Samstag, 24. Mai 2025

Messerkultur: Spurt die Führ wieder nach Moskau?

Auffällige Suchanfrage aus Russland: Schon vor dem Messerangriff einer mutmaßlich 39-Jährigen auf Fahrgäste der Bahn wurde in Russland häufiger nach "Hamburg", "Messer" und "Bahnhof" gesucht.


Regional, aber wegen des Schauplatzes doch ein bisschen wichtig. Der Messerangriff von Hamburg schaffte es nach einigen Anlaufschwierigkeiten in die "Tagesschau". Kurz vor Toresschluss, knapp vor kulturellen Todesmeldungen und Wetter, informierte die ARD über das fürchterliche Geschehen zwischen Gleis 13 und 14. Zwölf zum Teil schwer Verletzte. Eine festgenommene mutmaßliche Person. Hintergründe noch unklar. Sicher aber: Kein Mann, sondern eine Frau, 39, blond, auffallende Kennzeichen Adidas.

Nicht der einzige Einzelfall

Ein Einzelfall, aber längst nicht der einzige. Gerade in den vergangene Wochen verging kaum ein Tag, ohne dass nichtsahnende Menschen an öffentlichen Plätzen Opfer plötzlich aufbrechender Gewalttaten wurden. Eine Messerattacke in Remscheid, bei der ein 11-Jähriger einen 13-Jährigen verletzt. Ein "erschütternd brutaler" Angriff in Bielefeld. Eine Messerattacke in Berlin-Spandau, einer in Böblingen, einer in Renningen.

War die Politik nach der Ausweitung der Messerverbotszonen im vergangenen Herbst noch froher Hoffnung, dass sich das Thema nach zahlreichen Gesten simulierter Entschlossenheit totgelaufen habe, sprechen die aktuellen Ereignisse eine andere Sprache. Selbst der Bundestag sah sich von der gesichert rechtsextremistischen AfD gezwungen, über innere Sicherheit und Messer­angriffe in Deutschland zu debattieren -  ein knappes Jahr nach Mannheim und dem von zahlreichen  Faktencheckern geführten Beweis, dass es weder einen Anstieg entsprechender Taten noch doch zumindest keinen gebe, der Deutschland unsicherer mache

Wappnen für Ängstliche

Dank neuer Volkshochschulkurse konnten sich besonders Ängstliche dennoch wappnen, stigmatisierende und kontroverse Begriffe wie "Messermigranten"wurden erklärend erläutert und letztlich dienten sie einem guten Zweck: Auch die Verwendung dieses entlarvenden Begriffs sorgte mit dafür, dass die AfD vom Verfassungsschutz das Prädikat "gesichert rechtsextremistisch" verliehen bekam.

Die Messerangriffe der vergangenen Wochen haben beim manchen dennoch ein Gefühl der Unsicherheit erzeugen. Allem Empfinden nach häufen sich die Attacken. Das Muster ist häufig ähnlich: Scheinbar wahllos wird auf Unbeteiligte eingestochen, zumeist in gutbürgerlichen Städten im Westen Deutschlands, die als gesichert demokratisch gelten. 

Aus einer Analyse des Medienwissenschaftlers Hans Achtelbuscher von mehr als 600 Medienbeiträgen geht hervor, dass Berichte über Gewaltkriminalität stark zugenommen haben. Der erfahrene Regressionsforscher führt das auf den Umstand zurück, dass über tödliche Delikte und besonders schwere Straftaten häufiger berichtet werde. Sie machten etwa die Hälfte aller Berichte über Messerangriffe aus. Weniger schwere Fälle fielen "oft hinten runter", sagt der 56-Jährige, der am An-Institut für Angewandte Entropie in Frankfurt an der Oder forscht und lehrt.

Leicht oder gar nicht verletzt

Achtelbuscher ist sicher: "Die vorhandenen polizeilichen Statistiken zeigen: In den meisten Fällen werden Opfer von Messerangriffen leicht oder gar nicht verletzt, das aber wird oft nicht berichtet." Das hat dem Experten für Mediendemenz und Empörungskurven zufolge Auswirkungen auf das allgemeine Sicherheitsgefühl. "Der Anteil tödlicher Delikte an der Gewaltberichterstattung ist deutlich höher als in der polizeilichen Gewaltstatistik", rechnet der Forscher.

