine Übergangszeit unverzichtbar" war, verlor seinen Zukunftswert schneller als Karl Lauterbach die Ohren der Nation und die Klimajugend den Applaus der Medien.

Die Welt, die dem Willen der eigenen Vorstellung folgen sollte, ein gestaltbarer Klumpen, der mit Hilfe der Wissenschaft und viel Geld in jede Form gezwungen werden kann, sie geriet in einem Tempo außer Kontrolle, das die zwei Minuten zwanzig von Marc Bolans philosophischem Klassiker "Life's a gas" wie eine Ewigkeit erscheinen lässt. Wo der Dichter fürchtet, dass seine Liebe selbst groß wie ein Planet sein könnte und das Herz der Liebsten an einen Stern gekettet, trotzdem aber alles flüchtig bleibe wie ein Hauch von Nichts, so verdanken es die großen Visionäre vom Wahlkampfherbst 2021 nur der Vergesslichkeit der Gesellschaft, dass ihnen nicht Hohngelächter entgegenschallt, wo immer sie sich zeigen.

Halbwertszeit der Gewissheit

Die Halbwertszeit der Gewissheit jedenfalls, in den späten, bleiernen Jahren der Merkel-Ära auf den unbestimmten Zeitraum zwischen zwei "Mutanten" (Lauterbach) geschrumpft, liegt seit Putins Ausstieg aus der Nachkriegsordnung bei unter acht Wochen. Die Energiewende wird zur Rolle rückwärts, ein Purzelbaum, bei dem der Turnern alle Bleistifte aus den Taschen fallen: Der beschleunigte Gasausbau, der beschleunigte Braunkohleausstieg, das gezielte Hochpeitschen der Preise, damit Energieverbrauch möglichst schmerzhaft wird. Nur der "Atomkonsens", den Angela Merkel in einer Nacht nach Fukushima mit sich selbst vereinbart hatte, er hält noch. Noch.

I hope it's going to last", singt Bolan, der seiner Zeit voraus war und vor seiner Zeit ging. Life's a gas und wie jeder Regierungsplan überlebte auch dieser den ersten Kontakt mit der Wirklichkeit nicht. Die Bedrohungen wechseln, das Augenmerk wechselt mit, die Prioritäten sind andere in diesem Frühjahr als sie es im letzten Herbst waren, als ein langer, lahmer und gelangweilter Wahlkampf ohne Inhalte und erst recht ohne inhaltliche Unterschiede mit einem Wahlgang endete, dessen Ergebnis vor allem für Erleichterung sorgte, weil jedermann sich sagen konnte, dass das Allerschlimmste nicht eingetroffen war.

Es kam dann mit Verspätung aber doch noch, wenn auch anders als gedacht.

2 Kommentare:

  1. Statt vertraglich vereinbartes preiswertes Russengas durch eine bereits neu gebaute Pipeline zu beziehen, müssen wir Moralweltmeister jetzt bei Unterstützern islamischer Terrorgruppen um teures Flüssiggas betteln. Schweinemelker Habeck auf Arschkriechertour.

    Wie tief kann man als Land bzw. Volk eigentlich noch sinken?

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  2. Wenn man neue Gaskraftwerke wassertoff-ready baut, dann kommt der Wasserstoff auch unweigerlich. So wie Santa Claus unweigerlich kommt, wenn man an Heiligabend saubere Socken am Kamin hinhängt. Das weiß doch jeder.

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