Messerangriffe seien damit ideal geeignet, um mit wenig Aufwand viel Unsicherheit in die Gesellschaft zu tragen. "Wenn selbst seriöse Sendungen wie die Tagesschau ein Einzelereignis wie das in Hamburg keine drei Stunden nach der Tat ungeprüft aufgreifen, ist das natürlich Wasser auf die Mühlen derjenigen, die darauf setzen, dass sich die Politik von üblen Schlagzeilen zu unbedachtem Aktivismus treiben lässt."

Statistisch kaum zu belegen

Krude Thesen über Berlin als "Messer-Hauptstadt" sind statistisch kaum zu belegen, aber wirkmächtig. Dabei liegt die Wahrscheinlichkeit, in Berlin einem Messerangriff zum Opfer zu fallen, noch deutlich unter der, als Kind oder Jugendlicher in Deutschland mit sexualisierter Gewalt konfrontiert zu werden. 29.000 Angriffe deutschlandweit in einem Jahr, das sind nicht einmal 80 am Tag. 

Als Bruttogehalt reichte das in Steuerklasse 1 nicht einmal an das Einkommen eines Vollbeschäftigten mit Mindestlohn heran. Aufgeteilt auf die 11.000 Städte und Gemeinden im Land dauere es statistisch betrachtet fast 140 Jahre, bis ein bestimmter Ort mit einer sogenannten "Messerattacke" konfrontiert werde. Doch, so Achtelbuschers Vermutung, im hybriden Krieg, in dem Deutschland derzeit an so vielen Fronten kämpft, liegt gerade in der großen Wirkung der kleinen Ursache, die jedes Messerattentat bildet, der Reiz für die, die von wachsender Unsicherheit profitieren.

Spure nach Russland

"Eine Zunahme der Straftaten mit Messern lässt sich anhand vorhandener Daten gar nicht abschließend feststellen", sagt Hans Achtelbuscher. Sicher aber sei, dass Spuren zu den Hitlermännern oft nach Russland und zu Putins Geheimdiensten führten. 

Achtelbuscher und sein Team haben diese These inzwischen auch experimentell geprüft - und sie sind fündig geworden. "Wir haben mögliche Hinweise für russisches Täterwissen im Netz gefunden", sagt der immer noch sichtlich geschockte Wissenschaftler. Wohl nicht zufällig kurz nach wichtigen Wahlen, wie sie Deutschland gerade mehrfach erlebt haben, erschütterten die Messerübergriffe die Bundesrepublik. 

Diese Häufung, die sich anhand vorhandener Daten noch nicht abschließend feststellen lasse, sei ebenso wie die Ähnlichkeit der Zwischenfälle kaum ein Zufall. "Die Verdichtung nach den Wahlen ist evident" betont Achtelbuscher und er liefert einen mehrfach falsifizierten Ermittlungsansatz: Verdächtige Suchanfragen aus Russland im Vorfeld der Anschläge zeigten ein auffallendes Interesse der Russen an Begriffen wie "Messer", "Hamburg" und Bahnhof". Auch das Wort "Attentat" sei schon Wochen vor der jüngsten Bluttat von Russland aus sprungartig häufiger gesucht worden.

Digitale Verhaltensanalyse

Hat Russland also etwas mit den Anschlägen Monate zu tun? Es wäre naiv, solchen Hinweisen nicht nachzugehen, sagt Hans Achtelbuscher, der gemeinsam mit seinem Referat für "Digital Behavioral Analystics" (deutsch: Digitaler Verhaltensanalyse) umfangreiche  Google-Suchläufe simuliert und dann mit datenforensischen Methoden ausgewertet hat. 

Die Anfragen aus Russland Tage und Wochen vor dem Anschlag ließen auf Täterwissen schließen, ist sich Achtelbuscher sicher. Der Kreml nutze offenbar die ohnehin schon vorhandene Verunsicherung angesichts der von Friedrich Merz geschlossenen Grenzen, die dennoch offen blieben, und der Abschiebekampagne der unionsgeführten SPD-Regierung, die sogar von der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel abgelehnt werden.

Brechend voller Bahnsteig

Dennoch: Medien machen bei der Angstmache willig mit. Die "Tagesschau" berichtet, die eigentlich staatspolitisch recht verantwortliche "Zeit" beschwört eine "wahllos, unvermittelt, aus dem Nichts" ausbrechene Gewalt an einem Tatort, der "brechend voller Bahnsteig" gewesen sei, der von einer "offenbar psychisch kranken" Frau angegriffen wurde. Beschwörend heißt es "Wie sicher ist der Hamburger Hauptbahnhof? Wie sicher kann er sein?" Und der "Tagesspiegel" aus demselben Verlagshaus verstärkt die Verunsicherung noch, indem er schon vor dem Abschluss der Ermittlungen von "keinen Hinweise auf ein politisches Motiv" weiß - die mutmaßliche Täterin habe "wahllos" herumgestochen. 

Es kann jeden treffen. Das ist die Botschaft von Zeilen wie "Dann haben wir das Blut gesehen" (Spiegel), "17 Verletzte bei Messerangriff" (FAZ) und "Frau verletzt viele Menschen" (n-tv). Niemand hat die Absicht, das Brandenburger Tor zu beleuchten. Kein Kanzler wird mit betretener Miene auf dem Bahnsteig herumstolzieren und den Bahnmitarbeitern seine unverbrüchliche Solidarität bekunden. Niemand ist Gleis 13, niemand Gleis 14. 

Kaum ein Zufall

Bereits seit dem 1. Oktober 2023 hat die Hansestadt Hamburg ein Waffenverbot rund um den Hamburger Hauptbahnhof verhängt. Mitte Dezember 2024 erweiterte der Senat die Verbotszone, indem er ein Messerverbot im öffentlichen Nahverkehr erließ. Ein Angriff wie der vom Freitagabend ziele auf das Herz der deutschen Verbotskultur. "Da wird versucht, das gesamte deutsche Verbotskultur zu verhöhnen", sind die Wissesnchaftler überzeugt. Politik solle unglaubwürdig gemacht werden, Politiker an Vertrauen verlieren. 

Die Häufing in einer Findungsphase der Innenpolitik ist tatsächlich auffallend. In den vergangenen Monaten gab es in Deutschland bereits mehrere Messerattacken mit Schwerverletzten und Toten. Neben dem lebensgefährlichen Angriff auf mehrere Menschen vor einer Bielefelder Bar, nach dem ein tatverdächtiger Syrer festgenommen, verletzte ein aus Ghana stammender Mann auf dem Bahnhofsplatz einen 35 Jahre alten Mann mit einem Messer schwer. Syrien galt lange als enger Verbündeter des Kreml. Auch die Beziehungen zwischen Ghana und Russland sind bilateral freundschaftlich und eng, mit nach wie vor diplomatischen Vertretungen in jeweils anderen Ländern.

Alles kein Zufall 

 "Es ist recht unwahrscheinlich, dass wir hier von einem Zufall sprechen", glaubt Achtelbuscher, der Zusammentreffen der spannenden Phase des Zusammenwachsens der politischen Mitte nach der neuen AfD-Einstufung und den wiederaufflammenden Zollauseinandersetzungen mit den Vereinigten Staaten eine alte russische Strategie zu erkennen glaubt: "Offenbar werden die Opfer willkürlich ausgewählt, das Ziel aber ist unsere Demokratie".

Bereits vor Bundestags- und Europawahl gab es mehrere Anschläge in Deutschland, für die es keine Beweise für eine russische Urheber- oder Mittäterschaft gegeben hatte. Doch gerade darin erkenne man die Handschirft des Kreml os Achtelbuscher: "ich glaube, es ist völlig offensichtlich, dass diese digitalen Spuren und die Auswertung und Analyse dieser digitalen Spuren ein wichtiger Baustein dafür sein können, der Wahrheit deutlich näher zu kommen". 

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